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Die Biologie als Künstlerin

Von Alexandra Grass

Wissen
Am Podium im Belvedere 21: Judith Belfkih (Stv. Chefredakteurin der "Wiener Zeitung"), Sabine Taschner-Mandl (Molekularbiologin der St. Anna Kinderkrebsforschung), Modedesignerin Romana Zöchling und Fotokünstler Bela Borsodi.
© WZ / Wolfgang Renner

Mit ihrem Projekt "art4science" verbindet die St. Anna Kinderkrebsforschung Kunst und Wissenschaft.


Rational und systematisch auf der einen Seite - emotional und ästhetisch auf der anderen Seite. Die scheinbaren Gegensätze von Kunst und Wissenschaft ergeben bei näherer Betrachtung ein gemeinsames Bild, das sich nicht nur in der Experimentierfreudigkeit und Inspiration als Ganzes sehen lässt. Möglich macht dies das Projekt "art4science" der St. Anna Kinderkrebsforschung. Es lässt die Pole Kunst und Wissenschaft verschmelzen und leistet damit einen wichtigen Beitrag für einen neuen Bereich der kreativen Wissenschaftskommunikation. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion mit dem Thema "Forschung und Sinnlichkeit" in Kooperation mit der "Wiener Zeitung" wurden Donnerstag Abend die verbindenden Elemente aufgezeigt.

"Wissenschaft und Kunst können einander durchaus beeinflussen und befruchten", betonte Thomas Lion, ärztlicher Direktor der Labdia Labordiagnostik und Molekulargenetiker der St. Anna Kinderkrebsforschung, in seinem Eingangsstatement. Man denke etwa an das Atomium in Brüssel oder die berühmte Skulptur von Henry Moore in Chicago, die den ersten kontrollierten Atomversuch künstlerisch darstellt. Auch das vom polnischen Mathematiker Benoît Mandelbrot entwickelte Konzept der fraktalen Geometrie fällt für Lion in diese Kategorie. Mit ihr lassen sich auch sehr unregelmäßig begrenzte Formen in der Natur mathematisch erfassen. "Wenn man etwa an die Form einer Wolke denkt oder auch die Form eines unregelmäßig wachsenden Tumors", skizzierte Lion.

Zellen, die einen Tumor entstehen lassen beziehungsweise seinen Weg zur Heilung aufzeigen, stehen im Mittelpunkt eines gemeinsamen Projekts der Molekularbiologin Sabine Taschner-Mandl und der Modedesignerin Romana Zöchling. Die breit gefächerte Ästhetik dieser Zellen unter dem Mikroskop haben die beiden veranlasst, Kunst entstehen zu lassen. Zwar sei die Ästhetik des Bildes lediglich ein Nebenprodukt ihrer Arbeit, mit ihm lassen sich allerdings Forschungsergebnisse auch präsentieren, betonte Taschner-Mandl. In Folge wird die Biologie zur Künstlerin.

In der Forschungsarbeit der Molekularbiologin geht es darum, Eigenschaften von Zellen mittels bildgebender mikroskopischer Verfahren zu visualisieren. Diese Visualisierungen hat Zöchling auf Stoffe gebracht und daraus Kleidungsstücke entworfen. "An den Bildern sieht man sehr schön, wie einzelne Strukturen in Zellen sich ausbreiten und tatsächlich auch physikalisch berühren und damit kommunizieren und interagieren", so die Wissenschafterin. Forschung werde oft als abstrakt wahrgenommen. In die Kunst eingebracht wird sie für sie greifbar und anschaulich.

"Zu Inspiration kommt es immer dann, wenn Menschen über ihren eigenen Tellerrand schauen und den Mut haben, ihren Blick zu weiten und größer zu machen", formulierte die Moderatorin und stellvertretende Chefredakteurin der "Wiener Zeitung", Judith Belfkih. Das haben nicht nur Taschner-Mandl und Zöchling umgesetzt, sondern auch der Fotokünstler Bela Borsodi in einem eigenen, noch in Arbeit befindenden Projekt. Darin dokumentiert er die Geburt eines Tumors, der in einem Oberschenkelknochen zum ersten Mal in Erscheinung tritt. Es geht dabei aber auch um die Stärken des Immunsystems, um Heilung und um die Arbeitsweisen der Wissenschafter.

Er skizzierte in der Diskussion die aufkommende gegenseitige Inspiration im Zuge der Projektarbeit. "Ich hatte keine schönen Farben und Bilder, sondern musste mir komplizierte Sachen vorstellen und habe versucht, die Herangehensweise der Wissenschafter in eine Welt zu setzen, die völlig abstrakt ist im Gegensatz zu unserer Welt", betonte Borsodi. Aus der Arbeit sind Skulpturen entstanden, die in Folge noch fotografiert werden. "Ich habe, in eine Science-Fiction-Welt übersetzt, die Entdeckung oder Geburt eines Krebses nachgestellt und auch, wie sich die Krebszellen bewegen", erklärte der Fotokünstler.

Unvorstellbares vorstellbar

Denn die Kunst könne Unvorstellbares vorstellbar machen, und ermöglicht es, Dinge zu kommunizieren, die der Wissenschafter vermutlich gar nicht als Möglichkeit sieht, das überhaupt kommunizieren zu können. Dabei sieht Borsodi einen inspirierten Geist als verbindendes Element aller Disziplinen. "Ob Wissenschaft, Musik, Kunst oder auch Fußball. Der Geist, der dahintersteckt, der antreibt, etwas zu erforschen, weil er neugierig ist, ist überall sehr ähnlich." Sehr wohl seien allerdings die Strategien unterschiedliche.

Gerade Mode sei ein oberflächliches, ästhetisches Moment, betonte Zöchling. Daher habe sich die Frage gestellt, ob die Verbindung zu einer tödlichen Erkrankung überhaupt hergestellt werden darf. "Auf den Stoffen und Kleidungsstücken zeigen wir nie aggressive Tumorzellen, sondern was passiert, wenn wir gegen den Tumor kämpfen. Wir erforschen, wie es zur Ausheilung kommen kann", betonte Taschner-Mandl. Das Anliegen war, dass das Thema mit Respekt behandelt wird. Daraus sind schließlich sechs verschiedene Looks aus Einzelstücken und streng limitierten Kleidungsstücken entstanden, die die Modedesignerin in ihrem Label Ferrari Zöchling zum Erblühen gebracht hat.

In dieser Form kann sich Forschung öffnen. Und sie sollte auch öffentlich diskutiert werden, um eine Auseinandersetzung mit Wissenschaft und wissenschaftlichen Themen zu ermöglichen. Kleider fördern Kommunikation, Skulpturen fördern Kommunikation, Bilder fördern Kommunikation. Doch sollte nicht alles erklärbar gemacht werden, "denn manche Sachen kann man durchaus auch im Nebel der Unsicherheit lassen", schloss Borsodi.