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Gehirnform bestimmt die Aktivität

Von Alexandra Grass

Wissen
© adobe stock / Siarhei

Die Geometrie des Denkorgans beeinflusst die Art und Weise, wie es arbeitet.


Seit mehr als einem Jahrhundert gehen Wissenschafter davon aus, dass die Muster der Gehirnaktivität, die unsere Erfahrungen, Hoffnungen und Träume bestimmen, dadurch entstehen, wie verschiedene Gehirnregionen über ein komplexes Netz von Billionen von Zellverbindungen miteinander kommunizieren. Ein australisches Forscherteam hat nun festgestellt, dass die Form unseres Denkorgans einen weitaus größeren Einfluss darauf hat, wie dir denken, fühlen und uns verhalten, als seine komplexe neuronale Vernetzung.

"Wir haben lange geglaubt, dass bestimmte Gedanken oder Empfindungen Aktivitäten in bestimmten Teilen des Gehirns auslösen, aber diese Studie zeigt, dass strukturierte Aktivitätsmuster über fast das gesamte Gehirn angeregt werden. So wie ein musikalischer Ton durch Schwingungen entsteht, die entlang der gesamten Länge einer Geigensaite auftreten und nicht nur in einem isolierten Segment", erklärt James Pang vom Turner Institute und der School of Psychological Sciences der Monash University im Fachblatt "Nature". Die Studienergebnisse seien von großer Bedeutung, da sie die Art und Weise, wie unser Denkorgan funktioniert, sich entwickelt und alter, erheblich vereinfachten.

Hilft, Krankheit zu verstehen

"So wie Resonanzfrequenzen einer Geigensaite durch ihre Länge, Dichte und Spannung bestimmt werden, werden die Aktivitätsmuster des Gehirns durch seine strukturellen - physikalischen, geometrischen und anatomischen - Eigenschaften bestimmt. Aber welche spezifischen Eigenschaften am wichtigsten sind, war bisher ein Rätsel", betont Ko-Autor Kevin Aquino von der Universität Sydney.

Das Forscherteam untersuchte mit Hilfe der Magnetresonanztomographie (MRT) die Eigenmoden, das heißt die natürlichen Schwingungs- und Erregungsmuter eines Systems, bei denen verschiedene Teile des Systems alle mit der gleichen Frequenz angeregt werden. Aktivitätsmuster werden für gewöhnlich zur Untersuchung physikalischer Systeme in Bereichen wie Physik und Ingenieurwesen verwendet und wurden erst kürzlich für die Untersuchung des Gehirns angepasst, heißt es in der Studie.

"Wir fanden heraus, dass die Eigenformen, die durch die Geometrie des Gehirns - seine Konturen und Krümmungen - definiert sind, die stärkste anatomische Einschränkung für die Gehirnfunktion darstellen, ähnlich wie die Form einer Trommel die Töne beeinflusst, die sie erzeugen kann", skizziert Studienleiter Alex Fornito vom Turner Institute.

Mithilfe mathematischer Modelle haben die Forscher die theoretischen Vorhersagen bestätigt, dass die enge Verbindung zwischen Geometrie und Funktion durch wellenförmige Aktivität angetrieben wird, die sich im gesamten Gehirn ausbreitet - so wie die Form eines Teiches die Wellen beeinflusst, die von einem fallenden Kieselstein gebildet werden.

Diese Arbeit eröffnet die Möglichkeit, die Auswirkungen von Krankheiten wie Demenz und Schlaganfall zu verstehen, indem man Modelle der Gehirnform betrachtet, die viel einfacher zu handhaben sind als Modelle der gesamten Verbindungen des Gehirns, so Pang.

Aussage von 10.000 MRTs

Bei mehr als 10.000 MRTs, die bei der Durchführung verschiedener von Neurowissenschaftern entwickelter Aufgaben zur Untersuchung des menschlichen Gehirns erstellt wurden, die Aktivität von Eigenmoden mit räumlichen Mustern dominiert wurde, die sehr lange Wellenlängen aufweisen und sich über Distanzen von mehr als 40 mm erstrecken.

"Das Ergebnis steht im Gegensatz zu den herkömmlichen Annahmen, wonach die Aktivität während verschiedener Aufgaben oft in fokalen, isolierten Bereichen mit erhöhter Aktivität auftritt, und zeigt uns, dass die traditionellen Ansätze zur Kartierung des Gehirns möglicherweise nur die Spitze des Eisbergs sind, wenn es darum geht, zu verstehen wie das Gehirn funktioniert."