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Ausgelaugt und ausgebeutet?

Von Sophia Freynschlag

Wirtschaft
Weniger als 1000 Euro brutto pro Monat verdienen viele selbständige Personenbetreuerinnen, Dumpingangebote verschärfen den Preiskampf.
© fotolia/CHW

Anstrengender Arbeitsalltag und wenig Honorar für 24-Stunden-Betreuer.


Wien. Sie betreuen Pflegebedürftige rund um die Uhr - und erhalten dafür weniger als 1000 Euro brutto pro Monat. Unter den 24-Stunden-Betreuerinnen "herrscht ein Preiskampf", sagt die slowakischstämmige Personenbetreuerin und -vermittlerin Bibiána Kudziová. Rumäninnen sind laut Branchenvertretern schon für 600 Euro in der 24-Stunden-Pflege tätig und bleiben ein bis drei Monate am Stück bei der pflegebedürftigen Person. Zum Vergleich: Der Mindestlohn in Rumänien liegt aktuell bei rund 220 Euro.

Auch aus Litauen werden immer mehr Personenbetreuerinnen - oft zu Dumpingpreisen - vermittelt, sagt Kudziová, die für den VP-nahen Wirtschaftsbund bei den Wirtschaftskammerwahlen antritt. Der Bedarf an 24-Stunden-Pflege steigt, Ende 2014 haben fast 21.000 Menschen eine Förderung zur 24-Stunden-Betreuung bezogen. Üblich sind zwei Wochen lange Dienste, im Wechsel mit einer Kollegin. Mehr als 50.000 aktive Personenbetreuerinnen sind hierzulande tätig. Damit stellen sie eine große Berufsgruppe in der Wirtschaftskammer - und auch eine große Unbekannte bei den Wahlen in eineinhalb Wochen.

Mindesthonorar gefordert

Der Alltag einer Pflegerin ist sowohl körperlich als auch geistig anstrengend, Pausen sind laut den Erzählungen von 24-Stunden-Betreuerinnen selten. "Oft verlangen Familien, dass man im gleichen Raum wie der Patient schläft. Dann hat man keine Sekunde zum Abschalten", sagt die Slowakin Eva Strycková, die seit sechs Jahren in der Personenbetreuung tätig ist. Eine Kollegin musste im Keller schlafen, wo der Putz auf sie herabfiel; viele müssten ihr Essen selbst mitbringen, so Strycková, die in der Berufsgruppe der Personenbetreuer als Spitzenkandidatin des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbands (SWV) antritt.

Mitunter lege die Vermittlungsagentur auch im Vertrag fest, dass die Personenbetreuerin den Transport über Taxifirmen aus der Slowakei nutzen muss, so Kudziová. Das Taxi holt die 24-Stunden-Betreuerinnen in der Slowakei ab und nimmt Betreuerinnen, die in Österreich im Einsatz waren, auf der Rückfahrt mit.

Vor allem für Frauen aus Osteuropa erscheint die 24-Stunden-Pflege angesichts düsterer Jobaussichten im eigenen Land als Chance. Doch immer wieder werden Betreuerinnen von Agenturen getäuscht und glauben, dass sie als Angestellte arbeiten werden - über die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung der Gewerblichen Wirtschaft (SVA) werden sie nicht informiert, so Kudziová.

24-Stunden-Betreuerinnen seien tagtäglich mit miserabler Bezahlung, fehlender sozialer Absicherung und mangelnder Information über sozialrechtliche Ansprüche sowie Gier der Agenturen konfrontiert, sagt Strycková. Sie forderte am Freitag bei einer Pressekonferenz anlässlich der Wirtschaftskammerwahl gemeinsam mit SWV-Präsident Christoph Matznetter ein gesetzliches Mindesthonorar von 1200 Euro für Personenbetreuerinnen. Matznetter kritisierte die "Ausbeutung" von Pflegerinnen: "Rund um die Vermittlung von 24-Stunden-Pflege hat sich ein großer Wirtschaftszweig entwickelt."

Vom gesetzlichen Pflegegeld und den Zuschüssen von Bund und Ländern zur 24-Stunden-Pflege kassieren Agenturen Provisionen von Pflegebedürftigen und Personenbetreuerinnen, so der Vorwurf des SWV. Neben einer einmaligen Vermittlungsgebühr werden monatliche Gebühren verrechnet.

Geld nur für seriöse Agenturen

Sowohl SWV als auch Wirtschaftsbund wollen Mindeststandards für die 24-Stunden-Betreuung. Nur Vermittler, die die Mindeststandards einhalten, sollen öffentliche Förderungen bekommen, sieht Matznetter das Sozialministerium am Zug. Das Honorar wird nämlich häufig über die Vermittler und nicht direkt an die Betreuerinnen ausgezahlt. "Natürlich muss man unseriöse Agenturen stoppen", so Gertrude Aubauer vom Seniorenbund, ÖVP-Seniorensprecherin im Nationalrat.

Die Grünen mahnen dazu, endlich Nägel mit Köpfen zu machen und ein Gütesiegel für die Ausübung der Vermittlungstätigkeit von Pflegepersonal sowie Ausbildungserfordernisse für die Ausübung der Personenbetreuung einzuführen. Für den Start als Personenbetreuerin braucht man derzeit nur einen Gewerbeschein.

In der Wirtschaftskammer werden bereits Qualitätskriterien für die Zertifizierung von Agenturen erarbeitet. Sozialminister Rudolf Hundstorfer unterstützt die Forderung nach fairen Pflege-Vermittlungsagenturen und kündigte am Freitag eine rasche Gesprächsaufnahme mit dem Wirtschaftsministerium und der Wirtschaftskammer an. Bald sollen Personenbetreuerinnen auch Informationen in der jeweiligen Landessprache über sozialversicherungsrechtliche Ansprüche sowie zweisprachige Hilfe beim Ausfüllen der Formulare zur Verfügung gestellt werden, versprach Hundstorfer. Zudem sollen die Gewerbeberechtigungen für Personenbetreuer und Vermittlungsagenturen getrennt werden.

Die für Personenbetreuer zuständige Gewerkschaft Vida geht noch einen Schritt weiter und fordert das Ende der 24-Stunden-Betreuung auf selbständiger Basis, die seit 2007 legal ist. Der stellvertretende Vida-Vorsitzende Willibald Steinkellner ortet Arbeitnehmer zweiter Klasse und Scheinselbständige. Dass Alternativen zum bestehenden System teurer wären, will er nicht als Argument gelten lassen: "Es kann nicht sein, dass die Frage der Finanzierung auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird."