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"Wir sind keine Non-Profit-Organisation"

Von Marina Delcheva

Wirtschaft
Wolfgang Anzengruber ist seit 2009 Vorstandsvorsitzender des teilstaatlichen Stromriesen Verbund AG. Davor war der studierte Maschinenbauingenieur im Management der Salzburg AG.
© Christoph Liebentritt

Verbund-Chef Wolfgang Anzengruber über giftige Förderungen, Klagen gegen Atomkraft und den Glanz des Digitalen.


Die EU spaltet sich in Atom-Gegner und -Befürworter. Der Strompreis ist massiv eingebrochen. Die Verbraucher werden selbst zu Erzeugern und alles wird digital. Verbund-Chef Wolfgang Anzengruber über eine Branche im Umbruch und die Herausforderungen der Energiewende.

"Wiener Zeitung":Die Digitalisierung erreicht langsam auch die Strombranche . . .

Wolfgang Anzengruber: Die Energiewelt ist durch die Energiewende volatiler geworden. Auf der Abnehmerseite brauchen wir mehr Flexibilität, um das zu stabilisieren. Deshalb ist eine massive Digitalisierung zwischen Kunden und Abnehmer notwendig, mehr als je zuvor.

Diese Daten geben sehr viel Auskunft über das Leben und das Nutzerverhalten von Menschen. Können Sie sicherstellen, dass kein Missbrauch betrieben wird?

Die Systeme, die wir einsetzen, gehen von den höchsten Standards aus. Es passiert nichts, ohne dass der Kunde explizit zustimmt. Wir leben schon in einer vernetzten Welt. Wir müssen aber bereit sein, aus dieser Vernetzung Wertschöpfung zu ziehen, sonst wird sie nur von Google und Facebook gemacht. Das ist ein wichtiger Markt für die europäische Industrie. Wir sind keine Non-Profit-Organisation. Tausende Start-ups gehen da rein und haben leuchtende Augen. Und wir wollen hier auch ein bisschen mitleuchten, und zwar zum Wohle des Kunden.

Sind unsere Netze für so viel Flexibilität gewappnet?

Im Moment nur bedingt. Deshalb brauchen wir entsprechende Investitionen. Wir brauchen smarte Netze, die ursprünglich nicht dafür geplant waren. Früher war das eine Einbahnstraße - vom Erzeuger zum Verbraucher. Plötzlich liefert aber der Verbraucher zurück, weil er zum Beispiel eine Photovoltaik-Anlage hat.

In Salzburg gibt es massiven Widerstand gegen die 380-kV-Stromleitung, die von Kaprun nach Salzburg Stadt gebaut werden soll.

Das Projekt ist gerade in der Umweltverträglichkeitsprüfung. Diese Leitung hat eine wesentliche Bedeutung; nicht nur für Salzburg, sondern für ganz Europa. Wir haben in den Regionen der Wasserspeicherkraftwerke die einzige technische Möglichkeit, Strom in großen Mengen zu speichern und binnen 90 Sekunden wieder ins Netz zu speisen. Damit sichern wir die gesamte Netzstabilität. Der Speicher hat aber nur dann einen Sinn, wenn ich den Strom dorthin bringen kann. Der zweite Punkt ist, dass die bisherige Leitung 50 Jahre alt ist und für die Versorgungssicherheit erneuert werden muss. Dass die Leute sagen "Nicht bei mir!", ist normal.

Sie haben sich von Gaskraftwerken im Ausland getrennt, jenes im steirischen Mellach soll eingemottet werden. Gleichzeitig investieren Sie in Wasserkraft und betreiben weiter ein Kohlekraftwerk. Warum dieser Bruch mit dem Gas?

Wir werden keine weiteren Investitionen in CO2-emittierende Technologien machen. Das moderne Gaskraftwerk in Mellach kann aus wirtschaftlichen Gründen nicht profitabel eingesetzt werden. Gas ist zu teuer oder der Strompreis zu niedrig, je nachdem. Aber Gaskraftwerke sind die wesentliche Brücke zu erneuerbaren Energien. Die nächsten 50 Jahre wird man noch thermische Kraftwerke brauchen. Da sollte man Gaskraftwerke verwenden, weil sie noch immer die saubersten im fossilen Bereich sind.

Kohle verursacht viel mehr CO2, wird aber ihrerseits und in ganz Europa noch immer verwendet, während Gas nicht rentabel ist. Woher kommt diese Verwerfung - der Strompreis ist seit 2008 um die Hälfte eingebrochen?

Wir haben durch Über-Subventionierung vor allem bei Wind- und Sonnenenergie Erzeugung geschaffen, mit der der Verbrauch nicht mithalten kann. Die Rechnung war: Wir müssen in erneuerbare Energien investieren, aber gleichzeitig muss schmutzige Braunkohle aus dem Netz gehen. Mit einem CO2-Regime wollte man die Emission verteuern. Nur: Der CO2-Markt funktioniert nicht. Wenn Sie so viele Gratiszertifikate haben, kann sich kein Nachfragepreis bilden. Das hat zu massiven Verwerfungen geführt.

Die Verwerfungen haben auch den Verbund getroffen, der Gewinn ist 2014 um 78 Prozent auf 126,1 Millionen Euro eingebrochen. Was erwarten Sie für das laufende Jahr?

Etwa 180 Millionen Euro. Richtig, wir machen weniger Gewinn, aber wir hatten noch nie ein negatives Ergebnis. Und in dieser Branche werden gerade Milliardenverluste gemacht.

Wird Ihr Sparprogramm, das gerade ausläuft, fortgesetzt?

Sparen hat immer Saison. Wir haben unser Ziel sogar überschritten, wir werden auf 165 Millionen Euro statt 135 kommen. Wir werden diesen Sparkurs fortsetzen.



Zur Atomkraft: Wie beurteilen Sie die Entscheidung Österreichs, Großbritannien vor dem EuGH wegen staatlicher Förderungen für den Atomausbau in Hinkley Point zu klagen?

Grundsätzlich richtig. Mit diesen Milliardenförderungen verwirft man den Energiemarkt weiter. Die Energiewende ist ein Generationenprojekt. Ich empfinde Atomkraftwerke als die falsche Technologie. Ich glaube trotzdem, dass in Summe europaweit weniger Atomkraftwerke gebaut als außer Betrieb gehen werden.

Sie sind auch gegen Förderungen für erneuerbare Energien. Warum?

Förderungen sind Gift. Entweder Sie haben eine Marktwirtschaft oder eine Planwirtschaft. Wenn Sie eine Marktwirtschaft haben wollen, dürfen Sie nicht den Output fördern. Fördern Sie Forschung und Entwicklung, Investitionen. Sie zerstören den Markt für jene, die nicht gefördert werden (etwa die Wasserkraft, Anm.). Es fehlt auch eine Kostenwahrheit. Wenn jede Technologie die Kosten, die sie tatsächlich verursacht, einberechnet, hätte es nie ein Atomkraftwerk gegeben. Um die Endlagerung oder Risiken mussten sie sich nie kümmern, deshalb waren sie wirtschaftlich.

Hätte der Ökostrom ohne Förderungen einen Aufschwung erlebt?

Ja, mit Quotenmodellen, die festlegen, wie sich die Anteile an Ökostrom jährlich entwickeln, wie in Skandinavien. Die Technologien wären sofort im Markt gewesen. Jetzt muss die Politik entscheiden, welche Technologie wie viel Förderung bekommt. Und das kann sie nicht, weil sich die Technologie schnell entwickelt. Photovoltaik hat vor zehn Jahren drei Mal mehr gekostet als heute, die Förderung ist aber fast gleich geblieben.

Stichwort Energieeffizienzgesetz: Seit heuer erwartet der Gesetzgeber, dass Sie 0,6 Prozent an Energie bei sich und dem Kunden sparen. Wie beurteilen Sie das Gesetz?

Das Ziel ist in Ordnung. Wir hätten andere Wege vorgeschlagen, aber jetzt haben wir dieses Gesetz. Es geht in die Richtung, Maßnahmen zu setzen, die ein Einsparungsäquivalent darstellen. Wir sponsern LED-Lampen, Thermenerneuerungen. Das Problem ist, dass das Gesetz seit 1. Jänner in Kraft ist, aber wir bis heute nicht wissen, welche Maßnahmen uns angerechnet werden.