
"Wiener Zeitung": In Ihrem neuen Buch "Super-Cooperators" brechen Sie eine Lanze für selbstlose Zusammenarbeit. Was ist die Rolle der Kooperation in der Evolution?
Martin Nowak: Grundlegend für die Evolution sind Mutation und Selektion. Aber der natürliche Wettbewerb führt manchmal auch zur Kooperation. Kooperation ist eine Art Master-Architekt in der Evolution. Ohne Zusammenarbeit können keine komplexen Strukturen entstehen. Wir würden auf der Ebene des Einzellers stehen bleiben oder darunter.
In Ihrem Sinn kooperieren wir also, um dem besten komplexen System die größten Überlebenschancen zu garantieren. Verändert das die Bedeutung des Wortes?

"Survival of the Fittest" bedeutet im Sinne von Charles Darwin das Überleben der bestangepassten Individuen. Nach meiner Theorie ist der "Fitteste", wer besonders gut kooperiert. Jede Zelle enthält alle Bausteine des Lebens, aber damit ein Lebewesen daraus wird, müssen sie kooperieren. Die Evolution führt zu Strategien, die gewisse Aspekte der Selbstlosigkeit haben.
Ist eines der zentralen Motive in der Evolution der Altruismus?
Für mich ist Altruismus das Gleiche wie Kooperation, also eine Handlung, bei der ich jemandem helfe, obwohl es mich etwas kostet. Wahrer Altruismus definiert sich aber durch das Motiv. Wir haben die Motivation für kooperatives Verhalten noch nicht analysiert, da wir sie nicht mathematisch beschreiben können.
Wie berechnen Sie die Kooperation in der Evolution ?
Die Evolutionstheorie ist so präzise formuliert, dass man jede ihrer Ideen mathematisch beschreiben kann. Sie ist oft ähnlich berechenbar wie die Erdumlaufbahn. Wir können genau sagen, was evolviert und wie lange das dauert. Wir haben auch die Spieltheorie zur Anwendung gebracht, mit der präzise berechnet werden kann, warum sich Menschen in gewissen Situation so oder anders entscheiden. Dabei habe ich die mathematischen Modelle der Kooperation erweitert und fünf Mechanismen beschrieben, die zur Kooperation führen können. Es zeigt sich, dass die natürliche Selektion genau jene Kooperation ermöglicht, die im Alltag gelebt wird - am Arbeitsplatz, im Verkehr. Damit eine Gesellschaft entsteht, muss kooperiert werden, und damit Sprachen sich entwickeln, müssen Individuen einander etwas mitteilen wollen.