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Corona braucht Forschung, aber Geld fehlt

Von Eva Stanzl

Wissen

Hannes Androsch, Chef des Forschungsrats, über die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit in den Wissenschaften.


Noch bis Anfang September ist Hannes Androsch Vorsitzender des Rats für Forschung und Technologieentwicklung. Zehn Jahre lang hat er in dem Gremium die Bundesregierung zu einer richtungsweisenden Strategie für Wissenschaft, Bildung und Innovation sowie zum Umgang mit öffentlichen Forschungsgeldern beraten. Eine Verlängerung des Amtes sieht das Gesetz für Androsch und seinen Stellvertreter, den Genetiker Markus Hengstschläger, nicht vor. Der Industrielle zieht eine Bilanz des Forschungsstandorts Österreich und setzt im Vorfeld des am Sonntag startenden Europäischen Forum Alpbach dessen Zukunftsfähigkeit ins internationale Bild.

"Wiener Zeitung": Das seit 1945 bestehende Forum Alpbach findet heuer Coronavirus-bedingt vorwiegend online statt. Welche Rolle spielen das Forum, das auf so ungewöhnliche Weise begangen wird, und insbesondere die für die Wissenschaften relevanten Technologiegespräche?

Hannes Androsch: Die Technologiegespräche haben sich immer als Signal und Weckruf für die Bedeutung von Wissenschaft, Forschung und Innovation verstanden. Wie wichtig es ist, etwas zu finden und zu entwickeln, um es dann nutzbringend für alle Menschen verfügbar zu machen, und wie schnell dieser Prozess erfolgt, zeigt schon allein das Smartphone, ohne das wir heute hilflos wären, das es aber vor zwölf Jahren noch gar nicht gegeben hat. Die Herausforderung unter den gegebenen Umständen ist umso brisanter, als gerade die Coronavirus-Pandemie gezeigt hat, wie wichtig Innovation ist, zum Beispiel um einen Impfstoff oder ein Medikament zu entwickeln.

Wie definieren Sie Innovation?

Die Zivilisationsgeschichte ist von Neuerungen geprägt. Innovation entstand in langen Etappen aus Zufall, Not, Neugierde oder auch kriegerischen Erfordernissen. Da war die Zähmung des Feuers, der Faustkeil, der Speer, das Rad. Ab der Renaissance kam es besonders in Europa zu technischen Innovationen bis zur Industrierevolution mit der Dampfmaschine. Von da an hat die Innovationskraft an Tempo gewonnen und ist systematisch geworden. Wie wichtig das ist, zeigt der nicht mehr kalte sondern heiße technologische Krieg zwischen den USA und China, bei dem es um die Weltführerschaft geht. Dabei muss Europa aufpassen, dass es nicht zwischen zwei Stühlen, die die beiden bilden, auf dem Boden zu sitzen kommt, was ungleich mehr Anstrengung erfordern wird als in den Verhandlungen zum EU-Budget zustande gekommen ist. Just dort haben die vier kurzsichtig geizigen Länder Österreich, Niederlande, Dänemark und Schweden Kürzungen in Forschung, Gesundheit und Umwelt erzwungen. Unverantwortlicher geht es nicht.

Die EU hat den Corona-Aufbaufonds im Volumen von 750 Milliarden und den EU-Finanzrahmen für die nächsten sieben Jahre im Umfang von 1074 Milliarden Euro beschlossen. Der Anteil jener Länder, die sich gegen den Corona-Hilfsfonds gewehrt hatten, wurde gesenkt, zugleich aber blieb das Budget für Wissenschaft und Innovation unter den Erwartungen. Fällt dadurch Europa im Rennen um die Technologieführerschaft zurück?

Ich erkläre es am Beispiel hochwertigster Halbleiter: Der US-Konzern Intel war führend, ist aber bei neuen, nur sieben Nanometer großen Halbleitern um ein Jahr zurück. Die Chinesen sind zehn Jahre zurück und der südkoreanische Samsung-Konzern beherrscht zwar die Technologie, hat aber nicht die Produktionskapazitäten, für den Weltmarkt. Technologisch und kapazitätsmäßig führend ist die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company und das ist auch eine Erklärung für das rivalisierende Interesse der USA und Chinas an Taiwan. Europa spielt in mehreren Fachgebieten nicht im gleichen Ausmaß mit. Wenn Europa technologische Gleichrangigkeit will, muss es und jedes Land dazu für sich viel größere Anstrengungen unternehmen. Den siebenjährigen EU-Finanzplan zu kürzen ist nicht der richtige Ansatz.

Wie groß ist die Gefahr, dass Österreich dem Beispiel folgt und angesichts der Kosten für die Pandemie das Forschungsbudget kürzt?

Österreich müsste, um Liquiditätsengpässe aufgrund von Corona zu vermeiden, die angekündigten Hilfsmaßnahmen auszahlen. Bisher ist das nur im Ausmaß von zehn Prozent geschehen. Zudem brauchen wir ein Konjunkturprogramm, damit nicht Auftragslücken entstehen und Arbeitsplätze erhalten bleiben - Kurzarbeit ist ja nur die zweitbeste Lösung. Und schließlich brauchen wir ein Modernisierungsprogramm mit entsprechenden Mitteln für Wissenschaft, Universitäten, Fachhochschulen und außeruniversitäre Forschung. Man muss tun, was im Englischen "priming the pump" heißt. Wenn die Wassersäule von der Quelle zur Pumpe abreißt, muss man ein paar Kübel Wasser nachgießen. Dann ist die Säule wieder hergestellt und es funktioniert. Den chronisch unterfinanzierten Forschungsbereich aber jetzt auch noch zu kürzen, wäre der falsche, wirtschaftlich und sozial teuerste Weg und geradezu eine Perversion.

Das Forschungsfinanzierungsgesetz, das eine jährlich-automatische Steigerung des Budgets vorsieht, besteht derzeit nur als Forschungsrahmengesetz ohne finanzielle Unterlegung.

Die zuständigen Minister haben schon vor zwei Jahren in Alpbach eingeräumt, dass die entsprechenden Mittel zwar noch nicht festgeschrieben seien, aber kommen würden. So, wie es angelegt ist, droht es aber auch in Zukunft nicht zu kommen, und dann fallen wir sicher zurück.

Als Chef des Forschungsrats haben Sie Maßnahmen zur Stärkung der Forschungslandschaft eingemahnt. Am 9. September endet Ihre zweite Amtsperiode. Wurden Sie gehört?

Wir wurden weitgehend gehört. Wenn ich an den letzten für den Bereich entscheidenden Ministerratsvortrag vom 18. August 2018 denke, finden sich dort alle unsere Empfehlungen - aber nur als Ankündigung. Die Empfehlung, dass die Nationalstiftung zusätzliches Geld benötigt, wurden nicht übernommen. Über dieses Instrument wurden aus den Zinserträgen der Nationalbank (OeNB) zusätzliche Forschungsgelder verteilt, doch die Erträge reichen nicht mehr. Weiters ist der Österreich Fonds zur Unterstützung von Grundlagen- und Angewandter Forschung beendet und der Jubiläumsfonds der OeNB vergibt kein Geld für klinische medizinische Forschung, was ganz besonders elegant zu den Anforderungen der Pandemie passt. Das heißt, wir haben heuer das schlechteste Jahr seit zehn Jahren im Forschungsbereich, zumal diese Einrichtungen eine Hilfe waren, da das Budget zu wenig ist.

Österreich hat es nicht in die Gruppe der Innovation Leader geschafft. Aber es gibt erfolgreiche Tätigkeiten, wenn Institutionen wie etwa dem IST Austria die Ressourcen zur Verfügung stehen. Bleibt es bei Leuchttürmen, weil man mit Forschung keine Wahlen gewinnt?

Österreich ist im Beharren erstarrt, und Stillstand bedeutet Rückschritt. Wir wissen, was zu tun ist, es wird auch politisch akzeptiert, aber es wird nicht getan. Es fehlt der Glaube, dass das populistisch wirksam ist, aber das ist ein Missverständnis zum Schaden der Zukunft Österreichs und seiner jungen Menschen, denn es ist nur eine Frage der Präsentation. In diesem Sinne halten wir es mit Nestroy: Was hat denn die Zukunft für mich getan? Nichts? Genau das tue ich für sie.

Ist das nicht ein wenig frustrierend?

Frustriert zu sein heißt aufgeben. Mein Lebensmotto ist es, niemals aufzugeben, aber unzufrieden bin ich alle Mal im Interesse der Zukunft des Landes.

Auch eine Zusammenlegung von Forschungsrat und Wissenschaftsrat ist geplant. Wie wird sich der Rat künftig zusammensetzen?

Die Amtsperiode läuft Anfang September aus und bislang habe ich noch nichts gehört, ob er weitergeführt wird und wenn ja, durch wen und wie.

Im Frühjahr endet auch Ihr Mandat als Aufsichtsratspräsident des Austrian Institute of Technology (AIT), das auch die Technologiegespräche ausrichtet. Streben Sie eine Verlängerung an?

Ich bin Jahrgang 1938 und es ist durchaus Zeit, sich zurückzuziehen. Ich habe mit meinen Firmen-Interessen hinreichend zu tun, sodass die Gefahr, dass mich die Langeweile überkommt, sicherlich nicht gegeben sein wird. So kann ich mich nur bemühen, so gut es geht alt zu werden und gesund zu sterben.

Hannes Androsch geboren am 18. April 1938 in Wien, ist Unternehmer, Industriller, ehemaliger Finanzminister und Vizekanzler der SPÖ, Vorsitzender des Rats für Forschung und Technologieentwicklung und Aufsichtsratspräsident des Austrian Institute of Technology.