Zum Hauptinhalt springen

Geld, das niemandem gehört

Von Julia Mathe

Wirtschaft

Verliert die Bank den Kontakt zum Kunden, läuft sein Konto ewig weiter. Auf österreichischen Geisterkonten schlummern vermutlich Millionen.


Wien. Am Anfang stehen meist nur ein Name und ein Geburtsdatum. Dann werden Kirchenbücher aufgeschlagen oder Einwanderungslisten durchforstet, bis sich nach monatelanger Suche die Lebensgeschichten mehrere Generationen zu einem großen Ganzen zusammenfügen - und den Hinterbliebenen eine ungewöhnliche Botschaft übermittelt wird: "Sie haben geerbt." Nicolas Forster ist Erbenermittler. Notare, Verlassenschaftskuratoren oder Gerichte beauftragen seine Historikerkanzlei, um unwissende Erben ausfindig zu machen.

Denn von diesen gibt es viele. Ein Spezialfall ist das vergessene Geld, das die Banken horten. Denn erfahren Geldinstitute nicht vom Tod eines Kunden, müssen sie sein Konto oder Sparbuch ewig weiterführen. Steht ein Konto 30 Jahre still, verjähren die Ansprüche des Kunden gar. Dann ist der Bank das Geld theoretisch sicher: Sollten sich nach diesen drei Jahrzehnten doch noch Inhaber oder Erben melden, muss die Bank nicht mehr zahlen.

Branchenvertreter Franz Rudorfer wendet allerdings ein, dass dies keine Bank ausnutze: "Das ist kein Geschäftsmodell. Wenn jemand nach 32 Jahren kommt, zahlt die Bank das Guthaben genauso aus." Außerdem wüssten die Banken meist ohnehin über ihre Kunden Bescheid, sagt der Sprecher der Wirtschaftskammer. Gesetzlich verpflichtet dazu, Nachforschungen anzustellen, sind die Geldinstitute allerdings nicht.

Die Debatte geht von der Schweiz aus. In den 90er Jahren wurde bekannt, dass insbesondere Juden Millionenvermögen auf nachrichtenlosen Konten hinterlassen hatten. Während des Nationalsozialismus brachten sie ihr Geld in Sicherheit. Durch Krieg und Verfolgung verwischten die Spuren, die Erben sind dementsprechend schwer ausfindig zu machen. Vor einem Jahr veröffentlichten die Schweizer Banken eine Liste mit allen Konten, die seit mindestens 60 Jahren stillstehen - oder, wie es in der Fachsprache heißt, nachrichtenlos sind.

Gleicher Inhaber seit 120 Jahren

Personen, die Vermögen in der Schweiz vermuten, können online danach suchen und ihre Ansprüche geltend machen. Das Motiv des Schweizer Staates dahinter ist freilich auch finanzieller Natur: Melden sich innerhalb der ein- bis fünfjährigen Frist keine Erben, geht das Geld an den Fiskus.

Nun zieht Deutschland nach: "Es kann nicht sein, dass Banken Geld bunkern, das ihnen nicht zusteht", so Walter Borjans, Finanzminister von Nordrhein-Westfalen. In Deutschland würden manche Konten schon so lange existieren, dass der Inhaber heute theoretisch 120 Jahre alt sein müsste, sagt der SPD-Politiker. Einer ersten Schätzung zufolge sind es rund zwei Milliarden Euro, die nachrichtenlos auf deutschen Banken schlummern. Die Schätzung ist wackelig, da sie von Kontenabfragen in Baden-Württemberg hochgerechnet wurde. Deutsche Bankenvertreter halten sie für zu hoch, doch fundiertere Zahlen gibt es nicht. Walter Borjans will den Schatz nun heben: Wie in der Schweiz soll eine Liste veröffentlicht werden, damit das Geld den Erben oder, wenn sich diese nicht melden, der Allgemeinheit zugutekommen kann.

Die Situation in Deutschland lasse sich grundsätzlich auf die österreichische umlegen, meint die Rechtsanwältin Elisabeth Scheuba: "Im österreichischen Bankwesen gibt es vergleichbare Konstellationen. Wenn lange kein Kundenkontakt besteht, stellt sich irgendwann die Frage, wie man weiter verfährt." Die Expertin für Erbrecht hält die Schweizer Lösung für vertretbar.

Auch Erbenermittler Forster plädiert für ein öffentliches Register. "Wir bearbeiten keine Fälle mit österreichischen Bankkonten, weil wir dafür keine Informationen bekommen", sagt er. Auf vielen Sparbüchern seien zwar nur Bagatellebeträge verbucht. "Zumindest könnte man namhafte Beträge, etwa ab 1000 Euro, veröffentlichen", schlägt er vor. Von dieser Liste würde nicht nur seine Kanzlei, sondern es würden auch Erben profitieren, die selbständig nachforschen möchten.

Millionenbetrag in Österreich vermutet

Um wie viel Geld es in Österreich geht, lässt sich nicht einmal schätzen. Nationalbank, Finanzmarktaufsicht und Wirtschaftskammer haben keine Daten. Zur groben Einordnung hilft es, die Schätzung des strukturell ähnlichen Deutschlands auf Österreich umzulegen. Üblicherweise nimmt man dafür ein Verhältnis von 10:1 an. Demnach kommt man von zwei Milliarden Euro in Deutschland auf 200 Millionen Euro hierzulande.

Hinterlässt ein Verstorbener Vermögen, aber keine Erben, gilt in Österreich das Heimfallsrecht: Das Geld geht an den Staat - außer, es liegt auf einem Phantomkonto. An Verstorbenen ohne Erben verdient der Staat eine knappe Million Euro im Jahr, heißt es aus dem Finanzministerium. Nachrichtenlose Konten fallen in einen anderen Kompetenzbereich: Der Sparer steht in einer Vertragsbeziehung zur Bank, die durch das Privatrecht geregelt ist. Wissen weder Bank noch Erben vom Tod des Inhabers, kann das Verlassenschaftsverfahren erst gar nicht eingeleitet werden.

"Die Thematik wird massiv überbewertet", sagt Branchenvertreter Rudorfer. Man könne die deutsche Schätzung nicht auf Österreich umlegen, weil Österreich kleinräumiger sei, argumentiert er. Durch das dichte Filialnetz funktioniere der Informationsaustausch hier besser, also müsse auch der Geldbetrag, der auf Geisterkonten liegt, kleiner sein als 200 Millionen Euro. Die Kosten, ein öffentliches Register einzuführen, stünden nicht dafür.

Dass Banken die Verjährungsfrist nicht für sich ausnutzen würden, sieht nicht nur Rudorfer, sondern auch Rechtsanwältin Scheuba so. "Aus Mandantenkreisen hört man immer wieder, dass da so etwas wie ein Eigentümerwechsel stattfindet", erzählt sie. Dafür gebe es aber keine Beweise. In der Regel seien es nicht die Banken, die Probleme machen, sondern grenzüberschreitende Situationen: Wenn Ausländer in Österreich ein Konto besitzen, funktioniere der Informationsaustausch schlechter. "Oder Uraltsparbücher, deren Urkunde unauffindbar ist", sagt die Anwältin.

Nicht nur die Schweiz, auch Italien und Großbritannien haben in Zeiten knapper Staatshaushalte den Schatz der Geisterkonten gehoben. Melden sich keine Erben, geht das Geld in Italien an den Staat. Großbritannien finanzierte damit eine Sozialbank.