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Ausgebildet, um Kaffee zu kochen

Von Petra Tempfer

Wirtschaft
© Fotolia/marinabh

Jeder zweite Lehrling hat einer Umfrage zufolge das Gefühl, dass ihm alles zu viel wird. Mit ein Grund: Er wird wie eine Hilfskraft behandelt.


Wien. Kaffeekochen, Zusammenkehren, Müll-Wegtragen. In diesen Bereichen fühlen sich Lehrlinge mitunter besser ausgebildet als in ihrem Beruf selbst. Das hat eine Umfrage der Notrufeinrichtung "147 - Rat auf Draht" des SOS Kinderdorfs unter 901 Lehrlingen ergeben, die am Mittwoch präsentiert worden ist. Jeder zweite Lehrling fühlt sich demnach überfordert - unter anderem deshalb, weil er wie eine Hilfskraft behandelt wird. Sieben Prozent waren schon einmal von Mobbing in Form von Beschimpfungen vor allem durch den Vorgesetzten betroffen.

Konkret sind es 67 Prozent der weiblichen und 41 Prozent der männlichen befragten Lehrlinge, die das Gefühl haben, dass ihnen alles zu viel wird. Ein Großteil fühlt sich nicht gut genug für den Arbeitsalltag nach der Lehre ausgebildet. Sie hätten die Motivation, etwas zu lernen und zu erleben, sagte Elke Prochazka, Psychologin der Notrufeinrichtung. Sobald sie bemerken, dass sie stattdessen Hilfsarbeiten erledigen müssen, fehle den meisten der Mut, der Chefin oder dem Chef ihre Unzufriedenheit mitzuteilen. "Aus Angst, die Lehrstelle zu verlieren", sagt Prochazka.

Rund 16 Prozent derLehrlinge scheiden aus

Die Arbeiterkammer kommt zu einem ähnlichen Schluss. "Das deckt sich mit unseren Befragungen", sagt Edith Kugi-Mazza, die in der Arbeiterkammer Wien für den Lehrlings- und Jugendschutz verantwortlich ist. Vor allem in der Gastronomie, unter den Maler- und Friseurlehrlingen würden die Rahmenbedingungen bei der Ausbildung schlecht eingeschätzt. Sich als Lehrling gegen den Ausbilder zu stellen, sei aber tatsächlich ein Problem. Viele wollten daher lieber weg, als ein kompliziertes Verfahren zu beginnen. Die Drop-out-Rate liege bei rund 16 Prozent. "Kaum einer der Abbrecher wechselt in einen anderen Lehrberuf, die wenigsten gehen zurück in die Schule. Die meisten scheiden aus dem System aus", so Kugi-Mazza.

Freilich gebe es gesetzliche Ausbildungsvorschriften, an die sich jedes Unternehmen zu halten habe, und bei deren Nichteinhaltung die Ausbildungsberechtigung entzogen werden könne. "Das nachzuweisen ist aber ganz schwierig", sagt Kugi-Mazza zur "Wiener Zeitung". "Viel schwieriger als zum Beispiel in einer Schule." Problematisch in diesem Zusammenhang sei nämlich auch, dass die Lehrlinge der Wirtschaftskammer zugeordnet seien - die wiederum die Interessenvertretung der Unternehmen ist.

Bisher sei es daher "sehr, sehr selten" passiert, dass ein Betrieb seine Ausbildungsberechtigung verloren habe, sagt Kugi-Mazza. Diese erhält man in der Regel nach einem Antrag an die Lehrlingsstelle bei der Wirtschaftskammer des jeweiligen Bundeslandes, die nach Prüfung des Betriebs - die Arbeiterkammer hat in diesem Verfahren ebenfalls Parteistellung - einen Bescheid ausstellt. Ist der Betrieb dadurch zur Ausbildung berechtigt, muss ein Ausbilderkurs absolviert werden.

Wirtschaftskammerbietet Coaching an

Dass die Ausbildung mitunter mangelhaft sein soll, kann man in der Wirtschaftskammer nicht nachvollziehen. "Ich will das Problem nicht wegwischen, aber man kann die Umfrage-Ergebnisse nicht eins zu eins als Tatsache ansehen", sagt Alfred Freundlinger von der Abteilung Bildungspolitik in der Wirtschaftskammer Österreich. Es komme immer auf die Fragestellung an. Die jährliche Market-Umfrage der Wirtschaftskammer im Vorjahr zum Beispiel habe ergeben, dass 68 Prozent der Lehrlinge mit der Ausbildung, die man am Arbeitsplatz erhält, sehr zufrieden sind.

Sind sie es nicht, biete die Wirtschaftskammer gemeinsam mit den Sozialpartnern und im Auftrag des Wirtschafts- und Sozialministeriums seit dem Vorjahr bundesweit ein Lehrlingscoaching an. Jeder Lehrling könne sich kostenlos beraten lassen, die Coaches sprächen mitunter auch mit den Ausbildern, sagt Freundlinger.

Grundsätzlich habe aber "jede Medaille zwei Seiten": Lehrlinge beschwerten sich darüber, dass sie nur Kaffee kochen müssten - und die Ausbilder sagten über dieselben Lehrlinge, dass sie überhaupt kein Interesse zeigten.

Letztendlich stehe und falle jeder Vorwurf einer mangelnden Ausbildungsqualität mit der Durchfallquote bei den Lehrabschlussprüfungen. Und diese liegt laut Freundlinger der Statistik zufolge bei weniger als fünf Prozent.

Doch auch in diesem Punkt kommt die Arbeiterkammer zu einem anderen Ergebnis. "Die Wirtschaftskammer bezieht sich auf die Personen und nicht die Antritte", sagt Kugi-Mazza. Tatsächlich fielen beim ersten Antritt den Daten der Arbeiterkammer zufolge rund 19 Prozent durch - eine eher hohe Durchfallquote. Ein Großteil der Betroffenen nehme danach Unterstützungsmöglichkeiten in Anspruch und komme dann doch durch. In der Statistik der Wirtschaftskammer rangierten diese dadurch unter denjenigen, die es geschafft haben.

Zurück zur "147 - Rat auf Draht"-Umfrage. Sich für eine Lehre entschieden zu haben, bewerten die meisten dennoch positiv. Für 86 Prozent war die Lehre die absolut richtige Wahl. Am zufriedensten scheinen die Mechatronik-Lehrlinge zu sein: Sie fühlen sich laut Umfrage zu 100 Prozent am Arbeitsplatz wohl.