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Daten gegen Bares

Von Andrea Möchel

Wirtschaft

Ein Großteil der Konsumenten ist bereit, persönliche Daten weiterzugeben, wenn die Gegenleistung stimmt.


Zürich/Wien. "Know me and remember me", so definiert der Handelsriese Amazon die unterste Stufe seiner "Pyramide der Kundenbedürfnisse". Der Online-Händler weiß: Kunden wollen als Individuen wahrgenommen und (wieder)erkannt werden. Funktionieren kann das allerdings nur, wenn der Kunde bereit ist, Auskunft über sich zu geben. Doch wann und für welche Gegenleistung geben Konsumenten ihre Daten preis? Antworten darauf liefert die aktuelle Studie "Darf ich wissen, wer du bist? Mehrwert der Identifikation aus Kundensicht". Die gute Nachricht für den Handel: "90 Prozent der Umfrageteilnehmer lassen sich überzeugen, ihre Daten zu teilen", sagt Studienautor Frank Hannich, Dozent für Marketing Management an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). "Voraussetzung dafür ist, dass ihnen ein Mehrwert dafür geboten wird."

Hannich hat gemeinsam mit dem Software-Unternehmen Business Systems Integration (BSI) eine Gruppe von Studenten im Alter zwischen 20 und 30 Jahren zum heiklen Thema Datenweitergabe befragt. Und siehe da: Die "Digital Natives" beurteilen dies durchaus kritisch. So fürchten 71 Prozent, dass ihre Daten weiterverkauft werden, und 64 Prozent haben Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes.

"Konsumenten erleben nicht nur den guten Willen auf der Anbieterseite. Viele fühlen sich überwacht, und auf Schritt und Tritt verfolgt", erklärt der Experte. "Die Bedenken gegenüber einem Datenmissbrauch und die Skepsis gegenüber neuen Technologien überwiegen."

Doch nicht nur die Angst um die Datensicherheit hemmt die Auskunftsfreude der Kunden. "Vor allem erkennen Konsumenten keinen Mehrwert, wenn sie ihre Daten preisgeben", erläutert Hannich. "Daher müssen Unternehmen Anreize schaffen, die Kunden als nutzenstiftend empfinden." Die Bereitschaft zur Datenweitergabe hängt zudem von der jeweiligen Kaufsituation ab.

"Willingness to share"

Ziemlich freimütig zeigten sich die Befragten bei sogenannten Prestige-Käufen. Geht es um den Erwerb einer Prada-Handtasche oder eines iPhones, sind 65 Prozent der Befragten bereit, ihre Daten zu teilen. Bei Impuls-Käufen von Büchern oder Kleidung ist immerhin noch ein Viertel der Probanden auskunftsfreudig.

Geht es aber um intime Käufe wie rezeptfreie Medikamente oder Erotik-Artikel sinkt die "willingness to share" auf magere elf Prozent. Rund 63 Prozent legen bei diesen Einkäufen Wert darauf, während des gesamten Kaufprozesses anonym zu bleiben.

Ganz anders denken die Prestigekäufer: Sie sehen schon bei der Suche des Artikels (27 Prozent) und während des Verkaufsgespräches (rund 31 Prozent) einen Vorteil in der Identifikation. Bei Alltagskäufen wie Lebensmittel geben sich immerhin 22 Prozent der Befragten an der Kasse freiwillig zu erkennen, "was auf die hohe Verbreitung und Akzeptanz der Kundenkarten zurückzuführen ist", heißt es in der Studie.

Die Gretchenfrage für den Handel lautet also: Welche Gegenleistungen müssen Unternehmen bieten, damit Konsumenten bereit sind, ihre persönlichen Daten zur Verfügung zu stellen? "Mit den klassischen Kundenbindungsprogrammen der Detailhändler machen viele Konsumenten gute Erfahrungen. Sie lernen das Spiel ‚Daten gegen Bares‘ kennen", weiß Hannich. Das "Bare" bezieht sich dabei meist auf Punkte oder Rabatte, die zu einem späteren Zeitpunkt eingesetzt werden können.

Datenpreisgabe für Rabatte

Tatsächlich waren 85 Prozent der Befragten bereit, ihre Daten preiszugeben, wenn sie dadurch individuelle Rabatte erhalten. Noch weitaus spannender beurteilen die Studienautoren aber die Wirkung nicht-monetärer Anreize. Gemeint sind damit Mehrwerte, die erst durch verfügbare Daten entstehen und mit der gebotenen Leistung verschmelzen.

"Convenience-Faktoren wie eine Benachrichtigung, dass die Ware abholbereit ist, kostenlose Lieferung vom Einkaufsort nach Hause oder eine effizientere Abwicklung des Verkaufs können Beweggründe zur Datenfreigabe sein", bestätigt Catherine Crowden, Co-Autorin der Studie. Die Vorteile der Mehrwertservices: Sie erhöhen die Kundenbindung, sind schwerer kopierbar und verursachen im Vergleich mit den monetären Anreizen geringere direkte Kosten. Zugleich schneiden sie in der Studie mindestens ebenso wirksam ab wie Rabatte. Demnach würden 85 Prozent für eine Benachrichtigung, dass ihre Ware abholbereit ist, ihre persönlichen Daten bereitstellen. 78 Prozent tun das für persönliche Beratung und 77 Prozent für schnellere Abwicklung des Einkaufs.

Auch die automatisierte Erkennung vorausgefüllter und personalisierter Formulare sowie persönliche Geschenke sind überzeugende Argumente. Fakt ist aber auch: Persönliche Empfehlungen anhand der individuellen Kaufhistorie, wie die bei Amazon üblichen persönlichen Einkauftipps, werden nur selten als Mehrwerte wahrgenommen.

Dass der Online-Handel bei diesen nicht-monetären Mehrwerten im Vorteil ist, liegt auf der Hand. Deshalb besteht bei Unternehmen, die auf Offline-Kanäle setzen laut Studie besonderer Handlungsbedarf. Fehlende Identifikation würde immer häufiger zu enttäuschenden Kundenerlebnissen im Laden führen, was den Trumpf der persönlichen Beratung neutralisieren oder sogar zum Kippen bringen könne.

"Schlimmstenfalls sind Kunden, die mit dem Smartphone in der Filiale stehen, besser informiert als der Verkäufer", warnt Frank Hannich. "Cross-Channel-Prozesse sind ohne Identifikation einfach nicht möglich."