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Kredite zum Nulltarif

Von Karl Leban

Wirtschaft

Der Oberste Gerichtshof hat entschieden: Banken müssen negative Referenzzinsen bis zu einem Sollzinssatz von null berücksichtigen. Jahrelang haben Kreditkunden zu viel bezahlt, sie müssen nun entschädigt werden.


Wien/Innsbruck. Die Entscheidung gilt als weitreichend und wirbelt in der heimischen Bankenbranche nun wohl viel Staub auf. Laut einem weiteren Urteil des Obersten Gerichtshofes (OGH) ist es rechtlich unzulässig, wenn Banken negative Referenzzinsen bei Krediten mit variablem Zinssatz nicht berücksichtigen. Was das Höchstgericht ebenfalls entschieden hat: Der Kreditzinssatz kann zwar bis auf null sinken, aber nicht darunter. Die absolute Untergrenze der Entgeltlichkeit ist somit ein Zinssatz von null - quasi ein zinsenloser Kredit.

Anlass für das jetzige OGH-Urteil war eine Verbandsklage gegen die Hypo Tirol, die der Verein für Konsumenteninformation im Auftrag der Arbeiterkammer (AK) Tirol eingebracht hatte. Die Experten der AK sehen ihre Rechtsansicht nunmehr bestätigt und fordern den Bankensektor generell auf, allen betroffenen Kreditkunden - es werden wohl zigtausende sein - die zu viel bezahlten Zinsen "umgehend" zurückzuzahlen. Neben der Hypo Tirol tangiert der OGH-Spruch auch viele andere Finanzinstitute, die ihren Kunden in einer ähnlichen Vorgangsweise zu hohe Kreditzinsen verrechnet haben. Die Causa selbst ist bereits seit Jahren virulent.

Referenzzinsen negativ

Konkret geht es um Kreditverträge mit variablen Zinsen, also ohne vereinbarte Ober- und Untergrenze. Der Sollzinssatz setzt sich dabei aus einem Referenzzinssatz (etwa dem Euribor als Parameter für die Zinssatzanpassung bei Euro-Krediten) und einem fixen Aufschlag (Marge) zusammen. Wird nun der Referenzzinssatz negativ (was beim Euribor, aber auch anderen Zinsparametern wie dem Schweizer-Franken-Libor seit zweieinhalb Jahren zu beobachten ist), rutscht der Sollzinssatz unter die Marge.

Im Extremfall könnte er sogar einen negativen Wert annehmen. Dass die Bank dann verpflichtet wäre, ihrem Kreditkunden Zinsen zu zahlen, dem hat der OGH jedoch - wie oben bereits erwähnt - einen Riegel vorgeschoben. Zumal ein Kreditnehmer typischerweise nicht damit rechne, dass der Kreditgeber einer Zahlungspflicht in Form von "Negativzinsen" zustimme und damit akzeptiere, dass er möglicherweise weniger zurückerhalte, als er an Kreditvaluta zur Verfügung gestellt habe.

Als die Referenzzinsen Anfang 2015 erstmals unter null sanken und damit also ins Negative drifteten, war die Reaktion bei vielen Banken folgende: Sie teilten ihren Kunden mit, dass nun ein Referenzzinssatz von null gelte (dies immer für den Fall, dass sich dieser am Markt im negativen Bereich bewege).

"Mehrere Millionen Euro"

Mit dem nachträglichen Einziehen einer Untergrenze ist der Sollzinssatz demnach auf der Höhe des fixen Aufschlags eingefroren worden. Diese Praxis hat der Oberste Gerichtshof jetzt für unzulässig erklärt.

Ein Beispiel: Hat die Bank mit ihrem Kreditkunden einen fixen Aufschlag von 1,5 Prozent vereinbart, hat dieser aufgrund des aktuellen Drei-Monats-Euribor, der mit minus 0,33 Prozent negativ ist, lediglich 1,17 Prozent als Sollzinssatz zu zahlen - statt eben 1,5 Prozent (gemäß der in der Branche bisher weit verbreiteten Praxis).

Wie viel die Banken den Kunden retournieren müssen, ist vorerst unklar. Andreas Oberleitner, Chef der Rechtsabteilung in der AK Tirol, sprach am Mittwoch im ORF-Radio von "mehreren Millionen Euro". Allerdings dürfte dies sehr konservativ geschätzt sein.

Bei der Hypo Tirol hieß es auf Anfrage: "Selbstverständlich werden wir uns entsprechend dem OGH-Urteil verhalten." Um welche Geldsumme es geht, die nun zurückgezahlt werden muss, ließ das Institut aber offen. Dazu hieß es nur: "Wir haben entsprechende Rückstellungen gebildet."

Bei der Erste Bank Österreich sagte eine Sprecherin: "Wir kennen das Urteil noch nicht im Detail. Wenn es uns vorliegt, werden wir die Details prüfen, unsere Kreditverträge anschauen und dann auf die Kunden zukommen."

Zu keiner Stellungnahme war indes im Zuge eines Rundrufs der "Wiener Zeitung" die Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien bereit. Auch die Unicredit Bank Austria lehnte ein Statement ab: "Wir kommentieren rechtliche Entscheidungen grundsätzlich nicht." Wie zu erfahren war, betrifft das OGH-Urteil die Bank jedoch nicht. Dass die Bank Austria beim Thema Kreditzinsen rechtlich korrekt vorgeht, hat heuer - am 17. April - ein Spruch des Obersten Gerichtshofes bestätigt.

AK macht Banken Druck

Unterdessen stellt Erwin Zangerl, Chef der Tiroler Arbeiterkammer, der Bankenbranche die Rute ins Fenster. "Sollten sich Banken weigern, die aktuelle OGH-Entscheidung umzusetzen beziehungsweise zu viel verlangte Zinsen nicht zurückzuerstatten, wird die AK Tirol alle rechtlichen Möglichkeiten ergreifen, um für die betroffenen Kreditnehmer einen gesetz- und vertragsgemäßen Zustand herzustellen", so Zangerl in einer Aussendung.

Welche Folgen die OGH-Judikatur für zukünftige Kreditverträge hat, ist noch offen. Zwar ist es möglich, eine Untergrenze für variable Zinsen festzulegen. Aber es müsste dann auch eine Höchstgrenze geben. Das Problem dabei: Der Zinskorridor darf nicht willkürlich festgelegt werden. Banken gehen deshalb einem Bericht der Tageszeitung "Die Presse" zufolge bereits dazu über, auch variable Kredite zumindest in den ersten Jahren mit einem Fixzins zu vergeben.