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Autonomes Fahren fordert Kfz-Versicherer heraus

Von Andrea Möchel

Wirtschaft

Selbstfahrende Autos sollen den Straßenverkehr sicherer machen. Doch wer haftet, wenn doch etwas passiert?


Wien. Ob Spurassistent oder elektronische Einparkhilfe - zahlreiche Assistenzsysteme entschärfen schon heute so manche Stresssituation im Straßenverkehr. Doch das ist erst der Anfang. In Zukunft werden vollautomatisierte, selbstfahrende Autos zunehmend auf den Straßen unterwegs sein. Das belegt die Studie "Autonomous Driving" des Unternehmensberaters McKinsey & Company. Die Autobranche müsse sich auf kürzere Entwicklungszyklen und neue Wettbewerber aus der IT- und Hightech-Branche einstellen. Und: Autonomes Fahren habe das Potenzial, auch andere Sektoren wie die Logistik, die Stadtplanung und nicht zuletzt die Versicherungen gravierend zu verändern.

"Das Geschäftsmodell der Kfz-Versicherungen steht vor massiven Änderungen", prophezeien die Analysten. "Bisher stehen individuelle Versicherungen aller Verkehrsteilnehmer gegen menschliches Versagen im Fokus, künftig liegt das Augenmerk auf der Versicherung weniger Autohersteller sowie Flottenorganisationen gegen technisches Versagen der Fahrzeuge."

Rechtliche Herausforderungen

"Tatsächlich liegt die Herausforderung für die Kfz-Versicherungsbranche vor allem im rechtlichen Bereich", bestätigt Norbert Griesmayr, Generaldirektor der VAV-Versicherung, auf Anfrage der "Wiener Zeitung". "Es muss unter anderem die Verantwortung und Haftung bei einem Unfall rechtlich klar geregelt sein."

Das autonome Fahren wirft dabei eine Reihe kniffliger Fragen auf, erklärt Griesmayr: "Hat der Lenker rechtzeitig und in richtiger Weise eingegriffen? Konnte der Lenker überhaupt in das System eingreifen oder war dieses blockiert? Hat der Lenker gerade durch sein Eingreifen die Situation verschlechtert oder verbessert? Oder hat gar das System versagt, analog zu Berichten über außer Kontrolle geratene Computersysteme in Flugzeugen?" Letztlich bleibe die Verantwortung aber wohl immer beim Menschen. "Der Fahrer wird und muss jederzeit die Möglichkeit haben, in das System eingreifen zu können", sagt Griesmayr.

Für Carolina Burger, Pressesprecherin der Uniqa Österreich, stellt sich eine weitere Frage: "Wie wird man damit umgehen, dass es in der Übergangsfrist sowohl selbststeuernde als auch nicht selbststeuernde Fahrzeuge auf den Straßen gibt?" Schließlich dauert es in der Regel zwischen 15 und 20 Jahre, bis sich eine Autogeneration erneuert hat und ein neues System flächendeckend verwendet wird.

Die Schuldfrage

Wem ist also ein Schaden, der durch ein vollautomatisiertes Fahrzeug verursacht wird, anzulasten? Dem Fahrer oder dem Fahrzeughersteller? "Da sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen ändern werden, lässt sich das heute noch nicht sagen", so Uniqa-Sprecherin Burger. "Es wird bei Einsatz von Fahrassistenzsystemen bei einem Unfall jeweils zu klären sein, wie hoch die Verantwortung des Lenkers ist und welcher Teil dem Hersteller des Systems anzulasten ist."

Nach derzeitiger Rechtslage haftet bei einem Unfall der Fahrer beziehungsweise der Fahrzeughalter, bei Konstruktions- und Baumängeln der Hersteller, für Reparatur- und Wartungsfehler die Werkstatt. Experten befürchten, dass die Haftungsfrage bei selbstfahrenden Autos künftig schwieriger zu klären sein wird. "Das muss aber gar nicht sein", gibt VAV-Generaldirektor Griesmayr zu bedenken, "weil die Technik dann so weit ist, dass sich möglicherweise die Unfallursache sehr genau feststellen lässt." Der Hintergrund ist die automatische Aufzeichnung des Fahrverhaltens bei selbstfahrenden Autos. Stichwort: Blackbox. Diese wirft allerdings neue rechtliche Probleme auf: die Verfügbarkeit der Daten, die Dateneigentümerschaft und den Datenschutz.

Bei all diesen offenen Fragen sei der Gesetzgeber dringend gefragt, sind sich die Versicherer einig. In Deutschland existiert dazu bereits ein runder Tisch, an dem Gesetzgeber und Versicherer an adäquaten Antworten arbeiten. In der Europäischen Union sei die Thematik hingegen noch nicht angekommen, beklagen Experten.

Ist es angesichts all dieser ungeklärten rechtlichen Fragen für Versicherungen überhaupt wünschenswert, dass ein Assistenzsystem und nicht der Fahrer das Auto lenkt? "Wenn die Systeme die Sicherheit erhöhen und die rechtlichen Fragen geklärt sind, werden wir diese Fahrzeuge als Versicherer jederzeit akzeptieren", betont VAV-Chef Griesmayr. "Die Qualität der neuen Technik muss selbstverständlich ausreichend geprüft und getestet sein."

Die Uniqa Group sieht das ebenfalls pragmatisch: "Wir sind daran interessiert, dass ein höchstes Maß an Sicherheit gegeben ist. Wenn das durch sichere Assistenzsysteme unterstützt wird, sehen wir das positiv", sagt Burger.

Sicherheit durch Kontrolle

Die McKinsey-Studie geht jedenfalls davon aus, dass sich autonomes Fahren positiv auf die Unfall-Bilanz auswirken wird. Selbstfahrende Autos haben nach Ansicht der Analysten das Potenzial, die Zahl der Unfälle drastisch zu reduzieren. "Der technologische Fortschritt hat sich in den letzten 20 Jahren erheblich günstig auf die Verkehrssicherheit ausgewirkt", glaubt auch Griesmayr. "Ob ABS, Spurhaltesysteme oder automatische Abstandshalter, der Rückgang der Todesfälle und der Unfälle im Straßenverkehr ist nicht unwesentlich technischen Neuerungen zu verdanken."

Vieles weise auch darauf hin, dass die automatische Aufzeichnung und Überwachung des Fahrverhaltens zu mehr Sicherheit im Straßenverkehr beitragen werde. "Diese Kontrollmechanismen werden vermutlich risikodämpfend wirken", meint Griesmayr. "Ich bin daher fast überzeugt davon, dass selbstfahrende Autos eher zu einem defensiveren und damit sichereren Fahrverhalten führen werden."