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Kein Platz in Noahs Arche

Von Edwin Baumgartner

Wissen
Der Quastenflosser galt seitens der Wissenschaft als ausgestorben. Er hatte indessen andere Pläne.
© Hoberman Collection

Der Schwertstör ist für ausgestorben erklärt worden - manch ausgestorbenes Tier hat sich solchem Diktum widersetzt.


Naturgemäß der Quastenflosser. Und immer wieder der Quastenflosser. Latimeria chalumnae, 1938 entdeckt, und Latimeria menadoensis, 1997 entdeckt. Der Quastenflosser relativiert alles, wenn die Wissenschafter ein Tier als "ausgestorben" oder "nicht existent" erklären.

Jüngst hat der Schwertstör ins Gras (oder soll man sagen: in die Algen?) der Wissenschaft gebissen. Der Jangtsekiang-Fisch, einer der weltweit größten Süßwasserfische, auch Chinesischer Schwertfisch genannt, sei ausgestorben, hieß es in einer Aussendung, irgendwann zwischen 2006 und 2010 habe ihn sein Schicksal ereilt. Soll heißen: Es ist in seinem einzigen Habitat weltweit, eben dem Jangtsekiang, nicht mehr nachweisbar. Bei hydroakustischen Messungen im Jangtse-Oberlauf waren in den Jahren 2006 bis 2008 nur noch neun Fische gefunden worden.

Riesige Riesenschlangen

Damit ist der Schwertstör zwar endgültig tot. Wenn der Schwertstör sich aber rechtzeitig um eine Nachred’ gekümmert hätte à la Megalodon, dann hätte er jetzt, ungeachtet seines wissenschaftlich beglaubigten Hinscheidens, ein Nachleben, das an Lebendigkeit sein Leben zu Lebzeiten bei Weitem in den Schatten stellt. Dafür würde die Kryptozoologie mit ihren Anhängern schon sorgen.

Was gibt es da auf Erden nicht alles für bemerkenswerte Tiere nicht (die doppelte Verneinung ist pure Absicht in quastenflosserbedingtem berechtigtem Zweifel).

Zum Beispiel Riesenschlangen: Diese Viecher können echt lang werden. Ein südostasiatischer Netzpython beispielsweise kann über seine durchschnittlichen sieben bis acht Meter hinauswachsen auf bis zu zwölf Meter. Im Amazonas treiben sich Anacondas von bis zu zehn Metern Länge herum, und es gibt einen Bericht über eine 16-Meter-Anaconda, der zumindest nicht völlig unglaubwürdig ist, zumal die Kommunistische Partei Chinas auf ihrer offiziellen Website sogar eine 16,7-Meter-Schlange gepostet hat. Die Schlange als rote Propagandalüge? Dank Mao wachsen sogar die Schlangen in den Himmel? Oder sollte doch was dran sein?

Bloß die 41-Meter-Anaconda, die im Roten Meer gefunden worden sein soll und mit unscharfen Bildern von der über mehrere Lastwägen gelegten Schlange "dokumentiert" worden ist - die ist ein Hoax von Studenten gewesen. Und so ganz glaubwürdig sind die Aufnahmen von 30 bis 50 Meter langen Schlangen, die man auf YouTube findet, auch nicht. Bei manchen gibt es keine Vergleichsobjekte, die eine Größenschätzung zulassen, und wo es die Vergleichsobjekte gibt, zeigen verzogene Perspektiven, dass in Eigenregie am Heimcomputer eben doch nicht alles realisierbar ist, wofür ein Steven Spielberg einen Tricktechnikertrupp beschäftigt.

Eher wenig gehört hat man in letzter Zeit von Nessie. Das lässt Schlimmes befürchten. Nach Brexit und Megxit käme ein Nexit in Frage. Der könnte fatale Folgen haben. Man stelle sich vor: Nessie flösselt im Ozean vor sich hin, und von unten kommt ein Megalodon und leckt sich die Lefzen. . .

Ja, diese Urzeittiere, die, laut Wissenschaft, allesamt ausgestorben sind! Ein Schelm, wer schon wieder den Quastenflosser erwähnt - schließlich könnte er auch mit dem Perlboot kommen, an dem die Evolution in den letzten 36 Millionen Jahren kaum etwas verändert hat, oder mit dem Pfeilschwanzkrebs, der bereits vor 443,4 Millionen Jahren herumgekrebst ist.

Dennoch: Zwischen Quastenflosser, Perlboot und Pfeilschwanzkrebs auf der einen und Nessie und dem Megalodon auf der anderen Seite gibt es einen Unterschied: Quastenflosser, Perlboote und Pfeilschwanzkrebse sind in reichlicher Zahl vorhanden, soll heißen: Es gibt genug von ihnen, um die Art erhalten zu können.

Eine Frage der Population

Wie viele Exemplare notwendig sind, um eine Art zu erhalten ohne die Gefahren, die ein Inzest mit sich bringt, ist nicht konkret feststellbar. Der Fall des Schwertstörs lehrt: In freier Wildbahn dürften neun Exemplare zu wenig sein.

Um etwa einen Megalodon im Aquarium weiterzuzüchten, braucht man erst einmal nur zweier Exemplare unterschiedlichen Geschlechts. Um in der nächsten Generation den Inzest zu vermeiden, der aus einem flinken Hai möglicherweise eine lahme Seekuh macht, bedarf es eines anderen Aquariums, das seinen Nachwuchs ebenfalls aus einem Megalodon-Paar gewinnt. Macht vier Megalodons, um eine Generation Megalodons zu erzeugen. Mit deren Nachkommen kann man eine weitere Generation züchten, aber für die nächste bedarf es der Nachkommen aus einem nicht miteinander verwandten Paar. So geht es weiter. Kurz: Selbst unter den geschützten Bedingungen eines Aquariums wären etliche Megalodons notwendig, um die Art zu erhalten. Mit ein paar Megalodons über die Weltmeere verteilt, wäre das ein Ding der Unmöglichkeit.

Wie wahrscheinlich aber ist es, dass eine Population von Megalodons und Plesiosauriern existiert, die zahlreich genug ist, um die Art zu erhalten, aber, sogar die Weiten des Meeres eingerechnet, den Augen der Wissenschaft verborgen bleibt? Die Tiere sind ja nicht eben ameisengroß.

Gewiss: Der Riesenkalmar war auch erst nur Seemannsgarn, bis 1854 in Jütland einer strandete und 2003 ein Fang zweier Exemplare an der Nordküste Spaniens bestätigte, dass es sich 100 Jahre zuvor nicht um eine Laune der Natur oder einen menschlichen Irrtum gehandelt hat.

Dennoch: Von den 40-Meter-Schlangen, den Megalodons und Plesiosauriern müsste irgendwann irgendetwas gefunden worden sein, was über ein YouTube-Video hinausgeht.

Abschied nehmen

Und so heißt es Abschied nehmen von den Megalodons, vom kongolesischen Saurier Mokele-Mbembe, vom Lagarfljótwurm, dem Ungeheuer im isländischen See Lagarfljót, Abschied nehmen auch vom Tasmanischen Beutelwolf und vom Moa und von der Dronte und jetzt auch vom chinesischen Schwertstör: Das alles waren Tiere, die einmal existierten, manche bis vor relativ kurzer Zeit, dann aber ausgestorben oder ausgerottet worden sind. Natürlich wäre eine Welt mit ihnen bunter, vielleicht auch schöner, als eine Welt, die auf sie verzichten muss. Aber es hat eben nicht jedes Tier Platz in Noahs Arche und in Noahs Aquarium gefunden.

Obwohl: Letzten Endes bleibt immer noch die Sache mit dem Quastenflosser. Hoffentlich fressen ihn nicht die Megalodons und die Plesosaurier auf. Die Einhörner wären dann nämlich not amused.