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Lichtblicke der Wissenschaft für 2021

Von Cathren Landsgesell und Eva Stanzl

Wissen

Das vom Coronavirus dominierte Jahr 2020 war im schlechtesten Fall eine Tragödie und im besten Fall eine Lernerfahrung, einzig die Erfolge der Wissenschaft sind ein echter Triumph. Was Forscherinnen und Forscher vom neuen Jahr erwarten.


Pandemie, mehrere Spielvarianten von Lockdown und prolongiertes Warten auf eine Rückkehr zur Normalität: So ließe sich das auslaufende Jahr zusammenfassen, wäre da nicht die fulminante Zusammenarbeit von Wissenschaftern weltweit bei der Erforschung des Coronavirus. Wie haben heimische Forschende 2020 erlebt, und was erwarten sie vom neuen Jahr? Die "Wiener Zeitung" hat nachgefragt.

Wie haben Sie 2020 persönlich und in Ihrer Arbeit erlebt?

"Was von vielen Virologen lange vorhergesagt wurde, ist 2020 eingetreten: Ein neues Virus, das die Welt und das Leben jedes Einzelnen verändert hat."Judith Aberle, Virologin, Medizinuni Wien

"Das Jahr war in allererster Linie anstrengend. Jede Tagung, jeder Workshop, jede Lehrveranstaltung, jeder Workshop musste zigmal umgeplant werden."Karin Harrasser, Kulturwissenschafterin, Kunstuniversität Linz

"2020 war das anstrengendste Jahr meiner bisherigen Karriere. Persönlich musste ich Abstriche machen, aber ich habe auch viel gelernt, vor allem in der Wissenschaftskommunikation. Professionell hat mein Team wichtige Arbeit sehr früh in der Pandemie zum Verständnis der Immunantwort gegen Sars-CoV-2 geleistet."Florian Krammer, Virologe, Icahn School of Medicine, New York

"An sich wäre ich mit 1. Jänner 2020 in Pension gegangen. Daraus ist nun wirklich nichts geworden. Ich habe eines der arbeitsreichsten Jahre hinter mir."Herwig Kollaritsch, Infektiologe im Ruhestand, Corona-Kommission Österreich

"Da ich im Bereich der Computerwissenschaften arbeite, waren die meisten meiner Forschungsaktivitäten schon vor der Coronakrise mit digitalen Mitteln durchgeführt. Allerdings war persönliche Zusammenarbeit nicht machbar, und das hat uns in der Forschung sehr gefehlt. Im privates Leben war 2020 schon sehr intensiv mit zwei kleinen Kindern zu Hause, Home-Schooling und Home-Office. Trotzdem kann ich nur dankbar sein, dass die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie insgesamt sehr gut funktioniert hat. Laura Kovacs, Informatikerin, Technische Universität Wien

"Dieses Jahr war ganz anders. In den vergangenen Jahren waren wir an zahlreichen internationalen Flugzeugmesskampagnen beteiligt und viel auf Reisen. Wir haben Aerosol- und Wolkenmessungen vom Nordpol bis zum Südpol, im Pazifik und Atlantik durchgeführt, Waldbrände in den USA vermessen und Staub-Rußmischungen im östlichen Mittelmeer untersucht. Corona hat das Reisen unmöglich gemacht.  Alle Vorlesungen, Besprechungen und Tagungen finden derzeit online statt. Manche Besprechung wird man auch in Zukunft sehr gut online durchführen können, aber ich freue mich schon sehr auf die Zeit, in der der persönliche Kontakt wieder unbeschwert möglich ist." Bernadett Weinzierl, Physikerin, Universität Wien

© stock.adobe/dottedyeti

"Als Vollzeit arbeitende Mutter hat Work-Life-Balance nicht existiert. Wir haben von Aufgabe zu Aufgabe gelebt. Mein Forschungs-Output war niedriger."Sophie Lecheler, Kommunikationsforscherin, Universität Wien

"2020 war von Mehrarbeit geprägt. Wir waren gefordert, die Wirtschaftsentwicklungen und vor allem die Entwicklungen am Arbeitsmarkt quantitativ darzustellen und zu erklären. Mehr als sonst fehlten anfangs dafür die Daten, insbesondere in Bezug auf die vielfältigen  Unterstützungsmaßnahmen (Kurzarbeit etc.). Die laufende Wirtschaftsbeobachtung war auf weiten Strecken ohne empirische Befunde zu machen bzw. reichten die wenigen empirischen Befunde nicht aus, um dringende Fragen zu beantworten."Christine Mayrhuber, Ökonomin, Wifo

"Ich war überrascht, zu welch fundamental verändernden Maßnahmen wir als Gesellschaft greifen können. Die Forschung war schwieriger, das Wegfallen von Reisen und eingeschränkte direkte Kommunikation waren prägend."Karl Steininger, Ökonom, Universität Graz

"Es war ein Jahr, in dem ich sehr viel lernen durfte, etwa dass man die Dynamik sozialer Netzwerke besser verstehen muss, um Pandemien zu bereifen. Auch konnte ich besser kapieren, wie Verwaltung, Politik und Demokratie wirklich funktionieren."Stefan Thurner, Komplexitätsforscher, Complexity Science Hub Wien

"Noch in keinem anderen Jahr habe ich so viel geforscht und publiziert. Ich konnte einen Consolidator Grant des European Research Council erringen, so dass wir ab 2021 an einem Forschungsprojekt zur Simulation von Transporten über die Alpen im ersten Jahrhundert n. Chr. arbeiten können." Leif Scheuermann, Historiker, Universität Graz

Erwarten Sie, dass 2021 besser wird?

"Es muss besser werden. So viel Verunsicherung von Verhaltensroutinen, so viel Bildschirmkommunikation kann man nicht auf Dauer aushalten. Und ja, es wird besser werden, sobald die Impfungen es erlauben, dass wir uns wieder in Realpräsenz begegnen können."Karin Harrasser

"2021 wird besser, weil viel Stress verschwinden wird. Wissenschaftlich kann man vielleicht sogar mit neuem Schwung zur Lösung großer Probleme beitragen, wie der Zerstörung des Planeten oder dem Zerfall der Zivilgesellschaft."Stefan Thurner

"Wir werden mehr soziale Kontakte haben und es genießen, Betriebe werden wieder öffnen, doch neben den wirtschaftlichen Folgen werden uns die psychologischen Nachwirkungen jahrelang begleiten. Eine empfundene Besserung wird daher eng mit Traumabewältigung zu tun haben – vor allem auch politisch."Daniela Ingruber, Demokratieforscherin, Donau-Uni Krems

"Wir haben Impfstoffe, und das ändert die Lage dramatisch. Viele Leute gehen positiver ins Jahr 2021. Es wird sicher besser werden als 2020."Florian Krammer

"Die Impfstoffe sind ein echter Lichtblick und werden Covid-19 viel Schrecken nehmen."Herwig Kollaritsch

"Ja, es wird besser. Wir haben uns sehr gut an die digitale Arbeit angepasst, das können wir 2021 nur verbessern. Ich hoffe sehr, dass 2021 die Familie und der Freundeskreis wieder im Fokus sein werden." Laura Kovacs

"Wir hoffen das Beste und lassen uns von der Realität überraschen." Bernadett Weinzierl

"Ich hoffe, dass das Vertrauen in die Wissenschaft zunimmt und in Politik und Wirtschaft mehr evidenzbasiert kommuniziert wird. Das gilt auch für andere Themen wie Klimakrise, Migration und soziale Ungleichheit."Sophie Lecheler

"Die Wirtschaftslage bleibt angespannt, soziale Verwerfungen werden deutlicher zutage treten. Damit nehmen Verteilungskonflikte am Arbeitsmarkt, im Bildungssystem, bei Krisenbetroffenen versus Nichtbetroffenen zu." Christine Mayrhuber

"Die Schwierigkeit wird sein, die Neuinfektionszahlen unter Kontrolle zu bringen."Judith Aberle

"Meine Hoffnung ist, dass wir nicht einfach zum Vorher zurückkehren, sondern aus der erfahrenen Verletzlichkeit unserer Gesellschaft lernen, und unsere Wirtschaftsstrukturen auf Nachhaltigkeit ausrichten."Karl Steininger

"Ich vertraue der Wissenschaft. Mit Sorge sehe ich den wirtschaftlichen Folgen der Covid-Krise entgegen. Und was den Stellenwert von Wissenschaft betrifft, bin ich skeptisch. Während zu Beginn der Pandemie die Akzeptanz für Forschung zunahm, ist aktuell das Gegenteil zu beobachten."Sabine Ladstätter, Archäologin, Grabungsleiterin in Ephesos

"Es hängt nicht zuletzt auch von der Impfbereitschaft jedes Einzelnen ab, wie schnell wir wieder die Kontrolle über unseren gewohnten Alltag gewinnen."Andreas Bergthaler, Immunologe, Forschungszentrum für Molekulare Medizin Wien

Inwiefern hat Corona Ihre Forschung beeinflusst?

"Stark. Große Teile meines Labors, aber auch unseres Instituts arbeiten an der Sequenzierung und Analyse von Sars-CoV-2 Virusgenomen. Diese Arbeiten unterstützen das öffentliche Gesundheitswesen unseres Landes."Andreas Bergthaler

"Mein Hauptthema ist jetzt die dystopische Demokratie. Denn auch wenn alle 'Corona-Maßnahmen' zurückgenommen werden, wird die Demokratie einen Teil des Vertrauens der Bevölkerung einbüßen."Daniela Ingruber

"Wir mussten von Influenza auf Sars-CoV-2 umsatteln. Mein Labor ist jetzt größer, aber unsere Influenzaforschung haben wir natürlich weiterbetrieben."Florian Krammer

"Die Aerosolphysik wurde allgemein bekannter. Von der Gesellschaft für Aerosolforschung haben wir den aktuellen Wissensstand zur Rolle von Aerosolpartikeln beim SARS-CoV-2-Infektionsgeschehen in einem Positionspapier zusammengefasst, um einen Beitrag zur Bewältigung der Pandemie zu leisten." Bernadett Weinzierl

"Wir konnten viele Feld- und Labor-Studien nicht durchführen. Die Krise bietet aber "exzellente" Fallstudien. Wir fragen uns etwa, wie Evidenz in der politischen Kommunikation verwendet wird."Sophie Lecheler

"Ich konnte mich mit neuen Fragen befassen. Aber: Forschungsfragen müssen jetzt kurzfristig beantwortet werden; nicht je fundierter, desto wertvoller, sondern je schneller, desto wertvoller."Christine Mayrhuber

"Beinahe alle archäologischen Feldforschungen mussten abgesagt werden. Der Wunsch, zu den Ausgrabungsstätten zurückkehren zu können, ist groß."Sabine Ladstätter

"Agenten- und Netzwerksimulation und der Vergleich von Modellen beschäftigt uns seit zehn Jahren. Natürlich wurden die Themen aber auf Covid geschärft. Bewilligte Forschungsprojekte drehen sich um Impfen, Infektionskrankheiten oder Massentests."Niki Popper, Simulationsexperte, TU Wien

"Für die universitäre Lehre und damit die Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlern und die Universitas als Bildungsanstalt stellt der Wegfall des direkten Kontakts zwischen Lehrendem und Lernendem eine große Gefahr dar. Es bleibt zu hoffen, dass Corona nicht zum Anlass genommen wird, universitäre Lehre auf ein digitales Angebot zu reduzieren, da dies das Ende der Universitäten wäre." Leif Scheuermann

 

Was war - abgesehen vom Covid-Impfstoff - der Durchbruch 2020?

"Die Entdeckung des Coronavirus an sich und die Entschlüsselung der genetischen Information, PCR-Diagnostik innerhalb kürzester Zeit sowie Antigen- und Antikörpertests."Judith Aberle

"Die Quantenphysik. Der Wiener Physiker Caslav Brukner erinnerte uns, dass Realität nichts Fixes ist, sondern von unserer Wahrnehmung und unserem Willen zur Wahrnehmung abhängt."Daniela Ingruber

"2020 hat insgesamt eine steile Lernkurve erzwungen. Die Kultur- und Sozialwissenschaften sind aufgrund ihres reflexiven Charakters langsamer, aber robuster. Es lohnt sich, Thukydides zu lesen, um zu verstehen, warum politische Reaktionen auf Pandemien oft repressiv ausfallen."Karin Harrasser

"An den Corona-Impfstoff kommt nicht viel ran. Was auch bemerkenswert ist, war die Gesamtbilanz der Wissenschaft. Für solche Dinge sind wir zwar da, aber eine Flasche Sekt auf die Wissenschaft darf’s zu Sylvester schon sein."Florian Krammer

"Die ganze Entwicklung rund um Covid-19, von der Gensequenzierung bis um PCR-Test."Herwig Kollaritsch

"Jedes neue Forschungsergebnis ist ein Durchbruch. In meiner Forschungsarbeit haben wir neue KI-basierende Methoden entwickelt, um die Korrektheit von Computersystemen zu sichern. Unsere Resultate haben uns einen ERC Consolidator Grant des European Research Council (ERC) ermöglicht." Laura Kovacs

"Wir waren 2020 an der Entdeckung einer Schwefelverbindung in der Atmosphäre beteiligt, die bisher nur aus dem Labor bekannt war, aber eine wichtige Rolle im marinen Schwefelkreislauf spielt und die Bildung von Wolken über den Ozeanen beeinflusst." Bernadett Weinzierl

"Kein Durchbruch. Wir haben im Moment nicht die Möglichkeit, den Einfluss von Technologie auf die Gesellschaft adäquat zu untersuchen, denn wir wissen nicht, wie viel Desinformation Bürger erleben. Wir können nur die Konsequenzen beobachten, etwa welche Partei die Wahl gewinnt. Wie dies allerdings passiert ist, wird immer schwieriger zu erklären. Dies gefährdet die Funktion der Wissenschaft als unparteiische Beobachterin in Demokratien."Sophie Lecheler

"Die starke Verbilligung der Speichertechnologie im Elektrizitätsbereich, die treibhausgasfreie Energiesysteme ermöglicht."Karl Steininger

"Eine neue Datierungsmöglichkeit für Keramik der Universität Bristol könnte bahnbrechend in der Archäologie sein."Sabine Ladstätter

"Die Ankündigung von möglichem Leben auf der Venus wäre was Neues gewesen - aber das war noch zu wenig abgeklärt."Stefan Thurner

"Die Technik der CRISPR/Cas9-Genomeditierung wurde berechtigt mit dem Nobelpreis für Chemie belohnt."Andreas Bergthaler

"Durchbrüche kristallisieren sich erst mit der Zeit heraus. Sicher sind die Arbeiten am Quantencomputer eines der zentralen Themen, in die viel Geld investiert wurde. Es muss sich erst zeigen, welche Wirkung diese Technologie haben wird." Leif Scheuermann