Mindestens 280 Millionen Menschen waren im Jahr 2020 von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen. Der fehlende Zugang zu sicheren, nahrhaften und ausreichenden Lebensmitteln - sei es aufgrund ihrer fehlenden Erreichbarkeit oder wirtschaftlichen Missständen - ist eine Hauptursache für Unterernährung. Pandemie, Klimawandel und Extremwetterereignisse haben das globale Problem zusätzlich verstärkt. Ein Team der Central European University (CEU) in Wien hat nun ein Prognosemodell entwickelt, mit dem das Auftreten von prekären Ernährungssituationen bei Menschen in sechs Ländern bis zu 30 Tage vorhergesagt werden konnte. Das eröffnet neue Möglichkeiten, solchen Situationen frühzeitig entgegenzuwirken.

Erfolg im Jemen

Die Forschenden um die Datenwissenschafterin Elisa Omodei entwickelten und trainierten einen Algorithmus mit Daten des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen zum Lebensmittelverbrauch aus den Jahren 2018 bis 2021 aus sechs Ländern: Burkina Faso, Kamerun, Mali, Nigeria, Syrien und Jemen - Länder, die jüngst von Ernährungsunsicherheiten stark betroffen waren. Ihr Modell erweiterten sie unter Hinzuziehen von Daten zu Konflikten, Lebensmittelpreisen, Extremwetterereignissen und zum Ramadan.

Im Jemen und in Syrien konnte die prekäre Ernährungssituation mit dem Algorithmus mit einer 99-prozentigen Genauigkeit für den Folgetag vorhergesagt werden, bei der 30-Tage-Prognose betrug die Genauigkeit im Jemen 72 Prozent und in Syrien 47 Prozent. In diesen beiden Ländern "hat unser Algorithmus gut funktioniert, da wir hier während der Studie mehr Daten - sowohl in Bezug auf die zeitliche als auch die räumliche Abdeckung - hatten", so Omodei. Die Forscherin geht davon aus, "dass der Algorithmus auch für die afrikanischen Länder gut funktionieren wird, sobald mehr Daten zur Verfügung stehen." Regelmäßige Erhebungen über längere Zeiträume und auf subnationaler Ebene steigere die Möglichkeiten für erfolgreiche Vorhersagen. Ihr Prognose-Werkzeug könne bestehende Beobachtungsmethoden ergänzen, heißt es in der im Fachblatt "Scientific Reports" publizierten Studie. Vor allem weil es schnell verfügbare Vorhersagen auf der Grundlage von Echtzeitdaten liefere.

Hohes Maß an Flexibilität

Für ihr Modell entwickelten die Wissenschafter einen speziellen Algorithmus auf Basis des sogenannten "Gradienten-Boosting", einem Machine-Learning-Verfahren, der sich für die Analyse komplexer Phänomene wie der Ernährungsunsicherheit eigne. Zweitens weise der Ansatz ein hohes Maß an Flexibilität auf, "was sie zum geeignetsten Kandidaten für eine Vorhersageaufgabe macht, die schließlich in nahezu Echtzeit ausgeführt werden soll". Man könne den Algorithmus täglich automatisch laufen lassen, auch wenn etwa aufgrund von Verzögerungen bei der Datenverfügbarkeit gewisse Eingabewerte fehlen.

Die Bekämpfung von Ernährungsunsicherheiten ist eine zentrale Herausforderung für das Erreichen der UNO-Nachhaltigkeitsziele bis 2030. Ihr Modell könne methodisch noch verbessert werden, heißt es in der Studie. So etwa durch die Integration von Deep-Learning-Methoden. Auch habe man sich auf nur einen Indikator von Ernährungsunsicherheit von vielen konzentriert, so Omodei.

"In Zukunft würden wir gerne einen Algorithmus entwickeln, der Personen umfasst, die auf Krisen- oder Notfall-Bewältigungsstrategien zurückgreifen müssen", erklärt die Forscherin. So könne man messen, inwiefern die Haushalte dazu gezwungen sind, etwa weniger bevorzugte oder weniger teure Lebensmittel zu konsumieren, sich mit Lebensmitteln von Verwandten oder Freunden zu versorgen, die Portionen zu begrenzen oder als Erwachsene einfach weniger zu essen, damit kleine Kinder essen können.