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Impfen als Verantwortung für Dritte

Von Eva Stanzl aus Alpbach

Wissen

Technologiegespräche Alpbach: Was Europas Forschungslandschaft aus der Covid-Krise lernen kann.


Corona war ein Probelauf, aus dem wir lernen können: Der französische Philosoph Bruno Latour sieht in der Pandemie eine Generalprobe für kommende Krisen mit komplexen Konsequenzen für Umwelt, Gesellschaft und Politik. Irreversible Eingriffe in den Ökohaushalt unseres Planeten würden außerdem zu weiteren Naturkatastrophen, Pandemien und Migrationswellen führen, die politische Konflikte nach sich ziehen.

Wie gut sind wir vorbereitet und was können wir aus der jetzigen Krise lernen? Dieser Frage widmete sich der traditionelle "RTI-Talk" zur Eröffnung der Alpbacher Technologiegespräche am Donnerstag. Generalthema der vom Austrian Institute of Technology und dem Sender Ö1 beim Europäischen Forum Alpbach veranstalteten Reihe ist "Die große Transformation".

Wie können wir Umwälzungen meistern? Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck bezeichnete die Pandemie als eine Art unwillkommene "Premiere", die aber die Möglichkeit böte, besser zu werden. Klar gezeigt habe sich, dass wir "technologieneutral und offen forschen müssen". Angesichts der schnell verfügbaren Impfungen werde deutlich, dass "jeder Euro, den wir in den vergangenen Jahrzehnten in Forschung und Entwicklung investiert haben, sich ausgezahlt hat".

"Rettungsschirm, geworfen in ein Meer von Viren"

Europa müsse weiterhin themenoffen forschen, auch zumal die Pandemie noch nicht ausgestanden sei. Insbesondere die Impfungen gegen Covid-19 würden zum Schutz vulnerabler Personen und Arbeitsplätze benötigt. Gleichzeitig brächten diese Entwicklungen wenig, wenn sich ein gewisser Anteil an Menschen nicht impfen lässt. "Wir befinden uns in einem Dilemma: Was für mich als Einzelne gut sein kann, ist nicht für die Gemeinschaft gut und findet nicht zum besten Ergebnis", betonte Schramböck: "Natürlich kann es für einzelne Personen so sein, dass sie sich nicht stechen lassen wollen, aber für die Gemeinschaft ist es nicht das beste", so die Wirtschaftsministerin.

Die Vakzine wirken "wie ein Rettungsschirm, geworfen in ein Meer von Viren, in dem nicht nur Sars-Cov-2 schwimmt, sondern, wie man befürchten muss, auch künftige, andere Viren", sagte der Industrielle Hannes Androsch. Der Corona-Pandemie, die die Welt in ihrer vierten Welle im Griff hat, könnte ein pandemisches Jahrhundert folgen. Umso mehr würde man Erfolge von Wissenschaft, Forschung und Entwicklung benötigen. "Aber man muss halt diesen Rettungsschirm auch ergreifen, sonst geht man unter. Das Untergehen präsentiert sich darin, dass wir schon wieder steigende Hospitalisierungszahlen haben, vor allem unter Nichtgeimpften", so Androsch: Ob man sich impfen lasse oder nicht, "ist dann nicht mehr die Freiheit des Einzelnen, sondern auch eine Verpflichtung und Verantwortung gegenüber Dritten, um Ansteckungen zu verhindern." Letztlich zeige sich gerade jetzt, dass man den Wissenschaften "nicht genug Bedeutung beimessen" könne, Europa aber in vielen Bereichen gegenüber den USA und China zurückgefallen sei.

Die Tatsache, dass die meisten Menschen vor 15 Jahren nicht wussten, dass es ein Smartphone geben würde, zeige den Tiefgang und das Ausmaß der Geschwindigkeit der Veränderung, und zwar vor einem "mehrfach unerfreulichen Hintergrund": Neben der Pandemie hätte die Menschheit mit dem Klimawandel, Cyber-Kriminalität, in Not befindlichen Flüchtlingen und geopolitischen Turbulenzen zu kämpfen. Die Bewältigung dieser großen Probleme setze Personalreserven und die entsprechende Bildung voraus, sagte Androsch.

"Die Errungenschaften Europas schützen"

In der Vergangenheit habe Europa "Fehler gemacht", sagte Schramböck. So wurden etwa im Telekom-Bereich Unternehmen im Bereich Informationstechnologien und Telekom "übernommen, zerstückelt oder eingestellt" und damit sei viel Know-how verloren gegangen. Im Zusammenhang mit den Covid-19-Impfungen müsse man jedoch jetzt "Errungenschaften Europas schützen". Ein Ausverkauf von europäischen Ideen durch die Freigabe von Patenten, wie etwa in den USA, "darf uns im Pharmabereich nicht passieren", betonte die Ministerin.

Der Klimaerwärmung gegenzusteuern, bezeichnete Klimaschutzministerin Leonore Gewessler als "historische Aufgabe dieser Generation". Hier gebe es derzeit einen "Moment des Aufbruchs in Europa". In Österreich seien heuer bereits ein Drittel der Kfz-Zulassungen auf alternative Antriebe entfallen, sagte sie. Technologien, um die Erderwärmung einzudämmen, seien zu 80 Prozent vorhanden, "es geht ums Tun". Daher habe man Teile der Forschungsförderungslandschaft auf Klimaschutz ausgerichtet, nicht zuletzt um das Ziel des Green Deal, bis 2050 CO2-neutral zu sein, zu erreichen. Im Rahmen der Konjunkturpakete habe das Klimaschutzministerium ein zusätzliches Budget von 100 Millionen Euro bereitgestellt, davon 12 Millionen für Startups in diesem Bereich, sagte Gewessler. Das sei "gut und sehr sinnvoll investiertes Geld".

Auch Unternehmen würden sich hier zunehmend auf den Weg machen. Das ginge aber nur, wenn auch weiter in Forschung und Entwicklung investiert wird. In der Industrie sei "der große Gegensatz zwischen Ökonomie und Ökologie zum größten Teil überwunden", konstatierte der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Christoph Neumayer. Die rasche wirtschaftliche Erholung nach dem "knackigen Einbruch" habe auch "viel mit F&E zu tun".

"Die Entwicklung des Impfstoffes in internationaler Kooperation ist eine noch nie da gewesene Leistung, aufbauend auf jahrzehntelanger Grundlagenforschung", sagte Barbara Weitgruber, Sektionschefin für Forschung im Wissenschaftsministerium. Staat, Wirtschaft und Gesellschaft benötigen Forschung, Innovation, Technologie, und die wiederum benötige Bildung.