Zum Hauptinhalt springen

Betriebe im Sanktions-Chaos

Von Marina Delcheva

Wirtschaft
Aufgrund der Sanktionen lichten sich Supermarktregale in Russland. Heimische Betriebe könnten versuchen, über Drittmärkte nach Russland zu exportieren.
© fotolia/Losevsky

Heimische Betriebe versuchen, über Drittmärkte Russland-Sanktionen zu umgehen.


Wien. Angenehm sind die Sanktionen und Gegensanktionen im Zuge der Russlandkrise für die heimische Wirtschaft gerade nicht. Vor allem der Lebensmittelsektor, aber auch Maschinen-Erzeuger und Banken, sind betroffen. Jetzt überlegen einige heimische Betriebe über Drittmärkte ihre Waren doch noch nach Russland zu verkaufen. Das ist aber mit erheblichen Investitionen verbunden und könnte mitunter schwierig werden.

Vor einigen Wochen hat der heimische Gewürzhersteller Kotanyi angekündigt, einen Teil seiner Produktion nach Serbien auslagern zu wollen. Das Land ist kein Mitglied der EU und somit weder von Sanktionen noch von Gegensanktionen betroffen. Außerdem ist der Warenexport von Serbien nach Russland zollfrei. Das Knoblauchgranulat und die Kräutermischungen von Kotanyi fallen unter dieselbe Zolltarifnummer wie Gemüse. Und Russland hat als Reaktion auf die EU-Sanktionen ein Embargo auf sogenannte leicht verderbliche Lebensmittel ausgesprochen. Firmenchef Erwin Kotanyi sagte vor wenigen Wochen zum "Kurier": "Wir müssen schnell reagieren, in sechs bis acht Wochen ist unser Lager in Russland leer." Deshalb wolle er einen Teil seiner Produktion nach Serbien auslagern und die Gewürze dort abpacken. Mit dem Gedanken, über Tochterfirmen auf Serbien oder andere Drittmärkte auszuweichen, um von dort aus nach Russland zu exportieren, spielen derzeit einige Betriebe.

Neues Mascherl reicht nicht

Das ist allerdings schwieriger als es klingt. "Die Ware nur in Serbien umpacken geht nicht", sagt Michael Angerer von der Wirtschaftskammer (WKO) zur "Wiener Zeitung". Damit beispielsweise Lebensmittel nicht auf die russische Sanktionsliste fallen, dürfen sie kein österreichisches Ursprungszeugnis haben. Das heißt: Mindestens 51 Prozent der Herstellung müssen im EU-Ausland erfolgen. Gewürze oder andere heimische Waren nach Serbien liefern und dort verpacken geht also nicht. "Russland schaut bei der Einfuhr sehr genau darauf. Die serbische Regierung hat diesbezüglich genauere Überprüfungen von Warenexporten nach Russland angekündigt, um die wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder nicht zu belasten", sagt Fabian Gems vom AußenwirtschaftsCenter der WKO in Belgrad. Unter die russischen Sanktionsbestimmungen fallen nämlich auch sogenannte Re-Exporte. Das sind Waren, die in einem EU-Land produziert wurden, aber im EU-Ausland gewaschen, umetikettiert oder neu verpackt werden.

Um tatsächlich Waren, die von den Sanktionen betroffen sind - Lebensmittel, aber auch Maschinen für die Ölgewinnung und Dual-Use-Güter, die auch militärisch verwendet werden können -, exportieren zu können, müssen heimische Betriebe auch im Ausland produzieren. "Das ist aber ein langfristiger Prozess und mit vielen Investitionen verbunden", sagt Angerer. Das würde sich nur auszahlen, wenn die Sanktionen noch länger andauern. Im Rahmen einer Expansionsoffensive im Herbst möchte die WKO deshalb Betrieben helfen, neue Absatzmärkte zu finden. China, Südamerika und Nordafrika sind im Visier.

Getrübte Stimmung

Für Aufregung sorgte am Freitag die versprochene EU-Hilfe für Landwirtschaftsbetriebe, die aufgrund der Sanktionen einen Teil ihrer Ernte nicht verkaufen können. Im Ö1-"Mittagsjournal" nannte Adolf Marksteiner von der Landwirtschaftskammer die versprochenen 125 Millionen Euro eine "Verschrottungsprämie". Durch die Hilfe würde nur ein Zehntel der entstandenen Kosten getragen. Außerdem können nur jene Bauern eine Entschädigung bekommen, die vorzeitig oder gar nicht ernten. Laut Ö1 könnten heuer ein Prozent der heimischen Äpfel ungeerntet auf dem Feld bleiben und danach verdorben entsorgt werden. Bauern beklagen auch, dass Kraut eingeackert werden müsse. Wegen strenger rechtlicher Lebensmittelauflagen kann man das überschüssige Obst und Gemüse auch nicht so einfach verschenken.

Russland ist der zehntwichtigste Handelspartner Österreichs. Im Vorjahr haben heimische Betriebe Waren im Wert von 3,5 Milliarden Euro nach Russland exportier. Laut WKO betreiben 1200 österreichische Firmen Geschäfte mit Russland, etwa 550 haben dort eine Niederlassung. Allein die Landwirtschaft hat Agrarprodukte in Wert von 240 Millionen exportiert. Das Landwirtschaftsministerium befürchtet Exporteinbrüche von 103 Millionen wegen des Lebensmittel-Embargos. Aber auch heimische Banken müssen um ihr Russland-Geschäft fürchten, wenn sich die Sanktionen verschärfen ("Wiener Zeitung" hat berichtet). Allein die Raiffeisen International hat offene Kredite in der Höhe von 10 Milliarden Euro in Russland.