Zum Hauptinhalt springen

Der Kassier in dir

Von Clemens Neuhold

Wirtschaft
© Clemens Neuhold

Die Supermarkt-Kassierin steht synonym für die Arbeit der Massen. Bis jetzt blieb sie von der Automatisierung unberührt.


Wien. Ab 24. Oktober zahlt man bei Merkur "kassomatisch". In der Filiale Mariahilfer Straße ersetzen acht "Self-Check-outs" jene Express-Kassen, die für Kunden mit wenig Waren reserviert waren, aber noch mit Personal auskamen. Bei den neuen Automaten kassiert sich der Kunde selbst ab.

Damit startet der Rewe-Konzern, zu dem auch Billa gehört, einen Neuanlauf. Denn Billa hatte das System bereits vor längerer Zeit getestet. "Das System wurde von den Kunden aber nicht angenommen und daher eingestellt", sagt Rewe-Sprecherin Ines Schurin. Auch bei Spar floppten einige Kassen. In 20 Filialen blieben sie. Beim neuen Eurospar in Perchtoldsdorf bei Wien gibt es vier Bedien-Kassen und vier Expresskassen. Diese Expresskassen dominieren bereits den Kassenbereich; der Kunde strebt automatisch darauf zu. Die besetzten Kassen schließen links und rechts schüchtern daran an.

Einkassiert?

Tanken, Flüge einchecken, Geld überweisen: Die Automatisierung und Digitalisierung der Dienstleistungsbranche ist voll im Gange - und damit auch der Ersatz von Mensch durch Maschine.

Die klassischen Supermärkte schienen davon noch unberührt. Was, wenn die neue Self-Scan-Kasse Schule macht? Muss die viel zitierte "Billa-Kassierin", die synonym für Niedrig-Lohn-Arbeit der Massen steht, um ihren Job zittern? In Großbritannien verzichtet die drittgrößte Supermarktkette Tesco in Testfilialen bereits zur Gänze auf Kassa-Personal. Die zweitgrößte Kette, Carrefour, führte die Geräte in Frankreich im großen Stil ein.

"Keine Zeit zu verlieren"

Beim Lokalaugenschein an einem Mittwoch Mittag ist nur eine Kassierin im Einsatz. Eine kleine Schlange hat sich gebildet. Die Expresszone in der Mitte wirkt verlockend. Hell, schnell, keine Schlange. Die ersten Kunden weichen aus und betreten das Neuland der Selbstbedienung.

Ohne Umweg steuert ein Mann mittleren Alters darauf zu. Er hat den inneren Kassier in sich längst entdeckt. Er zieht seine Wurstsemmel fast beiläufig über den Scan, dann eine Packung Kekse, legt beides auf die Waage daneben und zahlt bar. Die Waage dient als Kontrolle. Gewicht und Wareneingabe müssen übereinstimmen. "Danke, dass sie die Expresskasse benutzt haben", sagt eine freundliche Frauenstimme. "Warum anstellen, wenn ich es hier selbst erledigen kann?", sagt er. Beim Großeinkauf lasse er sich aber weiterhin bedienen.

Nicht so eine ältere Dame. Mit einer jüngeren Freundin scannt sie eine ganze Wagenladung ein. Beim Zahlen mit der Karte stockt sie. Eine für den Express-Bereich abgestellte Mitarbeiterin beobachtet sie und eilt herbei. Die Szene erinnert an die ersten Check-in-Automaten am Flughafen. "Das nächste Mal klappt’s. Ich bin 91, da muss man offen für Neues sein", sagt die Dame vergnügt. "Und Zeit zu verlieren hab ich auch keine."

In Studien werden die Personalkosten im Kassenbereich auf 25 bis 30 Prozent geschätzt. Wie viel spart sich Spar künftig?

Nichts, sagt Spar-Sprecherin Nicole Berkmann. "Wo sonst eine Kassierin sitzt, werden jetzt von einem Mitarbeiter mehrere Expresskassen betreut. Da die Kassierin aber schneller ist als die Kunden selbst und Expresskassen mehr Platz brauchen, bleibt in Summe der Personaleinsatz wieder gleich."

Schnelligkeit ist relativ

Warum heißt sie aber "Express-Kasse", wenn die Kassierin schneller ist? Weil Schnelligkeit relativ ist. Sie hängt von der Anzahl der Kassierinnen und vom Kundenandrang ab. Außerdem gäbe es ja für Stoßzeiten auch Expresskassen mit Personal. Bei Merkur werden sie nun ersetzt.

"Das macht nur Sinn in Relation dazu, dass man zu wenig andere Kassen hat", sagt Arbeits-Soziologe Jörg Flecker zur Umstellung auf Self-Scan-Kassen. "Die Konzerne nutzen die Zeit ihrer Konsumenten. Bezahlte Arbeit wird in unbezahlte verwandelt."

Warum spielen die Kunden mit? Weil ihnen "Incentives" geboten werden. Beim Online-Banking ist der Kunde unabhängig von den Öffnungszeiten der Bank, für manche Zugtickets zahlt man am Schalter mehr als online, das Buch von Amazon kommt frei Haus, im Supermarkt umgeht man die Warteschlange. Und wo liegen die Vorteile für die Konzerne? "Ohne Einsparungen beim Personal machen teure Investitionen in Maschinen betriebswirtschaftlich keinen Sinn", glaubt Flecker langfristig nicht an ein Nullsummenspiel. Nicht zuletzt die Hersteller der Automaten werben damit, dass sich diese in kurzer Zeit rechnen.

Und das benötigte Hilfspersonal im Expressbereich? In anderen Branchen sei zu beobachten gewesen, dass das Hilfspersonal abnahm, sobald sich die Kunden auskannten, sagt Flecker.

Auch die Gewerkschaft beäugt die Wachablöse von Mensch durch Maschine skeptisch. Als Ikea Deutschland den flächendeckenden Einsatz von Selbstbedienungskassen beschloss, warnte die Gewerkschaft Verdi vor dem Verlust tausender Arbeitsplätze. In Österreich setzt Ikea in der SCS weiterhin bloß auf zwei "Self-Check-outs".

Schöne neue Welt?

Der "automatische" Supermarkt beschränkt sich längst nicht mehr auf den Kassenbereich. Billa setzt bei der "Best-Preis-Garantie" auf eine elektronische Preisauszeichnung, die zentral gesteuert ist, aber aussieht wie echt. "Wir testen weiterhin Optionen", sagt Schurin. Es sei eine Erleichterung für die Mitarbeiter.

Spar hat in den letzten fünf Jahren über 7000 neue Mitarbeiter aufgenommen - keine Spur vom Ersatz Mensch durch Maschine. Fürs Gesamtbild müsse man aber berücksichtigen, wie sehr der Handel in Österreich auf wenige Ketten konzentriert ist und wie viele andere Geschäfte aus dem Markt fliegen, sagt Flecker. Bei großen Playern sei Rationalisierung und Personalaufstockung kein Widerspruch.

Mach du, Maschine

In der Geschichte der Arbeit war die Maschinisierung positiv konnotiert - sie stand für mehr Freizeit und weniger Anstrengung. Um die verbleibende Arbeit auf mehr Köpfe aufzuteilen und die Kaufkraft zu halten, sank die Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Seit den 80ern wehren sich Arbeitgeber mit Hinweis aufs globale Kostenmatch dagegen. Gewerkschaften scheinen machtlos.

Im Handel sind Arbeitszeiten längst verkürzt. Teilzeit boomt. Die geht mit Lohnverzicht einher. Mit den neuen Self-Scan-Kassen kommt eine gänzlich unbezahlte Teilzeitkraft dazu: der Kunde.