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Jammern auf hohem Niveau

Von Marina Delcheva

Wirtschaft

Den vermuteten Fachkräftemangel gibt es so nicht. Die Löhne stagnieren und Stellen werden oft rasch nachbesetzt.


Wien. "Die Wirtschaft sucht händeringend nach Fachkräften." Dieser Satz wurde in den vergangenen Jahren zum Mantra von Wirtschaftstreibenden und Interessenvertretern. Allein, so händeringend gestaltet sich die Suche nach geeigneten Arbeitskräften oft gar nicht. Und so wenige Fachkräfte gibt am heimischen Arbeitsmarkt nicht. Auch nicht in den im Zuge der Digitalisierung nachgefragten technischen Berufen.

Die Studie "Gibt es in Österreich einen Fachkräftemangel?" des Instituts für Höhere Studien (IHS) im Auftrag des Sozialministeriums zeigt: Den vielfach kolportierten Fachkräftemangel gibt es hierzulande nicht. Zumindest nicht in dem Ausmaß, in dem das oft dargestellt werde. Dafür gibt es laut Studie unterschiedliche Indikatoren. Von 2005 bis 2010, so die Ergebnisse, ist die Arbeitslosigkeit in den Branchen, in denen ein Fachkräftemangel angenommen wird - also Gastronomie, Metallverarbeitung, in technischen Sparten - nicht gesunken.

Das AMS definiert jedes Jahr eine Reihe von Berufen, in denen Arbeitskräftemangel herrscht. Heuer sind das acht Berufsfelder, vom Dreher über den Diplomingenieur für Starkstromtechnik zum Krankenpfleger. Gleichzeitig waren laut AMS im Oktober dieses Jahres deutlich mehr Elektrotechniker arbeitslos, als es offene Stellen für Elektrotechniker gab: nämlich 2059 Arbeitslose zu 1418 offenen Stellen. Und auch bei den Drehern, dem Beruf der sogar rot in der Liste der Mangelberufe eingezeichnet ist, lässt sich laut AMS-Daten kein systematischer Mangel erkennen. Das Verhältnis offene Stellen zu arbeitslosen Drehern beträgt 465 zu 408.

Gehälter seit Jahrennicht gestiegen

Ein weiteres Indiz sind die Gehälter in den nachgefragten Berufen. Und die sind laut IHS in den vergangenen Jahren nicht gestiegen. Bei Elektrotechnikern, in der Baubranche oder im Gastgewerbe stagnieren die Löhne. Ein Maschinenmechaniker verdient heute gerade einmal 1,1 Prozent mehr als im Jahr 2005. Ähnliches gilt auch für Informatiker. Zwar ist die Nachfrage durch die fortschreitende Digitalisierung gestiegen, aber auch das Angebot. Denn das Interesse an IT-Ausbildungen steigt und in dieser Sparte wird zunehmend auch international rekrutiert. Dennoch gehen die Studienautoren davon aus, dass es in Zukunft, je nachdem wie schnell die Digitalisierung voranschreitet, einen Mangel geben könnte.

"Einen Job finden ist kein Problem", sagt David Tempfer. Er ist Mechatroniker und arbeitet in einem Fertigungsbetrieb in Niederösterreich. "Aber man verdient nicht viel." Die Gehälterrange liege zwischen 1200 Euro netto beim Berufseinstieg und 2000 Euro vor der Pension. Wenn es einen Mangel gebe, schlussfolgert die IHS-Studie, würden auch die Gehälter steigen. Tun sie aber nicht. Sie stagnieren großteils und damit sei auch der Leidensdruck, geeignete Mitarbeiter zu finden, nicht so groß wie kolportiert.

Im Gastgewerbe sollen sie heuer sogar gesunken sein. "Früher sind wir mit 2000, 3000 Euro netto im Monat nach Hause gegangen", erzählt eine Kellnerin, die ihren Namen lieber nicht nennen möchte. "Jetzt werden wir nach Kollektivvertrag bezahlt und gehen mit 1300 netto heim (ohne Trinkgeld, Anm.)." Dafür macht die Frau die mit der Steuerreform eingeführte Registrierkasse verantwortlich. Früher sei es einfacher gewesen, das Personal bar auf die Hand und an der Steuer vorbei zu entlohnen. Das geht jetzt dank Registrierkasse und Software, die nachträgliche Manipulationen verhindern soll, nicht mehr so einfach. Hinzu kommen lange Arbeitszeiten, körperlich harte Arbeit und eine eher schlechte als rechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

SchnelleStellenbesetzung

Ein weiteres Indiz, das gegen einen Fachkräftemangel spricht, ist die Dauer der Stellenbesetzung. Im Bereich Mechatronik werden zum Beispiel laut AMS 54 Prozent der ausgeschriebenen Stellen binnen eines Monats besetzt und ein weiteres Drittel nach spätestens 90 Tagen. Bei IT-Fachleuten sind sogar 60 Prozent der offenen Stellen nach 30 Tagen wieder besetzt.

Der Druck am Arbeitsmarkt wird durch die Zuwanderung und das verhältnismäßig magere Wirtschaftswachstum höher, auch in den sogenannten Mangelberufen. Seit einigen Jahren werden zum Beispiel die älteren, klassischen Gastarbeiter aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien von neuen, relativ gut ausgebildeten Zuwanderern aus Osteuropa am Arbeitsmarkt verdrängt.

Weshalb dann die andauernden Klagen von Betrieben, dass sie keine Leute finden können? Erst vor kurzem hatte der Gastronom und Neos-Mandatar Sepp Schellhorn beklagt, dass er keinen Koch für seinen Betrieb finden könne. "Wir haben aktuell 40.000 Stellen, die nicht besetzt werden können", sagt Martin Gleitsmann, Leiter der Abteilung Sozialpolitik in der Wirtschaftskammer. Dabei gebe es ein deutliches Ost-West-Gefälle. Also hohe Arbeitslosigkeit in Ostösterreich und einen Mangel an Arbeitskräften im Westen.

"In den Mint-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik, Anm.) haben wir keinesfalls ein Überangebot", so Gleitsmann. Angesichts der Zahlen und der 412.000 Arbeitslosen gibt es aber auch keinen eklatanten Mangel. Die Schwierigkeit bestehe weniger darin, genug Bewerber zu finden, als die richtigen, vor allem im spezialisierten Bereich. "Wir suchen auch immer wieder Mitarbeiter. Aber viele, die sich bewerben, sind einfach nicht gut genug für den Job", erzählt auch David Tempfer.

Die Qualifikation der Bewerber und die Anforderungen der Betriebe würden oft auseinanderklaffen, meint Gleitsmann. Dass die Löhne, auch in den Mangelberufen, nicht steigen, erklärt er damit, dass sich Firmen keine höheren Gehälter leisten könnten. Industriebetriebe etwa stünden im internationalen Wettbewerb. Außerdem seien die Lohnnebenkosten noch immer zu hoch.