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Die Zweifel an der Himmelsscheibe

Von Edwin Baumgartner

Wissen
Weiterhin gibt die Himmelsscheibe von Nebra Rätsel auf.
© CC/Anagoria

Die Himmelsscheibe von Nebra muss neu datiert werden. Manche halten das Objekt gleich ganz für eine Fälschung.


Also, was denn jetzt? - Echt? Richtig datiert? Falsch datiert? Ganz und gar gefälscht? Die sogenannte "Himmelsscheibe von Nebra" lässt seit Jahren die Köpfe rauchen, und zwar die der Wissenschafter ebenso wie die aller Interessierten: von der archäologischen Sensation bis zur Verschwörungstheorie - da ist einfach alles drin. Genau das ist der Stoff, der Archäologie auch für Laien spannend macht.

Im Moment halten wir wieder einmal bei einer Datierungsdiskussion. Das klingt weniger spektakulär als eine, die gleich die Echtheit des Objekts anzweifelt, aber auch sie hat es in sich. Und zwar haben Rupert Gebhard, Direktor der Archäologischen Staatssammlung München und Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, und Rüdiger Krause, Professor für Vor- und Frühgeschichte Europas an der Goethe-Universität Frankfurt, erneut Daten zum Fundort und den Begleitumständen der Funde analysiert. Ihr Schluss: Der Fundort ist wahrscheinlich falsch, und die Scheibe ist um 1000 Jahre jünger als angenommen und muss von der Bronzezeit in die Eisenzeit verlegt werden. Der bisherige Stand war, dass die Scheibe vor 3600 Jahren auf dem Mittelberg bei Nebra zusammen mit weiteren bronzezeitlichen Objekten vergraben worden war.

"1000 Jahre sind wie ein Tag" sang Udo Jürgens als Kennmelodie der großartigen Zeichentrickserie "Es war einmal der Mensch", und angesichts der Menschheitsgeschichte stimmt das sogar. Nur bezogen auf die Himmelsscheibe von Nebra wirft die Kleinigkeit an Zeit das so ziemlich alles über den Haufen. Denn die Himmelsscheibe bildet, wie der Name sagt, den Himmel ab. Damit wanken die bisherigen astronomischen Interpretationen.

Immerhin sagen Gebhard und Krause auch, dass die Himmelsscheibe echt ist. Auch das war keineswegs gesichert - und ist es für einige Wissenschafter bis heute nicht.

Unklare Fundumstände

Es liegt an den Fundumständen. Entdeckt wurde die Himmelsscheibe am 4. Juli 1999 nämlich von Henry Westphal und Mario Renner, zwei Raubgräbern, die sich eines Metalldetektors bedienten. Sie verkauften das Objekt samt weiterer Gegenstände aus dem Fund an einen Händler. In der Folge kam es zu mehreren Prozessen wegen Raubgräberei und Hehlerei. Die Himmelsscheibe landete schließlich im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale.

Die unsachgemäße Ausgrabung verursachte nicht nur Schäden an der Scheibe, es fehlt auch die wissenschaftliche Dokumentation. Die Wissenschafter sind auf die Angaben der Raubgräber angewiesen, die nur nachträglich überprüft werden konnten.

Die ganzen Unsicherheiten haben schließlich auch dazu geführt, dass die Echtheit der Himmelsscheibe wiederholt angezweifelt wurde. Der Höhepunkt war, als im Juni 2018 die Cartoonisten Achim Greser und Heribert Lenz behaupteten, die Himmelsscheibe sei das Resultat einer Kneipenwette. Man habe sehen wollen, ob man Konrad Kujaus Hitler-Tagebücher toppen könne. Die Wissenschafter taten die Behauptung als Scherz ab.

Doch das war nur eine der am meisten kommentierten Fälschungs-Behauptungen. Schon 2005 hatte der Bronzezeit-Spezialist Peter Schauer Zweifel angemeldet. Seither tauchen immer wieder Behauptungen auf, die das bronzezeitliche Objekt zur neuzeitlichen Fälschung erklärten.

Cui bono - wem nützt es, das freilich ist in diesem Fall die Frage.

Nun sind Fälschungen archäologischer Funde keine Seltenheit. Der Louvre ist 1896 auf die "Tiara des Saitaphernes" hereingefallen, die Krone eines fränkischen Fürsten entpuppte sich als aufgehübschter Kübel. Ägyptische Mumien und keltische Moorleichen, steinzeitliche Artefakte und fernöstliche Figuren - immer wieder hatten sich bedeutende Funde als unbedeutendes neuzeitliches Kunsthandwerk erwiesen.

Schlitzohr Schliemann

Selbst Heinrich Schliemann könnte ein Schlitzohr gewesen sein: Sein "Schatz des Priamos" hat möglicherweise nicht nur mit dem letzten König Trojas nichts zu tun, sondern auch nichts mit der griechischen Antike, dafür sehr viel mit zeitgenössischen griechischen Goldschmieden. Und manch Beobachter meint, dass die Büste der Nofretete weniger nach ägyptischer Kunst aussieht als nach Jugendstil - was zum Auffindungsjahr 1912 besser passen würde als zur Zeit zwischen 1353 und 1336 vor Christi Geburt. Der Höhepunkt der archäologischen Fälschungen war der Piltdown-Mensch, der als Missing Link Darwins Evolutionstheorie belegen sollte, aber ein Wolpertinger war: zusammengesetzt aus einem Menschenschädel und dem Unterkiefer eines Orang-Utans.

Das Spiel der Fälscher

Bei archäologischen Fälschungen ist, anders als bei Fälschungen von Gemälden, in der Regel nicht das große Geld drin. Was also treibt die Fälscher in diesen Fällen?

Normalerweise geht es bei Fälschungen um Geld: Mittelmäßig begabte Künstler machen als vorgeblicher Picasso oder behaupteter van Gogh mehr Gewinn als mit ihrer eigenen Kunst. Das Fehlen der eigenen Originalität ersetzen sie durch eine Art künstlerisches Rollenspiel. Rechtlich ist das ein Fall von Betrug. In der Öffentlichkeit wird das oft als gelungener Streich wahrgenommen, als Beweis, dass selbst Experten nicht mehr wissen als Maria und Max Mustermann.

Der Niederländer Han van Meegeren wurde sogar zum Volkshelden. Er legte nämlich mit seinen Vermeer-Fälschungen nicht nur Museen seiner Heimat herein, sondern düpierte auch den obersten Kunstsammler der verhassten nationalsozialistischen Besatzer, Hermann Göring. Das war aber so nicht geplant. Van Meegeren wollte den kunstbesessenen Oberbefehlshaber der NS-Luftwaffe nicht lächerlich machen, sondern finanziell ausnehmen, die Fälschungen entwickelten sich sozusagen erst nachträglich zum Akt des Widerstands. Selbst die Fälschung der Hitler-Tagebücher war für den Urheber Konrad Kujau vor allem einmal gewinnbringend.

Wenn aber, wie bei archäologischen Fälschungen, von vorneherein kein großer Gewinn zu lukrieren ist - was treibt die Fälscher dann?

Manchmal geht es auch in diesen Fällen um Geld, nur halt um kleinere Summen. Manchmal steckt der Versuch dahinter, etwas Unbewiesenes zu beweisen - und wenn das mit etwas Patriotismus Hand in Hand geht, wie beim Piltdown-Menschen, der als erster Engländer auch gleich der erste Mensch ist (und umgekehrt), dann passt alles zusammen. Manch bedeutendes Objekt ist auch nur ein Scherz, der sich verselbständigt: Jemand hat seinem Schelmenstreich nicht zu Ende gedacht und kommt aus ihm nicht ohne Renommeeverlust heraus. Also lieber die Aufklärung der Harlekinade unterdrücken. Könnte die Himmelsscheibe von Nebra in eine dieser Kategorien hineinfallen?

Der Gewinn, den die beiden Raubgräber machten, war wenig überwältigend, gerade einmal 31.000 DM, umgerechnet 15.850 Euro. Und wäre das Objekt ein Scherz, so fehlt die triumphierende Aufklärung. Der Witz hat keine Pointe.

Datierungsprobleme

Mit der falschen Datierung freilich, um die es im Moment geht, hat es eine andere Bewandtnis. Datierungen von Objekten aus anorganischem Material sind ein Balanceakt. Die C-14-Methode liefert zwar zuverlässige Ergebnisse. Sie funktioniert aber, da auf dem Vorhandensein von Kohlenstoff basierend, nur bei organischem Material. Ein Objekt aus Bronze und Gold kann selbst nicht datiert werden. Datiert werden kann nur das in ihrer unmittelbaren Umgebung gefundene organische Material.

Gebhard und Krause stellten nun mittels Isotopenanalyse fest, dass die Metalle der anderen angeblich im Zusammenhang mit der Himmelsscheibe gefundenen Objekte eine andere Zusammensetzung haben. Daraus folgern die beiden Wissenschafter, dass die Himmelsscheibe als einzelner Fund zu betrachten ist und wahrscheinlich auch an einem anderen Ort gefunden wurde. Die Darstellungen von Sonne, Mond und Sternen seien, so Gebhard und Krause, charakteristisch für die keltische Eisenzeit.

Sollte die Neudatierung stimmen, wäre die Himmelsscheibe von Nebra nicht nur nicht mehr die älteste Himmelsdarstellung der Menschheit, sie wäre außerdem nur eines unter vielen der außerordentlich hochstehenden keltischen Metall-Artefakte.

Für den Nimbus der Himmelsscheibe hätte das dennoch keine verheerenden Folgen. Denn zu ihm tragen wesentlich die Unsicherheiten bei, die mit der Himmelsscheibe in Zusammenhang stehen. Was ist schon eine Fehldatierung um 1000 Jahre, wenn es um Raubgräberei, Fälschung und Verschwörung geht?