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Die Waffenkammer leert sich

Von Alexandra Grass

Wissen
© StockAdobe/virtua73

Widerstandsfähige Keime verursachen weltweit jährlich 700.000 Todesfälle. Experten fordern dringend Gegenmaßnahmen.


Wien. Eine der wohl stärksten Waffenkammern der Medizin leert sich zunehmend - die der Antibiotika. Denn weltweit steigt die Resistenz von Krankheitserregern rasant. Kommt es nicht rasch zu Gegenmaßnahmen, werden die Handlungsspielräume immer kleiner, warnen Experten anlässlich der Weltantibiotikawoche.

Besonders widerstandsfähige Keime verursachen europaweit jährlich 33.000 Todesfälle, weil Antibiotika nicht mehr wirken. Weltweit sind es rund 700.000, so die Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO. Ohne gezielte Maßnahmen könnten bis zum Jahr 2050 gar rund 2,4 Millionen Menschen in Europa, Nordamerika und Australien durch multiresistente Bakterien sterben, prophezeit ein OECD-Bericht.

"Das Problem ist seit Jahren bekannt, aber niemand hat zugehört", kritisiert Didier Pittet, Direktor der WHO für Spitalshygiene im Interview mit der "Wiener Zeitung". Es zu lösen, sei grundsätzlich nicht leicht, aber möglich. Wesentlich sei die Zusammenarbeit aller - der Experten, der Regierungen und der gesamten Bevölkerung.

Die Ursache für das Schlamassel sei der sehr großzügige Umgang mit Antibiotika in der Vergangenheit gewesen - sowohl in der Human- als auch in der Tiermedizin, betont die EU-Abgeordnete Karin Kadenbach. In der Viehzucht werden die Substanzen nicht nur präventiv, sondern auch zur Wachstumsförderung eingesetzt. "Beim Menschen setzen wir sie zu oft und häufig auch falsch ein", betont Bernhard Küenburg, Präsident der Semmelweis Foundation. Damit züchtet sich der Mensch Schritt für Schritt seine eigenen resistenten Keime heran.

Aktionspläne auf dem Tisch

Resistenzen führen dazu, dass Menschen zumeist still und schleichend, also nahezu unbemerkt, an Infektionen sterben. "Würde jeden dritten Tag ein Großraumjet abstürzen, wäre in kürzester Zeit alles in Bewegung", skizziert Kadenbach im Zahlenvergleich die Notwendigkeit des Handelns.

Vorschläge liegen bereits zahlreiche auf dem Tisch. So hat das Europäische Parlament erst jüngst einen eigenen Aktionsplan zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen auf den Tisch gelegt. Auch die WHO versucht, mit klaren Empfehlungen, den Verantwortlichen praktisch die Daumenschrauben anzusetzen.

Großes Ziel ist das Zurückdrängen des Antibiotikaeinsatzes in der Viehzucht, um weiteren Resistenzen vorzubeugen. Immerhin verschlinge die Tiermedizin 80 Prozent der Substanzen, schildert Pittet. Im Bereich der Humanmedizin stehen vor allem die niedergelassenen Ärzte im Fokus. 80 Prozent der beim Menschen angewendeten Antibiotika würden immerhin in der Erstversorgung verschrieben. Hier gelte es, Instrumente zur Verfügung zu stellen, die eine bessere und vor allem auch schnellere Diagnose ermöglichen. Damit könnte die Zahl der Verschreibungen drastisch reduziert werden - und das auch im Spitalsbereich.

Dort wiederum wird auch auf verbesserte Hygienemaßnahmen und vor allem auch auf vermehrte Aufklärung des medizinischen Personals gesetzt, um die Problematik in den Griff zu bekommen. In der Humanmedizin könnte der Antibiotikaeinsatz immerhin um ganze 50 Prozent reduziert werden, so Pittet.

Diese Größenordnung bestätigt auch Küenburg. In einem österreichischen Krankenhaus habe ein Expertenteam über ein Monat lang sämtliche Antibiotikagaben überprüft und in 60 Prozent der Fälle interveniert, schildert der Experte eine Untersuchung.

Aufklärung und Hygiene

Anzusetzen sei aber auch im Bereich der Pharmaindustrie. Das Arsenal an möglichen Substanzen wird immer kleiner. Reserveantibiotika werden gut verwahrt und kommen nur im Notfall zur Verwendung. Es besteht die Gefahr, dass auch diese über kurz oder lang keine wirksame Waffe mehr gegen multiresistente Keime darstellen könnten. Daher muss nach einer neuen Familie geforscht werden.

Die Unternehmen zeigen dabei allerdings nur wenig Interesse. Denn die Erforschung von Arzneimitteln ist teuer. An Antibiotika ist nicht viel zu verdienen. Sie sollen immerhin nicht flächendeckend eingesetzt werden, sondern so selten wie möglich. Und das Patent läuft auch schon nach 20 Jahren wieder aus.

Aber auch hier gibt es Überlegungen. Diese reichen von Forschungsprämien für Pharmafirmen bis hin zur Verlängerung von Patenten auf 50 oder gar 100 Jahre, skizziert Pittet.

Die billigste und vermutlich auch effizienteste Maßnahme generell seien in erster Linie die Aufklärung und die großflächige Umsetzung von Hygienemaßnahmen. Dieser hat sich der Semmelweis-Verein verschrieben. Obwohl Österreich weltweit vermutlich zu den Musterschülern zählt, sei auch hierzulande noch sehr viel zu tun.

Mit konsequenten Maßnahmen aller Beteiligten, seien auch in recht kurzen Zeitspannen schon Erfolge möglich, erklärt Pittet. In Ländern, in denen die Empfehlungen umgesetzt werden, sei bereits in drei bis fünf Jahren eine deutliche Wirkung zu sehen. Je kleiner die Einheit, umso schneller kommt man zum Erfolg. In einem Krankenhaus sei ein solcher bereits nach sechs bis zwölf Monaten zu erzielen. Handeln statt abwarten muss daher die Devise lauten.