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"Beruhigungspillen werden verteilt"

Von Karl Leban

Wirtschaft

Lenzing-Chef Untersperger ortet eine Reihe von Standortschwächen. Für ihn sind bereits Wohlstandsverluste erkennbar.


"Wiener Zeitung": Viele Wettbewerbsrankings bescheinigen Österreich nur noch Mittelmaß. Haben Sie den Eindruck, dass die Regierung bereits gegensteuert?Peter Untersperger: Der früher sehr gute Dialog zwischen Wirtschaft, Industrie und den Spitzenvertretern der österreichischen Politik ist in den vergangenen Jahren leider weitgehend versandet. Die Notwendigkeit rascher Gegensteuerungsmaßnahmen wird von der Regierung nicht überall gleich gesehen. Es werden andere Prioritäten gesetzt und Beruhigungspillen verteilt. Der Wirtschaftsminister bemüht sich, hier eine aktivere Position aufzubauen. Es bleibt zu hoffen, dass er damit erfolgreich sein wird.

Wo sehen Sie denn die größten Defizite in der heimischen Standortpolitik? Welche Maßnahmen sind am dringlichsten?

Zentrale Themen sind die Besteuerung der Arbeit und die deswegen zu hohen indirekten Arbeitskosten und Lohnstückkosten. Da haben wir gegenüber anderen Industrieländern - etwa Deutschland - zuletzt massiv an Terrain verloren. Unsere Verwaltungskosten sind in den vergangenen Jahren nach oben geschossen, ohne dass dafür Mehrleistungen erbracht wurden. Eine durchgreifende Bürokratiereform ist daher längst überfällig.

In unser Bildungssystem fließt zwar mehr Geld, aber gleichzeitig sinkt die Ausbildungsqualität im internationalen Vergleich. Das ist eines der größten und dringendsten Probleme. Beim Ausbau der Infrastruktur hapert es ebenfalls: Die Investitionen in den Straßenbau gehen zurück - und bei der Telekom-Infrastruktur hinken wir hinterher.

Wie rasch müssten die von Ihnen angesprochenen Maßnahmen umgesetzt werden, damit keine Wohlstandsverluste eintreten?

Die Wohlstandsverluste sind bereits erkennbar, da die frei verfügbaren Einkommen nach Kaufkraft berechnet in den vergangenen Jahren de facto stagniert haben, obwohl die Menschen ja nicht weniger gearbeitet haben. Die Frage ist viel mehr: Wie lange werden sich die Menschen das gefallen lassen? Die Wutbürgerbewegung wird sich jedenfalls weiter ausbreiten.

Das große Problem der Regierung ist aber: Ihr budgetärer Spielraum für Investitionen in die Zukunft ist ziemlich begrenzt. Ist eine offensive Standortpolitik, die diesen Namen auch verdient, zum jetzigen Zeitpunkt realistisch?

Die Steuereinnahmen der Republik waren noch nie so hoch wie jetzt und wachsen weiter. Das Geld ist da, fließt aber in teils unproduktive Kanäle oder versickert in der Tiefe der Bürokratie. Dabei wäre die Ausgangssituation heute an sich nicht schlecht. Die Zinsen sind für die öffentliche Hand nahe null. Der Zeitpunkt, langfristige und strukturelle Infrastruktur-Investitionen zu tätigen, ist mehr als optimal.

Vor allem große heimische Industriekonzerne wie die Voestalpine investieren immer mehr außerhalb Europas. Dem Trend des tendenziellen Abwanderns, der bei vielen europäischen Unternehmen schon lange zu beobachten ist, steht die Politik doch eigentlich machtlos gegenüber. Hand aufs Herz: Ist dieser Trend überhaupt noch umkehrbar?

Natürlich ist der Trend umkehrbar. Industrie-Unternehmen sind verpflichtet, das ihnen anvertraute Vermögen optimal zu verwalten. Investitionsentscheidungen werden nach den Kriterien der Rentabilität und Stabilität getroffen. Wenn man in einem Land signalisiert, dass sich die Rahmenbedingungen bei den Energiekosten, der Bürokratie, der Steuerbelastung und bei anderen Kriterien eher verschlechtern, wird in diesem Land nicht oder nicht mehr so viel investiert werden. Wenn die Repräsentanten eines Landes aber sagen, ihr bekommt bei uns stabile Rahmenbedingungen, auf die ihr in den kommenden Jahren und Jahrzehnten bauen könnt, dann wird man dort hingehen. So einfach ist das!

Was kann in diesem Zusammenhang die EU tun, um Mitgliedsländer wie Österreich bei standortpolitischen Fragen zu unterstützen?

Die EU müsste nur ihre eigenen wirtschaftspolitischen Ziele für 2020 ernst nehmen und konsequent verfolgen, da hätte auch Österreich was davon. Die EU hinkt sowohl bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit als auch bei der Erhöhung der Forschungsausgaben und bei den Wachstumszielen weit hinter ihren eigenen Zielen hinterher. Hier vermisse ich konstruktive Gegensteuerungsmaßnahmen. Teilweise bleibt das Geld in den dafür vorgesehenen Geldtöpfen ungenutzt liegen. Außerdem sollte sich nicht nur Österreich, sondern auch die EU ein Entbürokratisierungs- und Entschlackungsprogramm verordnen. Davon würden wir alle langfristig profitieren. Ein Gutteil der "Verbürokratisierung" Österreichs ist nämlich "made in Brüssel".

Peter Untersperger, geboren am 27. Februar 1960, ist seit 1985 für den oberösterreichischen Textilfaserkonzern Lenzing tätig. 2009 avancierte der studierte Jurist und Betriebswirt zum Vorstandsvorsitzenden der börsenotierten Unternehmensgruppe. Untersperger ist seit Juni 2012 auch Vizepräsident der Industriellenvereinigung. Er ist verheiratet und hat vier Kinder.