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Das Ende des Konsenses

Von Cathren Landsgesell

Wirtschaft

Den Wirtschaftswissenschaften würde mehr Interdisziplinarität nicht schaden, sagt der US-Ökonom Garett Jones.


Wien. Lässt die Krise die Ökonomie als Wissenschaft ungerührt oder beginnt sie, sich zu verändern? Der Wirtschaftswissenschaftler Garett Jones sieht keinen Paradigmenwechsel heraufziehen, stellt aber fest, dass die Wirtschaftswissenschaft stärker am Schubladendenken festhält als die Wirtschaftspolitik. Erstere hätte die vorhandenen Instrumente besser nutzen können, um die Krise früher zu erkennen.

"Wiener Zeitung": Der Ausbruch der jüngsten Finanzkrise in den USA liegt sechs Jahre zurück. Die Rezession hält an. Hat die Krise die Theoriegebäude der Wirtschaftswissenschaft erschüttert?Garett Jones: Es ist leider gerade eine besonders interessante Zeit, Wirtschaftswissenschafter zu sein. Gut ist, dass jetzt eine Menge neuer Ideen diskutiert werden. Das zeigt aber auch, dass der Konsens, den wir in den 1980er und 1990er Jahren entwickelt hatten, ein paar Engführungen aufweist. Die Erklärungsmuster funktionieren eigentlich nur in ökonomisch stabilen Phasen. Das ist jetzt vorbei.

War die Konsens-Ökonomie - also die Neoklassik - besonders unfähig, die Zeichen der Krise zu erkennen, weil man zum Beispiel an der Vorstellung der "Great Moderation" festhielt?

Wirtschaftswissenschafter und Wall-Street-Banker haben das Risiko für einen Crash für winzig gehalten. Nicht aus ideologischen Gründen, sondern einfach, weil das in den USA seit vielen Jahrzehnten nicht vorgekommen war. Wenn die Great Moderation - die es ja tatsächlich gegeben hat - in den Wirtschaftswissenschaften diskutiert wurde, dann aber in dem Sinne, in dem Ben Bernanke (2006 bis Anfang 2014 Chef der US-Notenbank, Anm.) das Phänomen in seiner Rede von 2004 verstand - als ein Ergebnis von Politik, Strukturveränderungen und Glück. Bernanke benutzt das Wort Glück 17 Mal in seiner Rede. In der Ökonomie feierte man die Great Moderation nie als Überwindung des Konjunkturzyklus.

Trägt denn der Konsens Verantwortung für die Krise oder wurden Fehler gemacht?

Ich denke, der größte Fehler war, nicht zu erkennen, wie viel Geld auf den Finanzmärkten akkumuliert wurde. Die Wirtschaftswissenschaften hätten auch dem System der Schattenbanken mehr Aufmerksamkeit widmen müssen.

Hätte man die Wirtschaftskrise also früher erkennen können?

Bis zu einem gewissen Grad kann man Krisen oder auch Blasen vorhersagen, aber ihre wirkliche Größe zu bestimmen, ist schwer. Ein zweites Problem ist, dass viele Ökonomen die hohe Verschuldungsquote nicht wirklich beachtet haben. Man hat wahrscheinlich gedacht, dass man die Risiken durch Versicherungen eindämmt. Aber die Verschuldungsquote der Banken in Kombination mit der großen Geldmenge sind die Grundlage für die Blase, die dann geplatzt ist. Und das weiß die Wirtschaftswissenschaft ja im Prinzip. Man hat nur nicht darauf geachtet.

Beobachten Sie jetzt ein Umdenken in der ökonomischen Theorie?

Das theoretische Werkzeug, um Blasenbildung und Verschuldung zu verstehen, war ja bereits da. Ein Beispiel: Es gibt ein ausgezeichnetes Kapitel zur Bildung von Blasen in einem Ökonomie-Lehrbuch, dessen Mitherausgeber Stanley Fischer ist, der stellvertretende Vorsitzende der Zentralbank. Bernanke ist der Co-Autor von Theoriemodellen zur Verschuldung wie auch einer Reihe wichtiger empirischer Untersuchungen zu Verschuldung und Konjunktur. Ich hoffe, dass sich die kommenden Generationen mit den Themen weiter auseinandersetzen und sich mit der Geschichte von Finanzkrisen beschäftigen.

Bisher sind die Studierenden der Wirtschaftswissenschaften nicht besonders glücklich. Es gibt internationale Bewegungen wie "Rethinking Economics", die unter anderem mehr Pluralität und Interdisziplinarität in der ökonomischen Lehre fordern.

Natürlich sollten sich Ökonomen mehr mit Geschichte, Soziologie und Philosophie befassen. Wirtschaftswissenschafter haben Einfluss, sie sollten auch viel wissen. Viele Leute, die an wirtschaftspolitischen Schlüsselstellen sitzen, sind auch heute eher ökumenisch denkende Ökonomen. Ben Bernanke zum Beispiel war ja definitiv jemand, der neoklassische, keynesianische und monetaristische Ideen verbunden hat. Seine Nachfolgerin Janet Yellen hat eher soziologisch gearbeitet. Stanley Fischer kommt aus der Politik und denkt eher historisch. Die Wirtschaftspolitik ist in diesem Sinne viel ökumenischer als die Wirtschaftswissenschaft.

Müssen sich Curricula an den Universitäten nach der Krise ändern?

An meinem Department arbeiten wir interdisziplinär. Das wäre auch für die Lehre ein richtiger Zugang. Die neue Generation von Ökonomen, die in Blogs und Social Media publiziert, ist ja ganz anders orientiert, das wird in den nächsten zehn, zwanzig Jahren noch interessanter werden.

Wird es also einen Paradigmenwechsel geben?

Kein Paradigmenwechsel, nein. Ich glaube, die wirtschaftswissenschaftliche Kultur wird sich dramatisch ändern. Dieses Denken in Schubladen wird weniger Bedeutung haben.

Zur Person

Garett Jones

ist US-Wirtschaftswissenschafter und lehrt an der George Mason University in Virginia sowie am dortigen Mercatus Center. Er selbst rechnet sich keiner bestimmten Theorierichtung zu. Die "Konsensökonomie" bezeichnet die an Universitäten und Hochschulen seit den 1980er Jahren in Forschung und Lehre dominierende ökonomische Theorie, eine Fusion aus neoklassischen und Neo-Keynesianischen Denkansätzen. Weltweit setzen sich Wirtschaftsstudenten inzwischen für mehr Pluralität ein.