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Auf den eigenen Schmäh reingefallen

Von Reinhard Göweil

Wirtschaft

In Deutschland und Österreich sinkt Wachstum, weil Exporte schwächeln und wenig für Privatkonsum getan wurde.


Wien. Das "German Wunder" ist zu Ende, kommentiert die "Süddeutsche Zeitung" die aktuelle Wirtschaftsprognose für Deutschland. Mickrige 1,3 Prozent werden es heuer nur noch, 2015 gar nur 1,2 Prozent. Österreich wird davon heftig betroffen sein, denn der zehnmal so große Nachbar ist der mit Abstand wichtigste Handelspartner. Dieser Logik folgend zeigen auch die heimischen Wirtschaftsdaten nach Süden.

Die Arbeitslosigkeit hingegen steigt sowohl in Deutschland als auch in Österreich. Die aktuelle Prognose für Deutschland hält zwar die Zahl knapp unter der Drei-Millionen-Grenze, aber so knapp, dass 2015 die Grenze durchaus gerissen werden könnte. Das hätte vor allem einen psychologischen Effekt, meinen die deutschen Wirtschaftsexperten.

In Österreich werden im Jahresdurchschnitt bis zu 350.000 Arbeitslose im kommenden Jahr erwartet, so die aktuellen Erwartungen.

Stabil und labil

Nun zählen Deutschland und Österreich - gemeinsam mit den Niederlanden und Finnland - zu den Stabilitätsankern in der EU. Die Arbeitslosigkeit in Südeuropa ist mehr als doppelt so hoch, bei Jugendlichen sogar dreimal höher als in diesen Ländern.

Was also passiert jetzt? Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) konstatiert, dass angesichts schwachen Weltwirtschaftswachstums "vom Export keine wesentlichen Impulse zu erwarten sind". Der Konflikt mit Russland habe die Aussichten zusätzlich eingetrübt "und dürfte dazu beitragen, dass die Investitionen der Unternehmen verhalten bleiben".

"Die Investitionen sind die größte Enttäuschung", sagte auch Wifo-Chef Karl Aiginger bei der jüngsten Wirtschaftsprognose. Nun sind es gerade deutsche Politiker, die den südeuropäischen EU-Partnern gerne Ratschläge geben, was dort alles falsch läuft. Österreich schwimmt bei den EU-Gipfeln zu diesen Themen im deutschen Kielwasser.

Lohnquote sinkt beständig

Nun zeigt sich allerdings, dass in den stabilen EU-Ländern die Jahre seit 2008 vor allem durch Exporterfolge getragen worden waren. Die Realeinkommen sanken oder blieben bestenfalls gleich. Der private Konsum bleibt in Deutschland und in Österreich seit Jahren deutlich unter den Gesamtzahlen. Seit mehr als 15 Jahren sinkt sowohl in Deutschland als auch in Österreich die Lohnquote, also der Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen.

Diese Entwicklung war - neben Faktoren wie Forschung und Qualifikation der Mitarbeiter - mitentscheidend für die Erfolge der vergangenen Jahre. Da in Deutschland und Österreich die Löhne nicht stiegen, wurde die Industrie immer wettbewerbsfähiger und konnte mehr exportieren. Wenn nun die Exporte einbrechen, bleiben - verkürzt ausgedrückt - nur relativ schwache Realeinkommen übrig. Und das ist zu wenig, um den Wohlstand und niedrige Arbeitslosigkeit auf Dauer zu sichern.

Südeuropa ging den anderen Weg, der auch die Schuldenkrise in der EU auslöste. Die Löhne stiegen kräftig. Da dadurch die Industrie in diesen Ländern immer mehr Marktanteile verlor, übernahmen staatliche Sektoren die Beschäftigten - und bezahlte sie auf Pump.

Nun wird in Südeuropa kräftig gegengesteuert. Italiens Regierung hat am Donnerstag die Arbeitsmarktreform durchgebracht, die eine deutliche Lockerung des Kündigungsschutzes mit sich bringt. Denn italienische Unternehmen stellten kaum noch Leute ein, da diese nach zweijähriger Firmenzugehörigkeit quasi unkündbar wurden.

"Wellblech-Konjunktur"

Während also die südeuropäischen Länder nun die Reformen nachziehen, die Deutschland (Hartz-IV) und Österreich (Sozialpartnerabkommen) in den vergangenen zehn Jahren beschlossen, schaut es im "Norden" umgekehrt aus: Sogar der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, hat Deutschland aufgefordert, höhere Lohnabschlüsse zuzulassen, um den privaten Konsum anzukurbeln.

Das findet derzeit nicht statt, und die rückläufige Konjunktur macht es auch nicht einfacher. Auch in Österreich nicht, bei den laufenden Metaller-Verhandlungen ist von einer Forderung in Höhe von 2,5 Prozent die Rede. All dies führt in Europa derzeit zu einer Entwicklung, die Ökonomen als "Wellblech-Konjunktur" bezeichnen. Südeuropa hat sich von der Krankheit noch nicht erholt, der kräftiger Norden steht erst am Beginn der Infektion.

EU-Budgetvorgaben

"Deutschland und Österreich glaubten an die guten Zahlen, die aber nur vom Export kamen. Sie sind quasi auf den eigenen Schmäh reingefallen", sagt ein hochrangiger Wirtschaftsforscher zur "Wiener Zeitung". Seit Beginn der Krise haben diese stabilen Länder - angesichts guter Statistiken im EU-Vergleich - kaum gegengesteuert. "Politikpause" nannte es Aiginger. Auch in Deutschland werfen die Grünen, aber auch manche SPD-Politiker, Bundeskanzlerin Angela Merkel Untätigkeit vor. Sie ruhe sich auf Gerhard Schröders Reformen aus. Die Exporterfolge hängen zudem stark an der Automobilindustrie.

Die Regierungen in Berlin und Wien gehen tatsächlich sehr stark vom EU-Stabilitätspakt aus. "Er heißt aber eigentlich Wachstums- und Stabilitätspakt", stellte der kommende Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bereits vor Wochen fest. Doch das Hauptaugenmerk wird - auch aufgrund der Bewertungsskala der jetzigen Kommission - auf das Ziel gelegt, ausgeglichene Budgets zu schaffen. Deutschland wird das erreichen, Österreich will 2017 soweit sein. Die Einsparungen in den Budgets reduzierten aber die öffentlichen Investitionen in der gesamten EU. Im Verein mit der Zurückhaltung der Unternehmen ergibt das "fehlende Wachstumsimpulse", wie es die EZB nennt.

Zauberformel Steuerreform

Um gegenzusteuern, müsste der private Konsum angekurbelt werden. In Österreich wird eine Steuerreform vorbereitet. In Deutschland mehren sich in der CDU die Stimmen, die eine Senkung der Lohnsteuer fordern, um die "kalte Progression" auszugleichen. Der seltsame Ausdruck ist auch in Österreich anzutreffen. Es geht dabei um das - für den Einzelnen - unangenehme Faktum, dass Lohnerhöhungen aufgefressen werden, wenn sie bedeuten, in die nächsthöhere Steuerklasse zu rutschen.

In Österreich ist von einem Volumen in Höhe von fünf Milliarden Euro die Rede, vor allem niedrige Einkommen sollen steuerlich entlastet werden. Mehr Netto vom Brutto nennt es die Gewerkschaft (und nicht mehr Brutto vom Netto, wie FPÖ-Chef HC Strache kürzlich meinte). Die SPÖ möchte mehr als fünf Milliarden Euro bewegen, was wohl möglich wäre, wenn es auch bei den Sozialversicherungsbeträgen Verschiebungen von unten nach oben gibt. Dazu wäre es allerdings notwendig, die Höchstbemessungsgrundlage zu erhöhen.

Ebenfalls diskutiert wird in Deutschland und Österreich eine Neuordnung der Arbeitszeit. In beiden Ländern gibt es eine enorme Anzahl von geleisteten Überstunden, die Gewerkschafter in Jobs umwandeln wollen. Die Arbeitgeberseite spricht sich klar dagegen aus, und will eher Unternehmensgründungen erleichtern und beschleunigen, die dann Jobs schaffen. Jedem der Sozialpartner geht es allerdings darum, das Wachstum anzukurbeln. Solange die internationale Unsicherheit andauert, gibt es nur Möglichkeiten im jeweiligen Inland für gute Stimmung zu sorgen.

EZB hält dagegen

Auch die Europäische Zentralbank will gute Stimmung, und hat die Euro-Zinsen auf praktisch null gedrückt. Das umstrittene Ankaufprogramm von Wertpapieren soll die Banken entlasten. Die fallen als Kreditgeber für die mittelständische Wirtschaft weitgehend aus, so die Kritik der Wirtschaftspolitik. Stimmt nicht, kontern die Bankchefs. Es gibt einfach keine Kreditnachfrage. Und so wogt der Streit um die Verantwortung für das kaum noch sichtbare Wachstum auch in der EU. Während Länder wie Frankreich und Italien eine höhere Neuverschuldung in Kauf nehmen würden, will Deutschland die bestehenden Ausgaben effizienter einsetzen. Diese Debatte wird wohl noch einige Zeit weitergehen.