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Wer braucht den Orgelbauer?

Von Sophia Freynschlag

Wirtschaft

Kritik an zu spezialisierten Lehrberufen - diese könnten die Karrieremöglichkeiten bei Jobwechsel einschränken.


Wien. Aus 250 Lehrberufen können Jugendliche derzeit in Österreich wählen - diese sind teilweise sehr speziell: Vom Orgelbau bis zur Reinigungstechnik reicht die Liste, und mit Juni sollen vier neue Lehrausbildungen hinzukommen. Neue Berufe werden meist auf Wunsch der Arbeitgeber eingeführt, etwa der Rezeptionist. "Wenn Spezialberufe nicht eingeführt werden, gibt es bestimmte Lehrplätze nicht", sagt Mario Steiner, Bildungsforscher vom Institut für Höhere Studien (IHS). Das Problem dabei: "Entwickelt man ein zu enges Berufsbild, besteht die Gefahr, zukünftige Arbeitslose zu produzieren." Eine zu spezielle Ausbildung könnte die Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten in 10 bis 20 Jahren einschränken.

Gegen zu frühe Spezialisierung

Steiner spricht sich gegen eine zu frühe Spezialisierung aus: "Lehrlinge brauchen eine breite Basisausbildung, auf der man aufbauen kann. Modullehrberufe sind sinnvoll, weil Lehrlinge flexibler sind und sich später auch leichter umorientieren können." Seit 2006 wurden neun Modullehrberufe eingeführt, mit Juni kommen zwei dazu. Auf ein gemeinsames Grundmodul bauen dabei Haupt- und Spezialmodule auf. Im Berufsfeld Mechatronik werden etwa mit dem Lehrberufspaket 2015 die drei bestehenden Lehrberufe in eine modulare Ausbildung zusammengefasst. Wolfgang Bliem vom Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw) sieht mittelfristig die großen Bereiche nun weitgehend mit Modul-Lehrberufen abgedeckt.

Die Jobaussichten hängen vom gewählten Beruf ab - während die Friseurinnenlehre überlaufen ist, werden Mechatroniker gesucht. "Wichtig ist, dass ein Abschluss da ist", betont Steiner. "Die Jobaussichten für Fachkräfte sind sehr gut gegenüber jenen ohne Ausbildung", so Bliem. Ende März waren von 100 Wiener Pflichtschulabsolventen mehr als 37 arbeitslos. Bei Lehrabsolventen waren es knapp 12 Prozent.

Die Zahl der Lehrstellensuchenden stieg österreichweit um sieben Prozent auf 5000, ihnen stand eine gesunkene Anzahl an sofort verfügbaren Lehrstellen (knapp 3200, Minus 3,5 Prozent) gegenüber.

Blum sieht Imageproblem

Ein Imageproblem der Lehre ortet Egon Blum, Regierungsbeauftragter für Jugendbeschäftigung und Lehrlingsausbildung von 2003 bis 2008: "Die Mehrzahl der Betriebe bildet gut aus. Aber zu viele Unternehmen bilden schlecht aus." Rund 14 Prozent der Betriebe bilden Lehrlinge aus, künftig werden laut AMS immer mehr Jugendliche auf überbetriebliche Lehrplätze angewiesen sein. Und das, obwohl sich die Zahl der Lehrlinge im ersten Lehrjahr nach einem Tiefpunkt 2017 (33.800) bei 34.000 bei 35.000 einpendeln wird. Zum Vergleich: 2000 bis 2012 haben nie weniger als 40.000 eine Lehre begonnen.

Vier von zehn Lehrverhältnissen wurden 2013 vorzeitig aufgelöst, Tendenz leicht steigend. "Tausende brechen jedes Jahr die Lehre ab, weil sie schlecht informiert oder am Lehranfang zu oft für berufsbildfremde Tätigkeiten eingesetzt werden", so Blum. In der Öffentlichkeit herrsche die Meinung vor, dass Jugendliche mit schlechten Schulzeugnissen in eine Lehre passen und jene mit guten Noten den weiterbildenden Schulen zugeführt werden sollten.

Zwischenprüfung wird getestet

Mehr als jeder Fünfte schafft zudem die Lehrabschlussprüfung nicht. Blum kritisiert: "Derzeit wird kein einziges Mal zwischen Beginn und Ende der Lehrzeit nachgeprüft, ob der Lehrling etwas gelernt hat." Die 2008 eingeführte Zwischenprüfung wurde 2009 abgeschafft. Als Pilotversuch führt die Regierung nun im Modulberuf Labortechnik rund um das zweite Lehrjahr eine Zwischenprüfung ein, die bei Bestehen auf die Lehrabschlussprüfung angerechnet wird.

In einigen Lehrberufen wurde zuletzt kein einziger Lehrling ausgebildet - unter anderem als Posamentierer (Herstellen von Schnüren, Bänder, Kordeln). Das neue Berufsbild Textilgestaltung fasst die bestehenden Berufe Posamentiererei, Stickerei, Strickwaren und Weberei zusammen.

Als regulärer Lehrberuf wird nach einem Ausbildungsversuch der Hufschmied wieder eingeführt. Grund dafür ist laut Bliem der Boom des Pferdesports im gesundheitlich-therapeutischen Bereich. Spezialisierung zahlt sich hier offenbar aus: Das ibw schätzt die Jobchancen für die 13 Lehrlinge Ende 2014 als sehr gut ein.