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Freier Zugriff auf Erkenntnisse im Fokus

Von Eva Stanzl

Wissen
Autoren sollen zahlen, nicht Bibliotheken: Hier jene der FH St. Pölten, die den freien Zugriff auf wissenschaftliche Erkenntnisse als eine der Ersten unterstützt hat.
© fhstp

Die Ergebnisse von öffentlich finanzierter Forschung sollen für alle zugänglich gemacht werden. Das hat Vor- und Nachteile.


Washington/Wien. Die Ergebnisse von Forschungsprojekten, die mit öffentlichen Mitteln finanziert werden, sollen ab Jänner 2020 durch Veröffentlichung in Open-Access-Zeitschriften für alle frei zugänglich gemacht werden. Dazu haben sich 18 europäische Forschungsförderungseinrichtungen, darunter Österreichs Wissenschaftsfonds FWF, verpflichtet. Durch den freien Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen im Internet könnten neueste, evidenzbasierte Forschungsergebnisse schneller und umfassenderer zirkulieren. Das würde Problemlösungen und Innovationen in Wissenschaft und Gesellschaft erheblich erleichtern, finden die Förderagenturen, die sich unter dem Namen Coalition S zusammengeschlossen haben.

Im Wissenschaftsbetrieb dominiert seit Jahrzehnten die Veröffentlichung von Ergebnissen in kostenpflichtigen Fachjournalen. In den vergangenen Jahren wurde über die Sinnhaftigkeit und die Zulässigkeit dieser Praxis zunehmend intensiver debattiert.

Forschung unter Verschluss

Kritiker bemängeln das Subskriptionssystem großer Wissenschaftsverlage, die sich über den Verkauf von Abonnements an Leser, Universitäten und Bibliotheken finanzieren. Wer kein Journal-Abo habe, habe keinen Zugang zu Original-Studien. Somit bleibe ein großer Teil der Forschungsergebnisse unter Verschluss. Weiters sei der Forschungs- und Bibliotheksbetrieb mit laufenden Preiserhöhungen für den ohnehin privilegierten Zugang konfrontiert.

Aus all diesen Gründen gewinnt die "Open Access"-Bewegung Bedeutung. Sie vertritt die Meinung, dass einer Öffentlichkeit, die Forschung über ihre Steuern finanziert, Einblick in die Ergebnisse zum Nulltarif zusteht. Der nun gefasste "Plan S" zielt auf Publikationsmodelle in der Wissenschaft ab, die transparenter, effizienter und fairer sind.

"Die Ergebnisse von öffentlich finanzierter Forschung sind Gemeingut. Anstatt dass große Verlage viel Geld mit Abos verdienen, ist unser Ziel, dass stattdessen die Autoren für die Veröffentlichung bezahlen", sagte FWF-Präsident Klement Tockner am Rande des Austrian Science and Innovation Talk in der US-Hauptstadt Washington, den die "Wiener Zeitung" auf Einladung des Rats für Forschung und Technologieentwicklung besuchte. Er tritt dafür ein, dass jeder Mensch Wissenschaft lesen darf, Urheberrechte bei den Autoren bleiben, anstatt an die Verlage zu gehen, und Sperrfristen wegfallen sollten.

Derzeit können die Publikationsgebühren für Open-Access-Journale von 0 bis 3000 Euro pro Studie variieren. Als Reaktion auf seit mehreren Jahren erfolgreiche frei zugängliche Magazine, wie etwa "Plos" oder "Copernicus", bringen klassische Wissenschaftsverlage ebenfalls offene oder hybride Publikationen heraus, von denen manche ein doppeltes Bezahlungsmodell verfolgen. Hier bezahlen Leser über die Bibliotheksgebühren und Autoren für die Veröffentlichung. Dieses Modell will Coalition S einem Ende zuführen. "Bis 2023 sehen wir eine Übergangszeit hin zu dem Modell, bei dem der Autor Publikationsgebühren bezahlt, die wiederum der Fördergeber trägt", erklärt Tockner. Das Ziel seien 2000 Euro im Mittel, anstatt wie derzeit bis zu 4000 Euro. "Es ist zwar klar, dass die Leistungen der Zeitschriften abgegolten werden müssen. Aber es kann nicht sein, dass sie Preise, Handhabe und Copyright diktieren", betont der FWF-Chef und appelliert an die Solidarität: Ärmere Länder, die sich keine Abos leisten können, hätten keine Information.

Rush Holt, Präsident der weltgrößten wissenschaftlichen Gesellschaft AAAS, die das Top-Journal "Science" und dessen Open Access-Schwester "Science Advances" herausgibt, verweist auf 120.000 Mitglieder und ein System der Qualitätssicherung. "Es geht um ein gedeihliches Umfeld für Wissenschaft. Dazu gehört es, sicherzustellen, dass exzellente Forschung nach Qualitätskriterien ausgewählt und richtig und breit kommuniziert wird", sagt Holt.

Der neue Publikationsdruck

Der AAAS-Chef will nicht gelten lassen, dass der Erwerb eines privilegierten Zugangs durch seine Leser dem wissenschaftlichen Fortschritt Steine in den Weg legt. "Ziemlich viele Menschen können für 50 bis 60 Dollar im Monat Mitglied von AAAS werden und alle 700 Studien, die ‚Science‘ im Jahr publiziert, lesen - plus Nachrichtenstorys, Analysen, Kommentare und unseren Newsletter. Dahinter steht ein Team von 200 Journalisten weltweit, die Europas Förderagenturen wohl nicht bezahlen werden."

Auch andere Fragen sind offen. Holt räumt ein, dass für Verlage der Druck entstehen könnte, so viele Studien wie möglich zu veröffentlichen, wenn es für jede Publikation Geld vom Autor gibt. "Das muss nicht, aber es kann einen Qualitätsverlust zur Folge haben." Denkbar ist auch, dass europäische Wissenschafter mit prestigeträchtigen ERC-Grants des EU-Forschungsrats nicht mehr in Spitzen-Journalen veröffentlichen dürfen. Dann könnten beide verlieren: Forscher, die sich ungern Vorgaben machen lassen, wo sie publizieren, und Journale wie "Science" oder Verlagsriesen wie Elsevier, die dann weniger Top-Studien hätten. Wenn außerdem Förderagenturen für die Publikationen der Autoren aufkommen, könnte die Frage aufkommen, nach welchen Kategorien man dabei vorgehen will und ob es Studien gibt, die ihren Preis eher wert sind als eine andere.