Zum Hauptinhalt springen

Lug und Trug schaden allen Versicherten

Von Karl Leban

Wirtschaft
Eigenbrandstiftung zählt zu den Klassikern des Versicherungsbetrugs.
© pusteflower9024/Fotolia

Versicherungsbetrug kostet die Volkswirtschaft jährlich bis zu 500 Millionen Euro, sagt der Versicherungsverband.


Wien. Die Affäre Lucona rund um Udo Proksch gilt in Österreich als bisher größter und aufsehenerregendster Fall von Versicherungsbetrug. Dieser Kriminalfall, der sogar zu Filmehren kam, ereignete sich vor gut 40 Jahren. Der gecharterte Frachter "Lucona" hatte eine auf 212 Millionen Schilling versicherte angebliche Uranerz-Aufbereitungsanlage geladen, in Wirklichkeit aber bloß wertlosen Schrott. Nach gezielter Sprengung sank das Schiff im Indischen Ozean, sechs Menschen starben dabei. Die Bundesländer-Versicherung weigerte sich, Proksch die Versicherungssumme auszuzahlen, weil sie Betrug vermutete. Proksch, der sich als Geschäftsmann oft mit prominenten Politikern umgab, wurde später überführt und wegen sechsfachen Mordes verurteilt, er starb 2001 in Haft.

Fälle wie diese sind in der Versicherungsbranche freilich selten. In Sachen Betrug sind vielmehr kleine Fälle an der Tagesordnung. Hier geht es meist darum, dass ein Versicherungskunde etwa das Fahrrad, die Skier oder etwas anderes aus seinem Besitz als gestohlen melden, obwohl ihm gar nichts gestohlen worden ist. Eigenbrandstiftungen, also das Abfackeln des eigenen Hauses, absichtlich herbeigeführte Autounfälle, fingierter Autodiebstahl, wobei das Fahrzeug im Ausland verkauft wird, und auch Selbstverstümmelungen sind weitere Beispiele für immer wieder vorkommende Betrugsfälle, die allerdings schon schwerer wiegen. Wo Versicherer inzwischen ebenfalls regelmäßig mit betrügerischen Absichten konfrontiert sind: Smartphones werden ausgerechnet zum Erscheinungszeitpunkt des Nachfolgemodells als kaputt oder verloren gegangen gemeldet.

Betrugsfälle habenhöhere Prämien zur Folge

Betrug zieht sich jedenfalls quer durch alle Versicherungssparten. Gerhard Janoch - er ist Leiter des Büros zur Bekämpfung von Versicherungsbetrug im Versicherungsverband (VVO) - geht von einem Anteil von sieben bis zehn Prozent an der Gesamtzahl der gemeldeten Schadenfälle, aber auch an der Schadensumme aus. Schätzungen des VVO zufolge beläuft sich der volkswirtschaftliche Schaden, der durch Versicherungsbetrug verursacht wird, auf bis zu 500 Millionen Euro pro Jahr.

In Österreich seien die schwarzen Schafe angesichts von Millionen redlichen Versicherungskunden zwar "bei Weitem in der Minderzahl", erklärt der Chef des Instituts für Versicherungswirtschaft an der Kepler-Universität in Linz, Josef Stockinger. "Dennoch sind Betrug und Missbrauch ein wirtschaftliches, vor allem aber ein moralisches Problem, da mit der Versicherungsgesellschaft in erster Linie die Gemeinschaft aller Versicherungsnehmer hintergangen wird." Das Fazit Stockingers: "Schäden durch Versicherungsbetrug schwächen nicht nur die wirtschaftliche Basis des jeweiligen Unternehmens, sondern führen so zu höheren Prämien für alle Versicherungsnehmer." Gäbe es keine Betrugsfälle, wären die Versicherungsprämien um mindestens fünf Prozent günstiger, heißt es bei einer großen Wiener Versicherungsgesellschaft, die in diesem Zusammenhang namentlich nicht genannt werden will.

Versicherungsbetruggilt als "Volkssport"

In der Bevölkerung ist indes die Meinung weit verbreitet, Versicherungsbetrug sei bloß ein Kavaliersdelikt. Dies geht aus einer Studie des Linzer Meinungsforschungsinstituts Spectra aus dem Jahr 2011 hervor. Spectra befragte 1000 Personen - repräsentativ für die österreichische Bevölkerung - zu ihren eigenen moralischen Bewertungen von verschiedenen, nach ethischen und rechtlichen Maximen als verwerflich anzusehenden Handlungen. Das verblüffende Ergebnis der Umfrage: Rund ein Viertel - jeder Vierte der Befragten - sieht bei Versicherungsbetrug keinen Grund für strafrechtliche Sanktionen. Argumentiert wird damit, dass ohnehin zu viel in den Prämientopf einbezahlt werde. Der "Betrug" sei somit "berechtigt" und werde außerdem "von allen" praktiziert.

Für den Uni-Experten Stockinger ist damit klar: "Der Grundhaltung, die Versicherungsbetrug in kleinem Umfang als Kavaliersdelikt ansieht und heute bei jungen Leuten vor allem im Zusammenhang mit Handy-Schäden stark vertreten ist, muss rechtzeitig engegengewirkt werden." Was einmal erfolgreich sei, verleite nämlich schnell zur Wiederholung. Im Hinblick auf eine moralische Bewusstseinsbildung sieht Stockinger die Schulen gefordert, außerdem hält er eine Imagepolitur des Berufsbildes "Versicherungsangestellter" für notwendig.

Versicherungsbetrug ist jedenfalls strafbar, Haftstrafen drohen. VVO-Mann Janoch kritisiert aber, dass der Gesetzgeber die Wertgrenze bei schwerem Betrug (§ 147 Strafgesetzbuch) zuletzt von 50.000 auf 300.000 Euro recht deutlich hinaufgesetzt hat. "Dies dürfte angesichts einer bisher bereits eher niedrig anzusetzenden Hemmschwelle wohl kaum das richtige Signal sein", betont er.

85 Prozent derTäter sind Ersttäter

Laut Janoch sind rund 85 Prozent der Versicherungsbetrüger Ersttäter, die sich etwa in einem früheren Schadenfall betrogen fühlen und nun auf Rache sinnen. Etwa zwölf Prozent seien gewerbsmäßige Täter, und in drei Prozent der Fälle könne von organisierter Kriminalität gesprochen werden.