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Teile und arbeite

Von Daniel Bischof

Wirtschaft

Die freie Arbeitsplatzwahl statt des fixen Schreibtisches ist bei Unternehmen im Trend. Eine Betrachtung zum "Desksharing".


Wien. Weg sind sie, die auf dem Schreibtisch verstreuten Zettel. Verschwunden sind die Bücherstapel, Familienfotos, Plüschfiguren und Postkarten. Den persönlichen, fixen Bürotisch gibt es bei "Microsoft Österreich" am Europlatz in Wien nicht mehr. Hier wird geteilt. Alles gehört allen. Täglich suchen sich die Mitarbeiter einen neuen Platz, den sie am Abend wieder räumen müssen.

"Desksharing" heißt diese Organisationsform. Sie passt in die heutige Zeit. Man teilt Beiträge und Fotos in sozialen Medien, das Auto und die Wohnung auf Internetplattformen. Und nun wird eben auch der Arbeitsplatz "geshared". Was steckt hinter dem Konzept? Eine Betrachtung.

"Eine neue Welt der Arbeit"

Losgetreten wurde der Desksharing-Trend durch eine Beobachtung: Man bemerkte, dass in einem Büro immer nur ein Teil der Plätze besetzt ist, da Mitarbeiter beispielsweise auf Terminen, in Seminaren oder im Ausland sind. Durch die Einführung eines freien Arbeitsplatzmodells lässt sich also Betriebsfläche einsparen.

Es gebe zwar einen Einsparungseffekt, sagt Susanne Ostertag, Leiterin der "Applications Services Group" bei Microsoft. Allerdings stecke viel mehr hinter dem Konzept. Es bewirke eine Kulturveränderung und stehe für eine "neue Welt der Arbeit". "Hierarchieunterschiede gibt es nicht mehr. Das Desksharing gilt für alle - auch für die Vorstände." Es sei zudem völlig transparent und rege zur Teamarbeit an: "Man teilt offen, was man hat", so Ostertag.

Ostertag sitzt mit ihrer Kollegin Nina Schmidt, Chefin der Personalabteilung, im "Nature Room" des Microsoft-Quartiers. Das Zimmer ist ganz in Holz gekleidet, in der Mitte steht ein länglicher Schreibtisch, in der Ecke ein brauner Sofastuhl. Es ist einer der vielen Räume, in denen Mitarbeiter arbeiten können. Auch ein Zimmer voller bunter Möbelstücke, ein Platz im Garten oder klassische Bürotische sind verfügbar.

"Wir wollten ein Büro von Mitarbeitern für Mitarbeiter schaffen", meint Schmidt, die bei der 2011 begonnenen Umsetzung für den "People-Teil" verantwortlich war. Man habe das Personal umfassend eingebunden und vorbereitet. Die anfänglichen Widerstände seien nach und nach geringer geworden. Nun würden nur noch drei bis vier Prozent der Mitarbeiter einen fixen Platz haben - weil sie etwa mit sensiblen Daten umgehen müssen, so Schmidt.

Der Psychologe Herbert Reichl vom "Institut für Wohn- und Architekturpsychologie" sieht das Konzept kritischer. "Territorien bewirken Stabilität und Ordnung", sagt er. Beim Desksharing sei es den Arbeitnehmern aber eben nicht mehr möglich, sich Raum als Territorium anzueignen. "In der beruflich aufstrebenden Zeit ist viel Flexibilität gefragt. Die Menschen sind meist auch sehr ungebunden und weniger an fixen Plätzen orientiert. Dann kann es gut passen", so Reichl.

Bei Menschen, die psychisch nicht so stabil seien, habe er hingegen starke Bedenken. "Gerade bei psychischen Belastungen dienen Personalisierungen - also persönliche Dinge am Arbeitsplatz - als Stabilisierung. In einer Untersuchung hat man 2013 festgestellt, dass Privatheit und Personalisierung vor emotionaler Erschöpfung am Arbeitsplatz schützen", sagt Reichl.

"Muss zur Struktur passen"

"Unternehmen müssen sich überlegen, ob die freie Arbeitsplatzwahl zu ihrer Organisationsstruktur passt", ergänzt die Arbeitspsychologin Bettina Kubicek, Professorin an der "Fachhochschule Oberösterreich". So könne das Konzept für ein hierarchisch aufgebautes Unternehmen nicht geeignet sein. "Desksharing in Kombination mit unterschiedlich gestalteten Arbeitszonen macht nur Sinn, wenn die Mitarbeiter vielfältige Aufgaben ausführen. Dann kann man für jede Teiltätigkeit den passenden Arbeitsplatz finden. Wenn man immer nur konzentriert arbeitet, wäre es besser, nur ein ruhiges Büro zu haben."

Den Mitarbeitern von Microsoft - überwiegend jüngeren Menschen - gefällt das Konzept. Eine junge Frau, die früher einen fixen Arbeitsplatz hatte, ist vom Desksharing positiv überrascht. "Das Handtuchreservieren wie im Urlaub gibt es nicht", sagt sie. "Man bewegt sich viel und kann sich die Räume aussuchen", meint eine andere. Dass man jetzt aber die Kollegen suchen müsse, weil man nicht wisse, wo sie sitzen, sieht sie als Nachteil: "Das ist mühsam." Den Betriebsrat kann man zu seiner Meinung zu diesem Konzept nicht befragen. Den gibt es bei Microsoft nicht.

Einen Betriebsrat hat hingegen die Erste Group. Auch sie hat auf dem Erste Campus in Wien das Desksharing-Modell eingeführt. Für die 5200 Mitarbeiter gibt es 4500 vom Arbeitsinspektorat genehmigte Arbeitsplätze.

"Es gibt Mitarbeiter, die sind unglaublich glücklich, dass sie sich mit ihrem Laptop auf die Terrasse oder ins Kaffeehaus setzen können. Das sind besonders jene, die bereits bisher sehr mobil waren", sagt die Betriebsratsvorsitzende Ilse Fetik. "Andere haben es sehr genossen, Projekte unmittelbar mit ihren Kollegen abzuschließen oder sich mit ihnen im Zimmer auszutauschen."

Manchen würde es wiederum gut passen, dass sie weniger am Tisch liegen haben. Andere störe das: "Man muss seine Unterlagen wegräumen, wenn man längere Zeit in einer Besprechung ist. Da räume ich mich auch ein Stückchen selbst weg", so Fetik.

Dass man das Desksharing ausschließlich aus Effizienzgründen eingeführt habe, verneint auch die Projektverantwortliche Ursula Kunter, Future Work Managerin bei der Erste Group. Vielmehr diene es dazu, die Arbeitnehmer mobiler, flexibler und kommunikativer zu machen.

Bei den anonym befragten Erste-Bank-Mitarbeitern kommt das Konzept mehrheitlich positiv an. "Für mich ist das in Ordnung. Ich habe nicht viele persönliche Sachen." "Die Arbeitsplätze werden weniger zugemüllt." So lauten Argumente. Doch es gibt auch Kritik. "Ich mag es nicht. Wir haben in unserer Abteilung zu wenige Plätze. Man muss früh kommen, um einen zu bekommen. Ich will die Nacht nicht im Büro verbringen", sagt eine Frau. "Ja, es stimmt, dass es bei einzelnen Bereichen, vor allem wenn dort große Projekte laufen, zu Stoßzeiten eng wird", heißt es seitens der Erste Group. Auch Fetik bestätigt, dass es vereinzelt zu wenige Plätze gebe. Man arbeite an einer Lösung.

Schick und leer

Schick und aufgeräumt wirken die Büros in beiden Unternehmen - wobei die Räume im wesentlich kleineren Microsoft-Quartier ausgefallener als die klassischeren Büros am Erste Campus sind. So schick, so aufgeräumt, so effizient und modern all die Zimmer auch sind, wirken sie doch auch irgendwie leer und unpersönlich. Ein paar Postkärtchen oder verstreute Zettel würden dem Ganzem dann halt doch guttun.