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Mensch gegen Maschine?

Von Werner Reisinger

Wirtschaft

Der Technologiekonzern ABB investiert in Österreich verstärkt in Automatisierung: Chancen und Risiken der Industrie 4.0.


Zürich/Wien. Ulrich Spiesshofer gibt sich ordentlich Mühe, Optimismus zu verbreiten. Natürlich, es gebe "enorme Ängste" in der Bevölkerung, was den schon im Gang befindlichen Wandel der Arbeitswelt Richtung stärkerer Automatisierung angeht. Und diese Ängste müsse man auch ernst nehmen. Das Arbeitsvolumen aber sei in der Geschichte der Menschheit noch nie zurückgegangen und werde auch jetzt nicht zurückgehen, ist Spiesshofer überzeugt.

Seit 2013 ist Spiesshofer CEO der ABB Group, einem der weltweit führenden Konzerne für Energietechnologie und Automatisierungstechnik. Als er 2005 zum Konzern gekommen sei, hätte die ABB weltweit 89.000 Mitarbeiter beschäftigt - heute seien es 135.000, rechnet der Manager vor. Das sei der ABB nicht trotz, sondern wegen ihrer vermehrten Anstrengungen, das Geschäft Richtung Automatisierungstechnik voranzutreiben, gelungen, glaubt Spiesshofer. Ein Plus von fast 40.000 Arbeitsplätzen immerhalb von elf Jahren, darauf ist der CEO stolz - und nur die Hälfte des Personals sei zugekauft oder abgeworben worden, die andere Hälfte habe der Konzern selbst aufgebaut.

Heuer feiert die ABB ihr 150 jähriges Bestehen in der Schweiz. Hier beschäftigt die aus dem BBC-Konzern hervorgegangene ABB 6500 Mitarbeiter. Der Transitionsprozess Richtung Automatisierungstechnik sei in der Schweiz ohne Verlust von Arbeitsplätzen über die Bühne gegangen, betont Spiesshofer. Dies sei auch aufgrund des dortigen, speziellen sozialpartnerschaftlichen Modells und einer "engen Verzahnung von Politik und Wirtschaft", wie der CEO es ausdrückt, gelungen.

Das Internet der Dinge

Energie- und Stromtechniklösungen, Motoren und Niederspannungstechnik waren neben der Automatisierungstechnik bis vor Kurzem das Kerngeschäft des Konzerns. Das Portfolio wird nun erheblich umgebaut, die Ausrichtung der Wertschöpfungskette auf Automatisierung, Robotik, Softwarelösungen und Forschung sowie Serviceangebote gewinnt immer stärker an Bedeutung. Vom "Internet der Dinge, Menschen und Services" spricht man in der ABB, besonders stolz ist man auf die Entwicklung hochmoderner Sensoren, die Motoren- und Anwendungsleistungen auf Energieverbrauch und Wartung optimieren.

"Nehmen Sie das Beispiel Deutschland", sagt Spiesshofer. "Die klassische industrielle Fertigung verliert immer stärker an Konkurrenzfähigkeit. Aber anstatt den Standort umzustrukturieren, haben wir eine Qualifizierungsoffensive gestartet." Speziell der Servicebereich werde in Deutschland massiv hochgefahren. Er gebe lieber 35.000 Euro für die Requalifizierung eines Mitarbeiters aus, als 100.000 Euro dafür, Mitarbeiter abzubauen. Gemeinsam mit den Belegschaftsvertretern und den Gewerkschaften, die von Anfang an in den Umstrukturierungsprozess eingebunden worden seien, zusammen mit der Politik und der Unternehmensspitze, sei die Neuaufstellung der Firma gelungen. Geräuschlos, sagt Spiesshofer, und zur Zufriedenheit aller Beteiligten.

Was in der Schweiz gelang, will der Konzern nun auch in Österreich fortsetzen. Dazu zwingen die ABB-Strategen schon allein die Marktrealitäten: Kraftwerkstechnik ist durch den Investitionsrückgang der Energieversorger in neue Kraftwerke weniger nachgefragt, Investitionen finden eher im Bereich der Energieinfrastruktur und im Bereich erneuerbare Energien statt.

Robotik in Wiener Neudorf

Deshalb wird nun auch in Österreich der Automatisierungsbereich ausgebaut. Anfang März erfolgte am Standort Wiener Neudorf der Spatenstich für ein neues Werk, in dem Roboter künftig assembliert, für ihren Einsatz beim Abnehmer vorbereitet und gewartet werden. Den Spatenstich erledigte, stilgemäß und vollautomatisch, ein Roboter.

Hauptabnehmer der ABB-Roboter sind Autozulieferbetriebe, aber auch Maschinenbauer und die Fertigungsindustrie, erklärt ABB-Österreich Chef Franz Chalupecky. Er verweist auf die Wichtigkeit der klein- und mittelbetrieblich strukturierten Bereiche der heimischen Wirtschaft, für die ABB hauptsächlich produziere. Schon jetzt werde dort immer stärker automatisiert, die Nachfrage nach Robotern wie dem "YuMi", der selbständig mit dem Mensch zusammenarbeitet, nehme stetig zu. Auch Chalupecky sendet Signale an die Arbeitnehmer aus: "Jetzt sind alle alarmiert. Aber wir dürfen uns vor Veränderungen nicht zu Tode fürchten."

Was in der Schweiz so "geräuschlos" geklappt hat, will auch er: mehr Flexibilität bei den Sozialpartnern, die Möglichkeit, Regelungen auf betrieblicher Ebene zu treffen, einen direkten Draht zwischen Politik und Konzernen. Und dann - alles eitel Wonne?

Eine Frage der Verteilung

Glaubt man den Statistikern, ist die Angst um den Jobverlust angesichts "YuMi" und Konsorten tatsächlich groß. Zwei von drei Österreichern, besonders ältere und weniger gebildete, befürchten laut einer Studie im Auftrag der Plattform "Digital Business Trends" Arbeitsplatzverluste durch die vierte industrielle Revolution. Fast drei Viertel geben an, schon jetzt bedeutende Veränderungen am Arbeitsplatz zu erleben. Mittelfristig seien fast die Hälfte der bestehenden Jobs durch Automatisierung und Digitalisierung gefährdet, heißt es in einer Studie der Universität Oxford.

Markus Marterbauer, Ökonom der Arbeiterkammer Wien, glaubt nicht nur an die Möglichkeit enormer Produktivitätsfortschritte durch Automatisierung. Auch die Ausgangsbedingungen der heimischen Wirtschaft seien so schlecht nicht. Die Frage sei aber nicht nur, wie die Roboter eingesetzt, sondern auch, wo sie gebaut würden. "Beim hochspezialisierten Kern des industriellen Sektors, speziell im Bereich Maschinenbau, spielt Österreich zusammen mit Deutschland, der Schweiz, Tschechien und der Slowakei in der ersten Liga", sagt der Ökonom. Facharbeitskräfte seien vorhanden, Innovation gerade im klein- und mittelbetrieblichen Segment habe Tradition.

Die technischen Revolutionen der nahen und ferneren Vergangenheit hätten stets eine Weitergabe der Produktivitätszuwächse in Form höherer Löhne, niedrigerer Preise und einer Zunahme des allgemeinen Wohlstands zur Folge gehabt, argumentiert Marterbauer. "Die Frage, wie die zu erwartenden Produktivitätszuwächse gesellschaftlich verteilt werden, sehe ich vor allem auf die Politik zukommen", so Marterbauer, der auch vor einer Monopolbildung in den vom technologischen Fortschritt betroffenen Bereichen warnt.

Von Vergleichen mit der Schweiz, was die dortige sozialpartnerschaftliche Praxis betreffe, hält Marterbauer nicht besonders viel: "Jedes Land hat seine eigenen Traditionen, die Branchenorientierung in Österreich spart uns enorme Transaktionskosten." Würden Lohn- oder Arbeitszeitverhandlungen, wie in der Schweiz, auf betrieblicher Ebene passieren, hätte dies einen hohen Aufwand für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Folge.

Die Verantwortung, wie wir mit gestiegener Produktivität umgehen, liegt also weiterhin bei uns als Gesellschaft. Zumindest hier bleibt der Mensch unersetzlich.

Der Artikel erscheint im Rahmen unserer Serie "Neue Arbeitswelt".