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Der K(r)ampf um die E-Commerce-Lehre

Von Andrea Möchel

Wirtschaft
Der Online-Handel boomt und deshalb sind qualifizierte E-Commerce-Mitarbeiter dringend gefragt.
© fotolia/stokkete

Der Handelsverband kämpft seit Jahren um eine Lehre, die digitale Kompetenzen vermitteln soll.


Wien. Kaum eine Branche ist durch die Digitalisierung so im Umbruch wie der Handel. Das Online-Geschäft boomt und qualifizierte E-Commerce-Mitarbeiter sind dringend gefragt. In Österreich allerdings häufig vergebens. "Oftmals bleiben Stellen unbesetzt, weil es keine passenden Bewerber gibt. Der Handel braucht deshalb Mitarbeiter mit einer zukunftsfähigen Ausbildung", ist Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbandes, überzeugt. "Ein neues E-Commerce-Lehrangebot würde den Handel als Arbeitgeber daher noch attraktiver machen."

Seit Jahren kämpft der Handelsverband für ein eigenständiges Berufsbild "E-Commerce-Kaufmann/Kauffrau". Mit einer "E-Commerce Lehre" sollen jene digitalen Kompetenzen vermittelt werden, ohne die im Handel nichts mehr geht. Konkrete Ausbildungsinhalte hat der Handelsverband bereits 2016 vorgeschlagen. Derzeit wird E-Commerce jedoch nur als optionales Modul "Digitaler Verkauf" im Rahmen der Einzelhandels-Lehre angeboten. Eine Evaluierung des Ausbildungsversuchs ist erst für 2021 vorgesehen. Für Rainer Will reicht das nicht. "Wir brauchen die rasche Implementierung einer eigenständigen E-Commerce Lehre, zusätzlich zur Einzelhandels-Lehre, um ausbildungstechnisch im 21. Jahrhundert anzukommen", sagt er. Vor allem aber brauche es verständnisvolle, spezialisierte Lehrkräfte, die die Inhalte auch optimal vermitteln. Sonst bleibe die gesamte Ausbildungslast bei den Unternehmen , wie das derzeit der Fall sei.

Der Handel steht einer E-Commerce-Lehre jedenfalls positiv gegenüber, wie eine Befragung unter mehr als hundert heimischen Handelsunternehmen zeigt. Sie wurde vom Handelsverband und dem Marktforschungsinstitut MindTake Research durchgeführt. Demnach erwarten 95 Prozent der befragten Unternehmen eine Zunahme des Sektors E-Commerce, und 70 Prozent würden einen E-Commerce-Lehrling einstellen. 30 Prozent der Befragten wären sogar bereit, diesen höher zu entlohnen. "Das positive Feedback der Händler hat uns in unserem Alleingang bestätigt", sagt Rainer Will zur "Wiener Zeitung".

Karriere mit Lehre

Zusätzlich wurden Interviews mit Eltern von Teenagern und mit Jugendlichen im Ausbildungsalter geführt. Dabei sollten deren Einstellungen zu einer E-Commerce-Lehre ausgelotet werden. Das Ergebnis: Eine derartige Ausbildungsmaßnahme ist für Jugendliche und Eltern doppelt so attraktiv wie die herkömmliche Einzelhandelslehre. "Mit Zulauf zum Angebot wäre zu rechnen", ist Petra Kacnik-Süß, Geschäftsführerin von MindTake, daher überzeugt. "67 Prozent der befragten Jugendlichen erachten die Ausbildung als sinnvoll, 80 Prozent der Eltern eine solche als notwendig, um am Puls der Zeit zu bleiben."

Die E-Commerce-Lehre habe damit das Potenzial, nicht nur die steigende Nachfrage nach qualifizierten Mitarbeitern mit digitalem Know-how zu befriedigen, sondern zugleich auch das Image des Handels zu verbessern. "Nun gilt es, eine rasche Umsetzung mit den Sozialpartnern im Berufsausbildungsbeirat sicherzustellen", drückt Will aufs Tempo. Tatsächlich ist für eine Umsetzung die Zustimmung mehrerer Akteure von Nöten. Der Grund: Neue Lehrberufe werden vom Bundes-Berufsausbildungsbeirat, bestehend aus den Sozialpartnern Wirtschaftskammer Österreich und Arbeiterkammer erarbeitet.

Rückenwind ortet der Handelsverband nun seitens der Politik. Bei Bildungsministerin Sonja Hammerschmid und der Spitze der Bundesregierung sehe man "große Bereitschaft, Bildung und Ausbildung neu zu denken und unsere Jugend fit für den digitalen Arbeitsalltag zu machen". Den Worten müssten nun jedoch rasch Taten folgen, denn die Zeit drängt.

Konkurrenz aus Deutschland

In Deutschland, wo es die E-Commerce-Lehre bereits gibt, werden 2021 die ersten E-Commerce-Kaufleute ihre Ausbildung abschließen. "Es besteht die Gefahr, dass österreichischen Unternehmen ausgebildete E-Commerce-Lehrlinge aus Deutschland anheuern und die heimischen Arbeitskräfte damit auf der Strecke bleiben, wenn hier zu langsam reagiert wird", warnt Will. "Bei einer Rekordarbeitslosigkeit wäre das ein volkswirtschaftliches Desaster und ein Raub an den Zukunftschancen der Jugend."

Der Handelsverband ist nach Analyse der deutschen Ausbildungsinhalte überzeugt, dass die Lehrinhalte fast zur Gänze auf das österreichische E-Commerce-Lehrmodell übertragen werden können. Nun gelte es, die verlorene Zeit aufzuholen und den Handelsunternehmen die Chance zu geben, neue Jobs zu schaffen, und die bestehenden 580.000 Anstellungsverhältnisse zu halten und zukunftsfit zu machen.