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Warum die Schweiz in Forschung Spitze ist

Von Eva Stanzl

Wissen

Das Nachbarland punktet in Innovationsrankings. Uni-Zürich-Rektor Michael Hengartner über das System, das dahintersteht.


"Wiener Zeitung": Zwei kleine Länder im Herzen Europas mit ähnlicher Bevölkerung: In der Forschung nimmt sich Österreich ein Beispiel an der Schweiz, obwohl sie bei doppeltem Budget nur halb so viele Universitäten hat. Wie sinnvoll ist der Vergleich?Michael Hengartner: Global gesehen sind die Systeme sehr ähnlich. Das duale Bildungssystem legt den Grundstein für den Wirtschaftserfolg von Österreich, Deutschland und der Schweiz. Aus der Nähe betrachtet werden jedoch Unterschiede deutlich. Die Schweiz hat relativ früh angefangen, verstärkt in das System zu investieren, und es kontinuierlich und breit abgestützt aufgebaut. Wir sind in der komfortablen Lage, jedes Jahr darüber zu diskutieren, ob das Budget um ein, zwei oder drei Prozent wachsen soll. Mehr könnte das System gar nicht aufnehmen. Bei einem Plus von zwei Prozent wären das an der Uni Zürich jährlich 14 zusätzliche Professuren, die wir mit zukunftsträchtigen Themen platzieren müssten.

In Österreich wird ein Forschungsfinanzierungsgesetz mit ansteigendem Budgetpfad seit Jahren verschoben. Welche Planungshorizonte hat die Schweiz?

Wie bei vielem erhalten Sie je nach Kanton eine andere Antwort. Der Bund plant in Perioden von vier Jahren. Wir bekommen an der Uni Zürich ein Globalbudget pro Jahr. Was danach ist, steht in den Sternen. Solange Sie keinen großen Schnitt haben, geht das. Aber es wäre besser, längerfristige Budgets zu bekommen.

In Österreich und der Schweiz sind ähnlich viele Menschen 20 Jahre alt. Dennoch hat Österreich doppelt so viele Studierende wie die Schweiz. Was machen Sie anders?

Die Matura-Quote ist in Österreich ein wenig höher, aber nicht doppelt so hoch. Somit gehen nicht nur mehr Menschen einer Kohorte an die Uni, sondern sie bleiben auch länger. Wir haben das Gefühl, dass es jungen Österreichern um Bildung und jungen Schweizern um Ausbildung geht: Sie gehen an die Uni, machen ihren Abschluss, suchen sich einen Job. Sie sind zielstrebiger und nutzen das Angebot der Universität häufiger, aber weniger breit. Von der Uni Wien hört man hingegen, dass nicht alle Studenten wirklich prüfungsaktiv sind. Dabei liegt bei der Definition von "prüfungsaktiv" die Latte mit 16 ECTS-Punkten im Jahr echt tief.

Wie intensiv ist die Prüfungsaktivität in der Schweiz?

In Humanmedizin und und Ingenieurwissenschaften liegt sie bei fast 100 Prozent. Junge Menschen schließen den Stoff in sechs bis acht Semestern ab. An den philosophischen Fakultäten kommt es hingegen vor, dass man sich mehr Zeit lässt. Überall herrscht aber ein sozialer Druck, das Studium abzuschließen.

In der Schweiz gibt es zahlreiche forschende Unternehmen. Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit mit der Industrie?

Die Zusammenarbeit mit der Industrie ist wichtig, wobei sich Medizin oder Wirtschaftswissenschaften traditionell besser eignen als etwa englische Literatur. Allerdings benötigen mittlerweile auch Linguisten Drittmittel für Hochleistungsrechner. Sie sind auf einmal genau so teuer wie die Physiker, weil sie neue Forschung machen. Auch Verhaltensökonomen, die früher mit Papier unterwegs waren, betreiben heute Magnetresonanzmaschinen.

Forschungsinfrastruktur wird immer teurer. Braucht der Innovationskaiser Schweiz mehr Geld?

Um im Bereich Innovation an der Spitze zu bleiben, braucht die Schweiz mehr Geld. Das Bestehende ist teuer und es kommt durch die Digitalisierung Neues dazu. Wenn wir den Anschluss nicht verlieren wollen, müssen wir jetzt investieren.

Droht der Schweiz den Anschluss an die Digitalisierung zu verlieren?

Allen droht dies. China investiert Milliarden in Künstliche Intelligenz. Die Schweiz kann sich keine Milliarden leisten. Wenn wir überhaupt mitmachen wollen, müssen wir überlegen, mit welchen Themen wir uns stark positionieren können.

Welche Kombination macht das Nicht-EU-Mitglied Schweiz so erfolgreich in der Forschung?

Solide und stabile Finanzen, Autonomie und Offenheit verbunden mit Internationalität. 57 Prozent der Forscher hier haben keinen Schweizer Pass. Gleichzeitig sind wir nach Indien das Land mit der größten Diaspora an Wissenschaftern, weil wir sie nach draußen schicken. Als Post-Doc kriegen Sie nur ein Fellowship vom Nationalfonds, wenn Sie ins Ausland gehen. Viele bleiben dort, dafür kommen andere. Jedoch haben wir eine strukturelle Schwäche. Der bilaterale Weg zwischen der Schweiz und der EU hat hunderte Verträge gebracht, die anders als das EU-Recht nicht dynamisch sind. Derzeit stockt im Umfeld des Brexit der Abschluss eines neuen Rahmenvertrags, weswegen unsere Teilnahme am nächsten EU-Forschungsrahmenprogramm unsicher ist. Das wäre, wie wenn die Schweiz nicht mehr an der Champions League der Forschung teilnehmen könnte. Es hätte gravierende Folgen.

Was kann die Schweiz von Österreich lernen?

Wenn Unis nur noch eine Durchlaufstelle sind, haben sie einen Teil ihrer Seele verloren. Sie sind dann zwar technisch gut, aber es fehlt ihnen das Reflexive. Österreich hat einen Zugang zu Bildung, der dem Renaissance-Gedanken entspricht. Zudem sind die Unis in Österreich enger in das politisch-gesellschaftliche System einbezogen. In der Schweiz würde kein Rektor Bundesrat, so wie Heinz Faßmann Minister. Die Idee, mehr mit der Gesellschaft zu interagieren, die uns finanziert, kommt bei uns erst graduell an.