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Nur manche Zellen bilden Krebs

Von Alexandra Grass

Wissen

Wissenschafter fanden eine dritte Ebene, die bei der Entstehung von Tumoren eine Rolle spielt.


Täglich lauern tausende von Zellen mit Erbgut-Fehlern in unseren Körpern, die Krebs verursachen könnten. Doch nur in seltenen Fällen führen diese genetischen Mutationen zu einer Tumorerkrankung. Die Standarderklärung dafür lautet, dass es eine bestimmte Anzahl solcher Fehler in der DNA einer Zelle braucht, um eine Zelle aus dem Gleichgewicht zu bringen. Allerdings gibt es Fälle, in denen ein und dieselbe Mutation bei einem Menschen Krebs verursacht, bei einem anderen jedoch nicht. Wissenschafter des Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York sind nun auf eine weitere Erklärung für die Krebsentstehung gestoßen, wie sie am Donnerstag im Fachmagazin "Science" berichteten.

"Die seit Jahren gängige Vorstellung ist, dass es im Grunde zweier Arten von DNA-Mutationen bedarf, um Krebs zu bekommen - ein aktiviertes Onkogen und ein deaktiviertes Tumorsuppressorgen", erklärt der Onkologe Richard White. In diesen Mix reihe sich allerdings die sogenannte onkogene Kompetenz als weiterer Faktor, so der Mediziner.

Das Anzündholz

So haben die Forscher herausgefunden, dass insbesondere spezifische Gene, die in der Zelle aktiviert sind, mit genetischen Mutationen zusammenwirken, damit Zellen Krebs bilden können. Dies nennen sie die onkogene Kompetenz. Greift man die Hebel an, die kontrollieren, welche Gene in einer Zelle eingeschaltet sind, könnten sich potenzielle Möglichkeiten für neue Behandlungsmethoden ergeben.

Die Krebsforscherin Arianna Baggiolini, eine der Hauptautoren der Studie, vergleicht die Situation mit dem Entfachen eines Feuers. "Die DNA-Mutationen sind wie ein brennendes Streichholz. Hat man das falsche oder nasses Holz, flackert das Feuer vielleicht ein bisschen, aber es brennt nicht. Hat man aber das richtige Holz und vielleicht noch etwas Anzündholz, brennt das ganze Ding ab", erklärt die Forscherin in der Publikation.

Die Wissenschafter legten ihr Augenmerk auf das Protein Atad2. Es bindet an Bereiche eines Chromosoms in der Nähe von Genen und ermöglicht, dass diese Gene aktiviert werden. Proteine wie Atad2 verändern das Epigenom der Zelle - also die Art und Weise, wie die DNA in einer Zelle verpackt und aufgespult ist - und nicht das Genom - die DNA-Sequenz - selbst. Zellen mit Atad2 können eine einzigartige Reihe von Genen aktivieren, die normalerweise nur in der Embryonalentwicklung zu sehen sind, während Zellen ohne dieses Protein dies nicht können. Atad2 ist also der Schlüssel, der diese Gene freischaltet.

Neue Perspektive

Für Baggiolini ist es, bildlich gesprochen, das Anzündholz. Um zu beweisen, dass es eine entscheidende Rolle in der Krebsentstehung spielt, starteten die Forscher einen Tierversuch mit Zebrafischen. Dort wurden sie auch fündig. In einem für Melanome anfälligen Zebrafischmodell entfernten sie Atad2. In Folge verloren die Zellen ihre Fähigkeit, Tumore zu bilden. Als sie es den Zellen allerdings wieder hinzufügten, gewannen diese Zellen die Fähigkeit wieder. Auch mit Blick auf klinische Daten, die über den Krebsgenom-Atlas verfügbar sind, wurde der Studie zufolge deutlich, dass Patienten mit hohen Atad2-Werten ein deutlich schlechteres Überleben haben. Dies deute darauf hin, dass dieses Protein eine wichtige Rolle bei der Bestimmung der Folgen von DNA-Mutationen spielt.

Die Entwicklung eines Medikaments zur Beseitigung des Anzündholzes, wie in Baggiolinis Beispiel, wäre eine Möglichkeit zur Behandlung des Krebses - abgesehen von der gezielten Bekämpfung der DNA-Mutationen.

Die Wissenschafter schreiben in ihrer Publikation, dass ihre Ergebnisse eine wichtige neue Perspektive auf die Krebsentstehung bieten, die völlig im Gegensatz zu den konventionellen Weisheiten steht.