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Lösung für Lehrlinge gesucht

Von Michael Ortner

Wirtschaft
Javad Mirzayee bei seiner Arbeit in der Weberei.
© Weberei Vieböck

Asylwerber als Lehrlinge: Die Mehrheit der Österreicher ist gegen eine Abschiebung.


Wien. Sie füllen eine Lücke, die sonst in vielen Unternehmen klaffen würde: Asylwerber, die eine Ausbildung als Dachdecker, Koch oder Spengler absolvieren. Doch trotz Lehrstelle in einem Mangelberuf sind sie akut von der Abschiebung bedroht - die "Wiener Zeitung" berichtete. Seit Monaten wird gefordert, dass sie ihre Lehre trotz negativem Asylbescheid abschließen können. Oberösterreichs für Integration zuständiger Landesrat Rudi Anschober (Grüne) startete eine Initiative, die immer mehr Zuspruch findet: von Bundespräsident Alexander Van der Bellen über Ex-Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner bis hin zu Spar-Chef Gerhard Drexel.

Doch die Politik stellt sich quer. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) sagte in einem Interview Mitte Juli, dass eine Lehre keine Hintertür sein dürfe, um Asyl zu erhalten. Integrationsministerin Karin Kneissl verwies jüngst im Interview in der "ZiB 2" darauf, dass man geltendes Asylrecht durchsetze. Trotz Kritik hält sie eine gesetzliche Änderung nicht für notwendig.

Unsicherheit bei Betrieben

Die Betriebe sehen das anders. "Wir hängen komplett in der Luft", sagt Christoph Kobler, Junior-Chef der Weberei Vieböck im Mühlviertel. Der Betrieb besteht seit 180 Jahren, es mangelt aber an Fachkräften. Javad Mirzayee hat diese Lücke gefüllt. Der junge Afghane lernt Weber, er ist nicht mehr weit von seinem Lehrabschluss entfernt. Doch sein Asylbescheid war negativ, derzeit wird seine Beschwerde dagegen noch geprüft.

Davon, ob Javad bleiben darf oder nicht, hänge die Zukunft des Traditionsunternehmens ab, erklärt Kobler. Denn kommendes Jahr verliert der Betrieb pensionsbedingt den letzten Weber, der Lehrlinge ausbildet. Einen zweiten Lehrling hat Kobler noch. "Mit Javad wäre der Nachwuchs gesichert gewesen", sagt Kobler. Der junge Afghane könnte als Geselle übernommen werden.

Die Weberei ist nicht das einzige Unternehmen, bei dem große Unsicherheit herrscht. Rund 950 Asylwerber absolvieren derzeit österreichweit eine Ausbildung. Rund ein Drittel hat bereits einen negativen Bescheid erhalten. Dabei gäbe es genug Bedarf an Fachkräften. "In Oberösterreich gibt es derzeit 2555 offene Lehrstellen in Mangelberufen. Für manche Betriebe ist das essenziell", sagt Anschober.

Grundsätzlich herrscht für Asylwerber in Österreich ein generelles Arbeitsverbot. Es gibt jedoch ganz wenige Ausnahmen. Bis zum Alter von 25 Jahren dürfen sie eine Ausbildung in einem Mangelberuf oder einem Lehrberuf, in dem Mangel herrscht, absolvieren, wenn sich sonst niemand für die Stelle findet.

Mehrheit für Bleiberecht

Laut einer repräsentativen Umfrage unter 900 Personen ist die Mehrheit der Österreicher gegen eine Abschiebung von Asylwerbern in Ausbildung.79 Prozent sind demnach eher dafür, dass junge Asylwerber die Ausbildung fertig absolvieren dürfen. 15 Prozent sprechen sich für eine Abschiebung aus. Interessant ist, dass selbst die Mehrheit der FPÖ-Wähler für ein Bleiberecht sind. 60 Prozent stimmen zu, dass die Asylwerber ihre Lehre fertig machen dürfen.

Bettina Leibetseder vom SORA-Institut legte eine Umfrage unter 900 Personen vor, wonach 79 Prozent eher dafür sind, dass junge Asylwerber die Ausbildung fertig absolvieren dürfen.

An Lösungsvorschlägen fehlt es jedenfalls nicht. Anschober brachte erneut die deutsche "3+2-Regelung" ins Spiel, nach der Asylwerber geduldet werden, wenn sie sich in einer Ausbildung befinden. Danach dürfen sie zwei Jahre den erlernten Beruf ausüben. Das Modell gibt es seit 2016, laut Anschober werden in Deutschland rund 7000 Lehrlinge auf diese Art ausgebildet. Kritiker unterstellen, die Regelung hätte einen Anziehungseffekt. Anschober kontert mit einem Kompromiss: "Man könnte das Modell mit einer Stichtagsregelung einführen." Sodass es etwa nur für Asylwerber gilt, die bis 1. Jänner 2018 einen Antrag gestellt haben. Eine andere Lösung wäre die Einführung eines Lehrlingsvisums, die die Wirtschaftskammer Oberösterreich ins Spiel gebracht hat. Die Neos haben eine "Rot-Weiß-Rot-Card Light" angeregt. Langfristig fordert Anschober aber ein eigenes Einwanderungsgesetz.

Abwägung von Interessen

Kritik an der rechtlichen Situation kommt auch vom Völkerrechtler Manfred Nowak. Er hat gemeinsam mit Adel-Naim Reyhani ein menschenrechtliches Gutachten erstellt, das sich auf Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention stützt. Im Kern geht es um eine Abwägung zwischen dem gesamtgesellschaftlichen Interesse einer Migrationskontrolle und dem wirtschaftlichen Interesse des Staates zur Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung. Er sieht in der Praxis einen klaren Widerspruch: "Die Tatsache, dass ein Asylweber in diese Lehrposition aufgenommen wurde, beweist ja, dass dies im volkswirtschaftlichen Interesse ist." Dem wurde bisher in Asylbescheiden jedoch noch nicht Rechnung getragen.

Abschiebungen verursachen sowohl betriebs- als auch volkswirtschaftliche Kosten. Der Ökonom Friedrich Schneider bezifferte diese pro Asylwerber, der seine Ausbildung nicht abschließen kann, auf 77.500 Euro. Umgekehrt könnte die Wirtschaft im selben Ausmaß profitieren, wenn ein Lehrling bleiben kann. Anschober ist jedenfalls optimistisch, dass bis Herbst eine Lösung gefunden wird, eine "menschliche und eine wirtschaftliche".

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Rechtsgutachten von Manfred Nowak und Adel-Naim Reyhani (Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte).