
Deine Motive, die wir so oft missverstanden haben, sind etwas, das einzig und allein Dir gehört. Niemand hat das Recht, in diese äußerste und unwiderrufliche Entscheidung einzugreifen, auch dann nicht, wenn nichts die Kostbarkeit und Einzigartigkeit eines Menschenlebens aufzuwiegen vermag.
Du hast mir seit nahezu vierzig Jahren Deine Freundschaft geschenkt. 1968 standen wir Seite an Seite um die für uns verkrusteten Universitätsstrukturen aufzubrechen und gegen die Abhängigkeit der Assistenten zu kämpfen. Unsere Kinder spielten dann miteinander und wir konnten unsere Freundschaft vertiefen. Dann wurdest Du Dekan, dann Rektor. Ich habe immer Deine Souveränität und deine Großherzigkeit in Deinem Handeln bewundert. Du hast vieles bewirkt, auch gegen die Widerstände, die von den Ministerien, innerhalb der Universitäten und der Öffentlichkeit ausgingen. Du hast ein sogenanntes Orchideenfach, die Altgermanistik, gewählt und geliebt. Ich erinnere mich noch gut an meine Verblüffung, als Du mir unbekannte Gestalten des Mittelalters vorstelltest, ich erinnere mich an Dein verschmitztes Lächeln in unseren gemeinsamen Seminaren, wenn ich, Deinen Darlegungen hinterher galoppierend, die Sache der Philosophie zur Geltung bringen wollte.

Deine Liebe zur Musik, zur Oper - vor allem der Alfredo in der Traviata hatte es uns angetan.
Wir hatten vieles miteinander geteilt, obwohl wir uns in Deinen Rektorsjahren seltener begegnen konnten. In den letzten Jahren, als Du zu zweifeln und auch zu leiden begonnen hast, war es schwierig, Dir zu helfen.
Du hast mir mit Deiner Laudatio anlässlich meines Geburtstages im Juni ein Zeichen der Freundschaft gegeben, das mich überwältigte. Erinnerst Du Dich noch an die Stelle in den Confessiones des Augustinus, wo der Tod des Freundes nicht als das Sterben eines Menschen, sondern als eine Verletzung der eigenen Identität, des Selbst des Hinterbliebenen beschrieben wird?
Und in einer Deiner letzten Arbeiten, die Du mir gewidmet hattest, hast Du am Beispiel des Amfortas in der Gralslegende das prekäre Problem von Sterbewunsch und Sterbehilfe abgehandelt. Der Wunsch des Gralkönigs sterben zu dürfen, wird nicht erfüllt. Amfortas, anders als sein Großvater Titurel, bleibt am Leben. Parzival bringt nicht den ersehnten oder erwünschten Tod, sondern Heilung und Erlösung.
Mag sein, dass auch der Tod Heilung und Erlösung bedeuten kann. Für uns Verbliebene bleibt er eine Wunde, die sich nur schwer heilen lassen wird.
(chk) Peter Kampits (65) ist Univ.-Prof. für Philosophie und Dekan der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft an der Universität Wien. - Der am vergangenen Samstag im 62. Lebensjahr verstorbene Alfred Ebenbauer war von 1990 bis 1998 Prärektor, Rektor und Prorektor der Universität Wien, dem es stets ein besonderes Anliegen war, interdisziplinär zu arbeiten und einen breiten Dialog zu einer Vielzahl von Themen mit zahlreichen Kollegen zu führen, was sich auch in einer Fülle von wissenschaftlichen Publikationen niederschlug.
Wissenspolitik, Heldendichtung, Erzähltheorie, Judaistik, kulturwissenschaftliche und philosophische Überlegungen - Ebenbauers Interessen reichten weit über sein Fach hinaus, in dem er als Lehrer begeisterte und inspirierte. Die Nachricht von seinem Tod hat nicht nur die Wissenschaftsgemeinde, sondern jeden, der ihn kannte, erschüttert. Peter Kampits spricht hier aber endlich auch offen aus, was so besonders schmerzlich und verstörend ist. Dass Alfred Ebenbauer den Tod selbst gesucht hat.