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"Erfolg ist die Mutter des Misserfolgs"

Von Walter Hämmerle

Wirtschaft
© Simon Rainsborough

Ex-Deutsche-Telekom-Vorstand Thomas Sattelberger über Versäumnisse europäischer Konzerne beim Technologiewandel.


Wien.Thomas Sattelberger ist so etwas wie der Guru einer neuen Generation von Personalern. Seit Jahrzehnten zieht der ehemalige Vorstand der Deutschen Telekom durch die Wirtschaftswelt und predigt ein neues Management, das auf Vielfahrt von Zugängen und Persönlichkeiten beruht.

Am Montagabend diskutierte Sattelberger mit Matthias Reisinger, Managing-Director des Impact Hub Vienna, auf Einladung der "Wiener Zeitung" und des Europäischen Forums Alpbach im Wien Museum über "Einfalt statt Vielfalt - Wie Unternehmen den Wandel verschlafen".

"Wiener Zeitung": Herr Sattelberger, drohen unsere Unternehmen den technologischen Wandel, der unsere Zeit prägt, zu verschlafen?Thomas Sattelberger:Für Deutschland jedenfalls kann ich sagen: Egal ob Automobil-, Chemie- oder Energiebranche, die Innovationen finden nicht mehr bei uns statt, sondern in Teilen Asiens, zum größten Teil aber in den USA. Erfolg ist leider die Mutter des Misserfolgs, wir kommen aus den alten, sehr erfolgreichen Pfaden nicht heraus, deshalb laufen wir Gefahr, den Zug der Zeit zu verpassen. In der Autobranche hat sich die Wettbewerbslogik völlig auf den Kopf gestellt: Früher ritterte Mercedes gegen BMW und Audi, heute stehen sie in Konkurrenz zu Tesla, Google und Toyota, wenn es um E-Mobilität, Software und Brennstoffzellenautos geht. Unsere erfolgsverwöhnten Konzerne haben ihre Innovationskraft verloren.

Ist das wirklich nur ein Managementproblem oder nicht doch ein sehr viel tiefer gehendes gesamtgesellschaftliches Problem?

Ja und nein. Nehmen Sie den Energieriesen Eon, der sich jetzt in ein altes und ein neues Energiegeschäft aufspalten will. Diese Entscheidung hat nicht nichts mit tieferen sozialen oder politischen Entwicklungen zu tun, das hätte das Management schon vor fünf Jahren beschließen können, nur wurde das verschlafen. Gleichzeitig erleben wir eine Phase nationaler Erstarrung. Ich sehe es mit Sorge, wie die Politik zwar IT-Gipfel abhält, aber das Thema der Digitalisierung der Wirtschaft industriepolitisch überhaupt nicht begleitet. Das gilt auch für die ausgerufene Bildungsrevolution, bei der bei näherem Hinsehen kaum etwas weitergegangen ist. Ja, Deutschland und auch Österreich haben die Krise der vergangenen Jahre besser überstanden als die meisten anderen europäischen Staaten, aber jetzt droht der Erfolg notwendige Veränderungen zu blockieren. Das kann noch sehr ungemütlich werden.

Wie lautet das Gegenrezept gegen diese Erstarrung?

Zunächst geht es darum: Haben wir kreative Ökologien neben den etablierten Strukturen, wo etwas Neues heranwächst? Wichtig ist: Es geht also nicht um autistische Gründerszenen, sondern um nachhaltig erfolgreiche Strukturen. Die andere Frage ist: Zeigen die großen Flaggschiffe unserer Wirtschaft, dass sie frühzeitig reformfähig sind? Nehmen Sie Volkswagen: Dieser Konzern versucht nur noch über Größe und Verkaufszahlen seine Position zu halten; oder Bayer und BASF, die über den Kauf von Start-ups ihre verlorene Dynamik und Innovationskraft zurückgewinnen wollen. Entscheidend ist, innerhalb etablierter Strukturen Freiräume für Experimente zu schaffen. Eines der wenigen positiven Beispiele ist BMW mit seinem i3. Das Kerngeschäft voranzutreiben, aber gleichzeitig Ressourcen freizustellen, die sich um innovative Geschäftsfelder kümmern: Das muss in Zukunft unser Weg sein.

Lässt sich Innovation überhaupt generalstabsmäßig planen? Geniale Erfindungen passieren ja nicht selten quasi nebenbei, mitunter sogar in der Badewanne.

In der Badewanne oder im Elfenbeinturm entsteht Innovation nur noch in Ausnahmefällen. Und es reicht auch nicht mehr, die Berater von McKinsey oder Roland Berger zu engagieren. Was wir brauchen, sind Arbeitskulturen, in denen die vorhandenen und neuen Talente den Freiraum finden, zu testen und zu experimentieren, um so über den Prozess des Scheiterns den Weg zum Erfolg zu entdecken. Das in klassische Konzerne zu integrieren, ist alles andere als leicht, weil diese linear auf die Erfüllung von Margen programmiert sind. Aber Innovationen entstehen heute in erster Linie in der Peripherie einer Organisation als in den Strategieabteilungen.

Haben wir die richtigen Köpfe, die richtigen Mentalitäten für dieses kreative Scheitern, das schließlich doch zum Erfolg führt?

Wenn Sie mich so fragen, muss ich mit nein antworten. Wir bestrafen Scheitern gnadenlos. Ich bin aber gleichzeitig überzeugt, dass, wenn wir Menschen ein neues Umfeld bieten, ihre verschütteten kreativen Fähigkeiten dann schnell wieder zum Vorschein kommen. Heute suchen die Jungen ihr Heil in der Work-Life-Balance, weil die Unternehmen ihnen keine Sinnstiftung mehr anbieten. Wenn sich das wieder ändert - und der Sinn von Unternehmen besteht ja nicht in der Erfüllung von Vorstandsvorgaben -, dann investieren die Mitarbeiter auch ihre Energien.

Haben Sie das Gefühl, die Unternehmen haben das Problem erkannt und arbeiten an Lösungen?

Nimmt man die touristischen Besuche unserer Eliten ins Silicon Valley als Maßstab, dann ja. Die Wirtschaftsführer haben erkannt, dass sie die mitunter disruptiven und destruktiven Folgen von Digitalisierung und Globalisierung mit den wirtschaftspolitischen Traditionen Deutschlands, Österreichs und Frankreichs nicht mehr bewältigen können. Die nächste Frage ist nun: Wie gehen wir mit dieser Erkenntnis um? Und haben wir die Manager und Managerinnen, die die Transformation ihrer Unternehmenskulturen hinbringen? Hier habe ich meine Zweifel.

Entscheidend wird sein, wie Unternehmen das Klonen ihrer Talente verhindern. Wir müssen aus dem uniformen Denken unserer Managementtraditionen ausbrechen. Dringend.

Zur Person

Thomas Sattelberger, geb. 1949, studierte als Lehrlingsstudent bei Daimler Benz Betriebswirtschaft; von 2007 bis 2012 war er als Personalvorstand bei der Telekom einer der einflussreichsten Manager Deutschlands. Hier setzte sich der Buchautor und Kolumnist als Verfechter des Diversity Management u.a. für eine 30-prozentige Frauenquote ein.