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Viele bleiben auf ihrem Schuldenberg sitzen

Von Sophia Freynschlag

Wirtschaft
Unerwartete Zahlungen können die Schuldenspirale in Gang setzen. Besonders gefährdet sind Alleinerzieherinnen.
© fotolia/Gina Sanders

Zahl der Privatkonkurse ist heuer gesunken - viele Schuldner können Mindestquote nicht erfüllen.


Wien. Allein in Wien melden sich 600 bis 700 Personen pro Monat für die Schuldnerberatung an - die Zahl der Ratsuchenden ist heuer um 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. "Diese Zahlen sind alarmierend", sagte Alexander Maly von der Schuldnerberatung Wien bei einer SPÖ-Klubenquete im Parlament. Die Zahl der Privatkonkurse sinkt hingegen: Heuer in den ersten drei Quartalen wurden rund 6300 Schuldenregulierungsverfahren eröffnet, um knapp elf Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Ein Grund dafür ist die hohe Arbeitslosigkeit - jeder zweite Schuldner hat keinen Job.

"Immer mehr Menschen können die Kriterien für einen Privatkonkurs nicht erfüllen", sagt Maly. Wer am Existenzminimum lebt, kann sich nicht über einen Privatkonkurs entschulden - und bleibt auf seinen Schulden sitzen.

Seit der Einführung des Privatkonkurses 1995 in Österreich haben sich fast 110.000 Personen für das Schuldenregulierungsverfahren angemeldet. Angesichts der deutlich höheren Anzahl von überschuldeten Personen ist für viele die Mindestquote von zehn Prozent eine zu große Hürde. "Wenn ein Großteil der betroffenen Personengruppe die Entschuldung nicht erreicht, stimmt etwas nicht", sagt Georg Kodek, Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien und Richter am Obersten Gerichtshof.

Hundstorfer sieht Deutschland bei Reform als Vorbild

Die Mindestquote von zehn Prozent sei relativ starr, sagt Kodek. Bei den Billigkeitsgründen müsste der Gesetzgeber großzügiger sein. Derzeit kommt es auf das Gericht an, ob der Schuldner in Privatinsolvenz von seiner Restschuld befreit wird, auch wenn die Gläubiger weniger als zehn Prozent ihrer Forderungen erhalten haben. Zu den Billigkeitsgründen zählt etwa Erwerbsunfähigkeit bei Krankheit oder Unfall.

"Auf Expertenebene wird derzeit diskutiert, die Billigkeitsgründe zu erweitern, die derzeit sehr stark begrenzt sind", sagt ein Sprecher von Justizminister Wolfgang Brandstetter.

Zudem schlägt Kodek vor, die Dauer bis zur Restschuldbefreiung von derzeit sieben auf fünf Jahre zu verkürzen. Die Dauer des Abschöpfungsverfahrens, in dem der Schuldner gepfändet wird, sei hierzulande vergleichsweise lang. "Das Privatinsolvenzrecht ist verbesserungswürdig", sagt Sozialminister Rudolf Hundstorfer. Er sieht Deutschland als Vorbild: Dort werden Schuldner seit Juli bereits nach drei Jahren von den Schulden befreit, wenn sie mindestens 35 Prozent der Gläubigerforderungen sowie die Verfahrenskosten für Gericht und Insolvenzverwalter zahlen. Für eine Entschuldung nach fünf Jahren müssen die Schuldner die Kosten für das Insolvenzverfahren übernehmen, sonst dauert das Verfahren wie bisher sechs Jahre. In Österreich kann ein Schuldner frühestens nach drei Jahren vom Rest seiner Schulden befreit werden, wenn er 50 Prozent der Forderungen begleicht.

Am Anfang steht oft der Kontoüberzug

Diese Quote schaffen aber nur die wenigsten. Über Jahre wachsen die Schulden auf durchschnittlich 40.000 bis 70.000 Euro an. Die Überschuldung beginne meist mit dem Kontoüberzug, sagt Maly. Besonders für Alleinerzieher kann eine unvorhergesehene Zahlung - wenn die Waschmaschine kaputt oder die Therme defekt ist - die Schuldenspirale in Gang setzen. Werden Kredite über längere Zeit nicht bedient, können sich die Schulden innerhalb von vier Jahren verdoppeln.

Dazu kommt, dass vor allem junge Menschen Konsumgüter als Statussymbol ansehen - eine Ratenzahlung für einen Fernseher oder ein Null-Euro-Handy mit Vertragsbindung wirken oft aber nur auf den ersten Blick verlockend. Durch Initiativen wie den Finanzführerschein sollen Jugendliche den Umgang mit Geld lernen. Außerdem soll laut Sozialministerium demnächst ein Grundsatzerlass das Unterrichtsprinzip Verbraucherbildung verankern.