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Wirtschaft bangt um Ceta

Von Walter Hämmerle

Wirtschaft

Man habe zu lange auf die Populismus-Resistenz der Regierung vertraut, klagen Industrie und Wirtschaftskammer.


Wien. Österreich findet sich ja eher selten in der Liga internationaler Trendsetterstaaten - und wenn, waren es nicht unbedingt gute Nachrichten, man denke etwa an den Aufstieg eines rhetorisch aggressiven neuartigen Rechtspopulismus ab Mitte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Mittlerweile kann sich die Zweite Republik eine zweite Avantgarde-Trophäe auf den Kaminsims stellen: In kaum einem anderen Land war der Widerstand gegen die Freihandelsabkommen TTIP (zwischen der EU und den USA) und Ceta (zwischen der EU und Kanada) so früh so politisch wirkmächtig wie in Österreich.

Schlagkräftige Kritiker-Lobby

Angetrieben von Globalisierungskritikern wie Attac, Gewerkschaftern, Arbeiterkammer, FPÖ, Grünen und - last, but not least - der "Kronen Zeitung" ist das Nein zu TTIP und dem bereits fertig ausverhandelten Ceta längst in den Regierungsparteien SPÖ und ÖVP angekommen. Bundeskanzler Christian Kern initiierte kürzlich eine Urabstimmung der Parteimitglieder zu Ceta, bei der alles andere als ein überwältigendes Nein eine handfeste Überraschung wäre, und TTIP gilt überhaupt als politisch in Europa nicht mehr durchsetzungsfähig, obwohl ein endgültiges Verhandlungsergebnis noch längst nicht vorliegt.

Angesichts dieser Konstellation läuten bei Industrie und Wirtschaftskammer mittlerweile die Alarmsirenen. Immerhin, so IV-Generalsekretär Christoph Neumayer und WKO-Vizepräsident Jürgen Roth am Montag vor Journalisten, sei Österreich - wie auch die EU als Ganzes - eine kleine offene Exportnation und allein schon von daher auf einen florierenden Welthandel angewiesen, um ihren Sozialstaat aufrechterhalten zu können. Entsprechend übten Neumayer wie Roth Kritik am "innenpolitischen Schwenk in Richtung Populismus". Gemeint sind damit von den beiden ÖVP-affinen Wirtschaftsvertretern zwar in erster Linie Kanzler Kern und die SPÖ, aber auch die ÖVP und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner wurde auf Nachfrage explizit in die Kritik miteinbezogen.

Wenigstens Ceta

Inhaltlich werfen sich Industrie und Wirtschaftskammer vor allem für das fertig ausverhandelte europäisch-kanadische Freihandelsabkommen Ceta in die Bresche. Dieses sei mitnichten ein Einfallstor für TTIP, dem sehr viel umfassenderen Projekt, dem auch Wirtschaftskammer und Industrie mit erheblichen Vorbehalten gegenüberstehen. Trotzdem sollen die Verhandlungen zu TTIP nicht sofort abgebrochen werden, wie viele Kritiker fordern, sondern erst ein Endergebnis abgewartet und dann beurteilt werden.

Durch Ceta würden weder Umwelt- noch Arbeitnehmerschutzstandards berührt, auch die öffentliche Daseinsvorsorge sei ausgenommen, weshalb etwa eine Privatisierung kommunaler Dienstleistungen kein Thema sei, erläuterte IV-Generalsekretär Neumayer. Und beim Verbraucherschutz könnten auch weiterhin die Standards nach eigenem Ermessen definiert werden. Zudem würden gar nicht so sehr die viel zitierten großen Konzerne von Ceta (und auch TTIP) profitieren, da diese ohnehin auf beiden Seiten des Atlantiks verankert seien, sondern vor allem die Mittelständler.

Lostag 18. Oktober

Roth wie Neumayer sprachen sich für ein vorläufiges Inkrafttreten des fertig ausverhandelten Abkommens mit Kanada aus. Am 18. Oktober will die EU-Kommission einen Vorschlag beim Europäischen Rat machen, welche Teile von Ceta in Kraft treten sollen. Ob dafür eine qualifizierte Mehrheit im Rat ausreicht, ist juristisch noch nicht abschließend geklärt. Damit hätte ein einzelnes Land wie Österreich keine Veto-Möglichkeit; allerdings muss der Vertrag auch vom Nationalrat ratifiziert werden, wo Einsprüche gegen einzelne Passagen möglich sind. Welche Rechtsfolgen das dann hätte, ist allerdings offen.

Bleibt noch die Frage, weshalb die Befürworter neuer Freihandelsabkommen erst jetzt, wo es womöglich schon zu spät ist, in den Kampf um die öffentliche Meinung eingreifen? Ehrliche Antwort der beiden Wirtschaftsvertreter: Man habe sich "zu lange" auf die Vernunft und Populismus-Resistenz der Regierungsparteien verlassen. Und jetzt? "Schön langsam verlieren wir den Glauben an eine kluge und vernünftige Politik im Sinne eines kleinen Exportlandes", so Roth.

Tipp für Interessierte

Am Mittwoch findet zwischen 10 und 18 Uhr eine öffentlich zugängliche Enquete des Nationalrats mit Experten sowie Stellungnahmen von Kern und Mitterlehner statt; auch EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström wird ihren Standpunkt vertreten. Die Veranstaltung wird auch per Livestream über die Homepage des Parlaments übertragen.