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Die Verlierer der Industrie 4.0

Von Petra Tempfer

Wirtschaft
© Fotolia/fotohansel

Arbeitslosigkeit wird zunehmend jene treffen, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben.


Wien. Industrielle Revolution - das ist ein Begriff, mit dem stets tiefgreifende und dauerhafte Veränderungen verbunden waren. Ob Ende des 18. Jahrhunderts mit den mechanischen Erfindungen, Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Etablierung der elektrischen Energie als Antriebsmittel oder rund 70 Jahre später mit dem Einsatz von Elektronik und IT: Die industriellen Revolutionen kosteten zahlreiche Jobs, diverse Lehrberufe verschwanden - während gleichzeitig neue entstanden.

Das ist auch der zentrale Punkt der vierten industriellen Revolution, der Industrie 4.0, die soeben angebrochen ist und auf der Vernetzung von Fabrikanlagen, Zulieferern und Kunden basiert. Wie bei den vorangegangenen industrielle Revolutionen wird es also Gewinner und Verlierer geben. Letztere werden vor allem all jene sein, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Flüchtlinge seien dadurch übermäßig betroffen, sagte Enzo Weber, Inhaber des Lehrstuhls für empirische Wirtschaftsforschung an der Uni Regensburg, zur "Wiener Zeitung". "Die wenigsten Flüchtlinge werden für Industrie 4.0 relevant sein", so Weber am Rande einer Veranstaltung der Arbeiterkammer zum Thema Industrie 4.0.

Schon seit 2011 steigen die Arbeitslosenzahlen. Gleichzeitig gibt es zwar auch ein starkes Bevölkerungs- und Jobwachstum, das ändert aber wenig daran, dass die Arbeitslosenquote heuer bei 9,4 Prozent liegt und im Jahr 2017 auf 10,5 Prozent stark ansteigen soll, wie aus einer Prognose des Forschungsinstituts Synthesis für das Arbeitsmarktservice (AMS) hervorgeht. Einer der Hauptgründe ist demnach die steigende Zahl an Flüchtlingen. Zum Vergleich: Vor der Wirtschafts- und Finanzkrise 2007 lag die Arbeitslosenrate bei 6,2 Prozent. Aktuell waren Ende März 439.000 Personen arbeitslos oder in AMS-Schulungen. Knapp 23.000 von ihnen waren anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte.

Mittlerer Bildungsbereich als große Chance

Anders als bei der Flüchtlingswelle in den 90er-Jahren im Zuge der Jugoslawienkriege, nach der mehr als die Hälfte der Geflüchteten einen Job fanden, werden diesmal "viele nicht die Ausbildung haben, die sie dafür bräuchten", so Weber. Chancenlos sei die Situation dennoch nicht. Zuallererst müsse freilich "das Sprachproblem gelöst werden". Danach sei der mittlere Bildungsbereich die große Chance: also Lehre und berufsbildende Schulen.

Zu diesem Schluss kommt auch Julia Bock-Schappelwein vom Institut für Wirtschaftsforschung in Wien. Manuelle und kognitive Routinetätigkeiten brechen zunehmend weg, das Wifo erwartet Beschäftigungseinbußen bis 2020 vor allem in den Bereichen der Textil- und Holzindustrie sowie in der Nahrungs- und Genussmittelerzeugung. Kompetenzen für Problemlösungen sowie soziale Kompetenzen seien indes zunehmend gefragt, so die Volkswirtin. Das funktioniere aber nicht ohne weiterführende Ausbildung.

Bei den Flüchtlingen bedeutet das laut Weber konkret, deren Abschlüsse und Kompetenzen, die diese in ihrem Land erworben haben, anzuerkennen und zu zertifizieren. Jede weitere Ausbildung und Qualifizierung sollte auf diesen aufbauen.

Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Staat als Finanziers

Der fortschreitende Wandel auf dem Arbeitsmarkt gehe grundsätzlich mit einem hohen Anpassungsbedarf einher, ergänzte Bock-Schappelwein. Dieser verlange Flexibilität, sowohl von Arbeitskräften als auch von Betrieben. Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik müssten rechtzeitig die Weichen dafür stellen. Dass einige Berufe verschwinden, bedeute nicht zwingend, dass damit alle Arbeitnehmer, die diese ausübten, plötzlich ohne Job dastehen. Ein Automechaniker etwa, der vor 30 Jahren seine Lehrabschlussprüfung hatte, arbeitet heute auch mit völlig neuen Technologien - aber er arbeitet. Ähnlich werde es sich mit Industrie 4.0 verhalten.

Finanziers der Bildung und Weiterbildung müssten Staat, Arbeitgeber und -nehmer gemeinsam sein, meinte Weber. Sie seien es ja schließlich auch, die letztendlich davon profitierten.

Speziell bei der Flüchtlingswelle könnte aber noch jemand gewinnen, prognostizierte Weber: Eine deutlich anziehende Beschäftigung zeige sich laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, wo Weber ebenfalls tätig ist, im Innenausbau und Hochbau, bei Wachleuten, Sozialarbeitern, bei Sprachlehrern und außerschulischen Lehrtätigkeiten. Und Letztere sind es ja auch, die für Industrie 4.0 relevant sind.