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"Der Mensch ist der Asteroid"

Von Alexandra Grass

Wissen

Der Impaktforscher Christian Köberl über die Dart-Mission der Nasa und die großen Bedrohungen für die Erde.


Vor rund einer Woche wartete die Nasa mit einer Erfolgsmeldung auf. Die Raumsonde "Dart" hat den Asteroiden Dimorphos in eine neue Umlaufbahn geschubst. Dieser Kursänderung war eine Kollision vorausgegangen, bei der der Himmelskörper zielgenau getroffen wurde. Mit dem Manöver sollte getestet werden, ob ein Himmelsobjekt, das auf die Erde prallen könnte, sich ablenken lässt. "Wir haben der Welt gezeigt, dass die Nasa ein ernsthafter Verteidiger dieses Planeten ist", hatte Nasa-Chef Bill Nelson verkündet.

Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erklärt der österreichische Impakt-Forscher Christian Köberl die Hintergründe, wie kalkulierbar ein solches Risiko ist und was nun folgt.

"Wiener Zeitung": Die Dart-Mission der Nasa ist ein Erfolg, heißt es. Inwiefern ist sie als das zu bewerten?Christian Köberl: Die Mission ist in mehrfacher Hinsicht ein Erfolg - zuerst einmal war es der erste derartige Versuch überhaupt, einen Asteroiden gezielt zu treffen und damit die Reaktion des getroffenen Objektes vermessen zu können. Das ist der erste Schritt, die sogenannte "Planetary Defense" von der Theorie in die Praxis zu bewegen. Es war auch ein Erfolg, das doch sehr kleine Zielobjekt überhaupt zu treffen. Die meiste Zeit war der Zielasteroid nicht mehr als ein kleiner Lichtpunkt, und daher waren auch viele kleine Bahnkorrekturen der Sonde nötig. Das hat bestens funktioniert.

Schließlich war es ein Erfolg, weil die nun aus Beobachtungen abgeleitete Veränderung der Bahn des kleinen Asteroidenmondes, Dimorphos, sogar noch stärker ausgefallen ist als erhofft. Das ist gar nicht selbstverständlich, denn die Bahnänderung hängt von vielen Aspekten ab, wie auch der inneren Struktur des Asteroiden und der Art der Zusammensetzung. Das macht Unterschiede in der Impulsübertragung.

Was lernen wir daraus?

In erster Linie lernen wir, dass die bisher rein theoretische Methode der Impulsübertragung durch Einschlag zur Bahnveränderung tatsächlich funktioniert. Nun müssen natürlich weitere Versuche folgen, um auch die Vielfalt der verschiedenen Asteroiden erfassen zu können.

Kann es zu einem gefährlichen Eingriff in das Gesamtsystem führen, wenn man die Umlaufbahn eines Himmelskörpers verändert?

Nein, das kann es nicht, denn jeder Himmelskörper ist in einer Bahn. Die kann nicht einfach geändert werden - nur in schlechten Hollywood-Filmen kommt das vor. Es ist sogar keine gute Idee, etwa einen Körper, der sich auf direktem Kollisionskurs mit der Erde befindet, knapp vor dem Aufprall sprengen zu wollen. Statt einem Impakt hat man dann mehrere, denn die Bahnen lassen sich nicht so einfach ändern. Daher sind auch Formulierungen wie "aus der Bahn werfen" grober Unsinn. Man kann nichts aus einer Bahn "werfen", man kann die Bahn bestenfalls leicht ändern - aber auch die neue Umlaufbahn ist eben eine Umlaufbahn. Diese Gesetze hat schon Kepler Anfang des 17. Jahrhunderts gefunden.

Würde ein Asteroid wie Dimorphos auf der Erde einschlagen, was würde/könnte passieren?

Das ist ein "relativ" kleiner Asteroid mit nur etwa 160 Metern Durchmesser. Der Krater eines Einschlages ist im Durchschnitt etwa 20 mal so groß wie der einschlagende Körper - im vorliegenden Fall also etwa drei Kilometer im Durchmesser. Das vernichtet eine Großstadt wie Wien völlig und würde auch eine Fläche wie Niederösterreich ziemlich zerstören, aber das sind dann nur regionale Zerstörungen, die, je nachdem wo auf der Erde so etwas passiert, Tausende bis Millionen Tote verursachen könnten.

Wie viele Gesteinsbrocken kennt man, die uns gefährlich werden könnten?

Man kennt heute in etwa knapp 30.000 Kleinplaneten, die der Erde gefährlich werden können, und es werden jedes Jahr Hunderte neu entdeckt. Auf der Homepage der Nasa werden die Neuentdeckungen regelmäßig aktualisiert.

Wie kalkulierbar ist das Risiko einer Katastrophe, wenn sich noch so viele unentdeckte Asteroiden bewegen?

Wir können einerseits aus der geologischen Vergangenheit - den Untersuchungen von Einschlagskratern - etwas lernen. Andererseits werden damit natürlich nur die größeren Einschläge erfasst. Kleinere Krater verschwinden sehr rasch durch die Erosion und sogenannte "airbursts", so wie es etwa das Tunguska-Ereignis 1908 oder der Einschlag in der russischen Stadt Tscheljabinsk im Jahr 2013 waren, hinterlassen überhaupt keine spezifischen Spuren in den Gesteinen, können aber auch regionale Zerstörungen verursachen. Es ist jedoch wichtig, die Beobachtungen, die zur Entdeckung von Asteroiden führen, weiterzuverfolgen, damit wir eben besser wissen, was uns wann gefährlich werden könnte.

Wie schnell können wir reagieren, wenn sich solch ein Asteroid nähert? Haben wir überhaupt eine Chance?

Wenn etwas im direkten Anflug auf die Erde ist, ist es jedenfalls zu spät. Ein paar Tage oder Wochen vorher ist eine Reaktion aus mehreren Gründen unmöglich: Erstens, je näher an der Erde das Objekt ist, desto enormere Energiemengen braucht es zur Ablenkung, und derartige Energien sind so knapp vorher nicht mehr darstellbar. Zweitens stehen irgendwelche "Abwehrraketen" ja nicht auf einem Parkplatz von Cape Canaveral bereit und warten auf einen sofortigen Einsatz, und selbst wenn, dann dauert es oft Wochen bis Monate, bis eine Rakete startklar sein kann. Wie man etwa bei der Mondmission Artemis momentan sieht, wo technische Probleme oder das Wetter zu dauernden Startverzögerungen führen.

Drittens können auch unsere Raketen nur mit durch die Himmelsmechanik beschränkten Geschwindigkeiten fliegen - diese liegen in etwa im Bereich der Geschwindigkeit der Asteroiden. Es ist also sehr kompliziert und zeitraubend, überhaupt zu einem Asteroiden zu kommen - auch Dart war ja etwa zehn Monate unterwegs. Wir haben nur eine Chance, wenn man die Bahn eines Asteroiden, der der Erde gefährlich werden kann, gut kennt, und schon mehrere Umläufe, also mehrere Jahre, vor einem möglichen Impakt diesem Asteroiden einen "Schubs" gibt. Denn dann akkumuliert sich die Bahnänderung über die nächsten Umläufe und 3, 4, 6 oder gar 10 Umläufe später verpasst das Objekt knapp die Erde.

Es heißt wiederholt, Asteroiden und Kometen seien die größte Bedrohung für den Menschen. Sehen Sie das auch so?

Das sehe ich eher nicht so - das muss man differenziert sehen. Wenn wir natürliche Gefahren ansehen - Erdbeben, Vulkanausbrüche, Asteroideneinschläge und Ähnliches - dann hängt es von der Größe und dem Ort des Ereignisses ab. Da gibt es viele Orte auf der Erde, wo etwa Erdbeben lokal und regional auch in wenigen Jahren oder Jahrzehnten durchaus gefährlich sein und Tausende Tote verursachen können - wie auch die rezente Vergangenheit durchaus gezeigt hat. Wie auf der Webseite der WHO zu lesen ist, verursachten Erdbeben zwischen 1998 und 2017 weltweit nahezu 750.000 Tote. Mehr als die Hälfte der Todesfälle ist auf Naturkatastrophen zurückzuführen. Wenn man aber längerfristig denkt, sind Asteroideneinschläge natürlich pro Ereignis viel gefährlicher, kommen halt aber weniger häufig vor. Da kommt es dann darauf an, wann und wo ein Einschlag passiert.

Und was ist die größte Bedrohung?

Die größte Bedrohung für den Menschen ist der Mensch - beziehungsweise zu viele Menschen. Denn die Überbevölkerung ist für praktisch alle damit zusammenhängenden Probleme verantwortlich. Vor über 100 Jahren gab es noch eine Milliarde Menschen auf der Erde und daher gab es auch beim Tunguska-Ereignis, das ein damals unbewohntes Gebiet in Sibirien getroffen hat, keine Todesopfer. Heute mit mehr als acht Milliarden sieht das anders aus. Abgesehen davon, dass alle anderen Probleme die heute, teils richtigerweise, als große Probleme gesehen werden - Biodiversitätsverlust, Umweltzerstörung, Klimawandel, Abholzungen oder Verschmutzung -, direkt und nur auf die Überbevölkerung zurückzuführen sind. Unser Planet hat nicht Platz für acht Milliarden Menschen, noch dazu so, wie sie sich verhalten. Ich weiß, das ist eine unpopuläre Sichtweise - leider realistisch. Da brauchen wir auch nicht auf einen Asteroiden warten. Heute ist der Mensch der Asteroid.

Wie sehen nun die nächsten Schritte nach dieser Mission aus?

2024 folgt die Hera-Mission, an der auch Österreich beteiligt ist. Eine Sonde soll zu Dimorphos fliegen, um die Effekte der Kollision vor Ort zu untersuchen, damit man lernt, wie sich das konkrete Asteroidenmaterial verhalten hat. Und es wird weitere ähnliche Versuche geben müssen. Außerdem ist die Kollision nur eine von mehreren Möglichkeiten der Bahnablenkung - auch andere Methoden werden getestet werden müssen.