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Wo Tauben sind...

Von Reinhard Göweil

Wirtschaft

Seit 2000 sind in Österreich die Vermögen um 171,6 Prozent gestiegen, die Bruttolohnsumme nur um 35,7 Prozent.


Wien. Einmal im Jahr publiziert die Schweizer Großbank Credit Suisse ihren "Global Wealth Report" und lüftet den statistischen Schleier über der Welt der Reichen. 128.220 Haushalte verfügen über mehr als 50 Millionen Dollar, die Skala ist nach oben hin offen. Weltweit gibt es derzeit 18 Millionen Millionäre, und die Credit Suisse wagt einen Ausblick bis 2019: Die Zahl könnte auf mehr als 53 Millionen steigen. Da die Bank zu den weltweit größten Vermögensverwaltern zählt, ist das vermutlich eine brauchbare Schätzung. In Österreich gibt es derzeit 233.000 Millionäre, bis 2019 sollten es demnach etwa 700.000 werden. Nun sind diese Zahlen an sich schon recht interessant, vor allem vor dem Hintergrund der laufenden Verteilungs- und Steuerreform-Debatte.

Erstaunlich ist vor allem die Dynamik der Vermögensentwicklung. Wo Tauben sind, fliegen Tauben zu, einen anderen Schluss gibt es nicht. So ist das Gesamtvermögen der Österreicher seit 2000 um 171,6 Prozent gestiegen, auf etwa 1500 Milliarden Dollar. Bis 2019 dürften es 2100 Milliarden Dollar sein. Nur in Österreich, wohlgemerkt. Angesichts der zahlenmäßigen Verdreifachung der Millionäre würde bis 2019 die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter aufgehen.

Allein der Vermögenszuwachs von 171,6 Prozent seit 2000 überbietet sämtliche volkswirtschaftliche Indikatoren mit Leichtigkeit. Im selben Zeitraum ist das Bruttonationalprodukt, also die Wertschöpfung Österreichs, nur um 51,3 Prozent auf nunmehr 323 Milliarden Euro gestiegen. Noch trauriger schaut es bei der Bruttolohn- und Gehaltssumme der Arbeitnehmer aus. Die Arbeitnehmerentgelte sind seit 2000 bloß um 35,7 Prozent gestiegen und damit nur sehr knapp über der Inflationsrate des Zeitraums.

Für die Gewerkschaft sind die Zahlen Wasser auf ihre Mühlen. ÖGB-Präsident Erich Foglar forderte jüngst bei der Regierungsklausur, eine Lohnsteuersenkung so rasch wie möglich umzusetzen, um die Nettolöhne zu steigern. Auch die SPÖ will ja eine Vermögenssteuer einführen, um die Steuerreform finanzieren zu können. Diese soll ab einer Million greifen und würde gemäß aktueller Schätzung 2019 etwa 700.000 Steuerzahler betreffen. Die ÖVP wehrt sich allerdings mit Kräften, sie will keine Vermögenssteuern, da diese als Substanzsteuer vor allem Unternehmen träfe.

Krise überwunden, aber Sorgen beim Massengeschäft

Der Rekordwert bei der Vermögensbildung zeigt indes, dass in diesem Bereich die Krise überwunden ist. Vor allem die Zuwächse von Firmenwerten (auch über Aktien) sowie Immobilien ließen die Zahlen weiter steigen. Die Bank berechnet das Vermögen aus allen Arten abzüglich der Schulden eines Haushalts.

Die Vermögensentwicklung lässt allerdings mittlerweile auch bei Managern, die vom Massengeschäft leben, die Alarmglocken schrillen. Der Deutsche-Telekom-Chef Timotheus Höttges hat vorige Woche in einem Interview mit der "Frankfurter Rundschau" die zunehmenden Vermögensunterschiede in Deutschland kritisiert: "Wenn einige wenige riesige Vermögen anhäufen, die nicht mehr in die Realwirtschaft fließen, führt diese Ungleichheit zu Ungerechtigkeit. Ungerecht finde ich, wenn Menschen von ihrer Arbeit nicht leben können."

Auch die Manager von Supermarktketten machen sich Sorgen, denn die Vermögensschere zerschneidet auch Jung und Alt. Viele jüngere, gut ausgebildete Menschen arbeiten in prekären Arbeitsverhältnissen. "Wer wird in 20 Jahren unsere Produkte kaufen", fragt sich ein Lebensmittelmanager, der nicht namentlich genannt werden will. "Alles geht in Richtung Diskont, was aber den Preisdruck auf die Landwirtschaft weiter erhöhen wird und die Qualität von Lebensmitteln senkt." Denn natürlich sinkt die Konsumneigung vermögender Menschen. "Was macht ein Reicher mit einer zweiten Waschmaschine? Er kauft sich einmal eine teure, aber keine zweite, nur weil er reich ist", formulierte es ein Notenbanker.

Die immer weiter auseinander gehende Kluft bei den Vermögen führt - so eine Studie der Weltbank - zunehmend zu sozialen Unruhen. Diese Entwicklung wird etwa in Asien als "politisches Risiko" eingestuft, was - eine Ironie des Kapitalismus - durchaus Auswirkungen auf die Zinsen von Anleihen dieser Staaten haben kann. Und es weitet sich auch die digitale Kluft aus, da für Ärmere der Zugang zu den modernen Kommunikationstechnologien aufgrund der finanziellen Belastung schwieriger ist.

Eine europaweite Antwort auf die Vermögensentwicklung steht aus. Zwar hat die Europäische Zentralbank selbst begonnen, diese Zahlen für die 18 Euroländer aufzubereiten, doch es gibt keine politische Reaktion darauf. In Überlegung befindet sich eine Finanztransaktionssteuer, die allerdings ständig nach hinten verschoben wird und derzeit erst wieder 2016 auf dem Terminplan der Finanzminister steht. Bis dahin wird die Zahl der Millionäre weltweit bereits die 30-Millionen-Grenze überschritten haben.