Die Eliten sind schuld. Am Erstarken populistischer Bewegungen, an der Spaltung der Gesellschaft, an wachsenden sozialen Ungleichheiten - an der Finanzkrise sowieso. Sie sollen also abgelöst werden - von jenen, die es besser zu können meinen. Sind diese stürzenden Kritiker erst einmal selbst an der Spitze angekommen, werden sie selbst zur Elite. Und die Geschichte beginnt, sich in einer neuen Variation zu wiederholen.

Wer aber sind die Eliten, denen derzeit die Schuld an gesellschaftlichen Missständen zu geschrieben wird? Geschieht dies zu Recht? Und wer sind jene, die dabei sind, sich als neue Eliten in Position zu bringen? Das kommt ganz auf das Bezugssystem an, auf die Elite von allen anderen abhebenden Kriterien. Verändert man diesen Maßstab, kommt man schnell zu dem Schluss: Eliten, das sind heute vor allem eines - ziemlich viele. Wie unterschiedlich diese ausgeformt sind und wie breit gefächert sich das Konzept des Elitären anwenden lässt, um damit Gegenwartsanalyse, ja -kritik zu betreiben, das zeigten am Wochenende die Vorträge und Debatten beim Philosophicum Lech.

Ein soziologisches Phänomen einer "neuen Elite" umriss der Philosoph Alexander Grau. Neu an ihr sei, dass sie sich nicht mehr durch Reichtum oder Macht absetzten von anderen: Sie zeichne ein gemeinsamer Habitus aus, nicht die gemeinsame Herkunft. In Zeiten der Massengesellschaft trete auch die Elite massig auf und umfasse knapp 30 Prozent der Bevölkerung. Diese Gruppe beansprucht für sich, so Grau, die "Exekutive der Moderne zu sein", die "Speerspitze des Fortschritts". Global mehr vernetzt als lokal, definiert sich diese Elite über moralische Überlegenheit: "Elite zu sein, wird zur Gesinnungs- und Lifestylefrage." Ihre Merkmale sind Offenheit, Interaktivität und Kreativität - für den Publizisten alles moralische Kategorien: "Sie erheben sich und ihre Lebenswelten zur moralischen Instanz."

Definiert und gelebt wird diese Moral - vor allem - über Konsum. Dass dadurch vormals banale Kaufentscheidungen aufgeladen werden mit moralischen Urteilen, prangert an dieser neuen Klasse auch Kulturwissenschafter Wolfgang Ullrich an. Wer es nicht versteht, die eigenen Werte durch sein Handeln zu untermauern, der erwirbt seinen Wertekanon einfach käuflich und inszeniert ihn sozial-medial. Mit bester Absicht freilich, denn mit dem Fair-Trade-Sneaker lässt sich soziale Verantwortung erwerben, mit dem handgemachten Paar Turnschuhe regionale Verbundenheit demonstrieren, mit dem veganen Schuh gleichzeitig das Klima retten und Tierschutz demonstrieren. "Konsum", so Ullrichs pointierte Analyse, wird damit "zur Wertedistinktion". Diese Form der moralischen Überlegenheit muss man sich leisten können - in ganz banal finanzieller Hinsicht. Wer das nicht kann, ist von dieser neuen Elite ausgeschlossen; dem bleibt ein moralisch einwandfreies Leben versagt. Letztlich ist dieses moralisierende Elitenkonzept also das Kind einer ziemlich unmoralischen Liaison.