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Kämpferischer Rationalismus

Von Peter Markl

Wissen

Wer Hans Albert kennt, kann kaum etwas anderes erwartet haben. Aber die Vehemenz der Rede, mit der er sich am 10. Jänner 2007 bei der Universität Graz für das ihm verliehene Ehrendoktorat der Philosophie bedankte, war doch einigermaßen überraschend: da war keine altersweise getönte Resignation zu spüren angesichts des Wiederauflebens religiöser und philosophischer Einstellungen, die er fast 50 Jahre lang bekämpft hat.


Hans Albert ist außerhalb der engeren Fachkreise bekannt geworden, als er 1964 im mittlerweile legendär gewordenen "Positivismusstreit" mit einer fulminanten Replik auf Jürgen Habermas reagierte. Auslöser dieser Auseinandersetzung um die Methoden der Sozialwissenschaften war eine Veranstaltung, die bereits 1961 während der Tübinger Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie stattgefunden hatte: Ralf Dahrendorf hatte damals den Eindruck, dass sich die deutschen Soziologen über ihre Methoden sehr uneins seien, sodass darüber einmal offen diskutiert werden sollte.

Dahrendorf, der an der London School of Economics bei Karl Popper studiert hatte, lud seinen ehemaligen Lehrer ein, in einem "Impulsreferat" - so würde man das im heutigen Konferenzjargon wahrscheinlich nennen - die Thesen der kritischen Rationalisten vorzustellen, während es Theodor W. Adorno zugedacht war, die Position der "Kritischen Theorie" der Frankfurter Schule zu vertreten. Dort hatte man mit empirischer Sozialforschung wenig im Sinn. Was immer mit den Methoden der Naturwissenschaften erreicht werden kann, stand in Frankfurt von vornherein einmal unter dem Verdacht, "szientistisch" und positivistisch zu sein.

Popper, der von der vorangegangenen binnendeutschen Diskussion kaum etwas wusste, war in seinen Thesen zur "Logik der Sozialwissenschaften" daran gelegen, zu zeigen, dass seine Methodik aus einer Kritik positivistischer Thesen erwachsen war und daher mit Positivismus nichts zu tun hatte. In diesem Punkt stimmte ihm Adorno weitgehend zu, sodass eigentlich kein kontroverses Gegenreferat zustande kam.

Die prinzipielle Gegenposition hat der um eine Generation jüngere Jürgen Habermas erst zwei Jahre später nachgeliefert. Dazu musste er sich allerdings ein Zerrbild des "Positivismus" zusammenbasteln, das er dann in imposant komplizierter und doch vager Sprache demolieren konnte. In seiner damaligen Darstellung erschienen die "Positivisten" als naturwissenschaftsgläubig, waren sich ihrer nicht-naturwissenschaftlichen Vorannahmen nicht bewusst, nur an instrumentellem Wissen interessiert, das unkritisch zur technischen Abstützung der politischen Macht eingesetzt wurde.

Was die "Positivisten" lieferten, sei nicht wirklich rationales Denken, sondern nur "positivistisch halbierter Rationalismus" , über den die Sozialphilosophen der Frankfurter Schule mit ihrer "Kritischen Theorie" längst hinausgekommen seien. In mehr oder minder intelligenter Form wurden solche Thesen eine Zeitlang zum Mantra einer revoltierenden Studentengeneration.

Es war Hans Albert, der in seiner Antwort diese Diskussion weiterführte. Seiner Ansicht nach versuchte Habermas mit unkritischen Methoden einen Mythos in die Welt zu setzen - den Mythos der totalen Vernunft, die versprach, Theorie mit Praxis zu versöhnen, und, um es in der Sprache von Habermas zu sagen - den "Dezionismus" der bloßen Entscheidungen durch dialektische Vernunft aufzuheben, was es möglich machen sollte, "Gesellschaft als geschichtlich gewordene Totalität zu Zwecken einer kritischen Mäeutik politischer Praxis zu begreifen".

(Die damalige Diskussion wurde 1969 in einem Sammelband mit dem Titel "Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie" veröffentlicht, von dem Hans Albert heute meint, dass er im Lauf seiner Entstehungsgeschichte zu einer "literarischen Missgeburt mit einem irreführenden Titel" geworden sei.)

Alberts Ideenkritik

Albert hat in seiner Replik auf Habermas dessen Theorien ideengeschichtlich analysiert: er sah ihren Ursprung in einer (sehr deutschen) Verbindung von Motiven aus dem Neukantianismus, der Phänomenologie und der Hermeneutik, verbunden durch einen Schuss Hegelscher Vorstellungen, die auf verschiedenen Wegen und Umwegen - etwa über marxistische Ideen - eingeflossen waren.

Wahrscheinlich hat es in diesen Jahren niemanden gegeben, der auf eine solche Analyse besser vorbereitet gewesen wäre als Hans Albert. Der Philosoph, der - wie einmal angemerkt wurde - kölnisches Temperament mit Arbeitslust, wissenschaftlicher Askese und großer Sympathie für fundamentale Ketzereien in der Art Giordano Brunos verbindet, hat auf einem ziemlich verschlungenen Weg zu seinem Denken gefunden.

Wie Albert in einer autobiographischen Skizze ausführte - eine ausführliche Autobiographie wird wahrscheinlich in nicht allzu ferner Zeit erscheinen - gab es auf diesem Weg immer wieder Berührungspunkte mit jenen Denktraditionen, denen Habermas entstammt. 1958 aber hat Albert bei den Europäischen Hochschulwochen in Alpbach Karl Popper persönlich kennen gelernt, woraus eine lebenslange Freundschaft entstand.

Karl Poppers Einfluss

Popper und seine Philosophie haben Hans Albert stark beeinflusst. Er hat aber schlüssiges kritisches rationales Denken weit über die Interessensgebiete Poppers hinaus in einer Breite und Klarheit angewandt wie niemand anderer. Er hat damit in den letzten 40 Jahren die Philosophie im deutschen Sprachraum entscheidend mitgeprägt.

Man ist versucht, Alberts thematisch weit gestreute Arbeiten in der Tradition John Lockes zu sehen, der die Funktion seiner Philosophie in einer bescheidenen und zugleich wichtigen Rolle sah: Sein "Ehrgeiz" , so schrieb Locke 1687 in der Einleitung zu seinem großen Essay über "Menschliches Verstehen" ginge nur dahin, "etwas von dem Unrat wegzuräumen, der den Weg zu Wissen schwerer gangbar macht - ein Weg, auf dem die Welt sicher sehr viel weiter gekommen wäre, wenn die Untersuchungen einfallsreicher und unermüdlicher Menschen nicht stark behindert worden wären durch die zwar gelehrte, aber frivole Verwendung von grobschlächtigen, affektierten oder dummen Begriffen, die man in die Wissenschaften eingeführt hat".Als die Universität Graz Albert nun das Ehrendoktorat der Philosophie verlieh, wollte der mit seinem Festvortrag zur Tradition der Ideologiekritik beitragen, die sein Freund Ernst Topitsch an dieser Universität geprägt hat. Er sprach also über ein erneut aktuell und politisch brisant gewordenes Thema: die Rückkehr religiös inspirierter Vorstellungen in die politische Arena, wie sie vor allem durch den Einfluss fundamentalistischer evangelikaler Gruppen auf die Politik der USA und die weitreichende Macht muslimischer Bewegungen weltweite Folgen gezeitigt hat.

Albert gab seinem Vortrag den provokanten Titel "Philosophischer Gottesdienst. Über Beschränkungen des Vernunftgebrauchs im Dienste des Glaubens". Er ging davon aus, dass die Religionskritik der Aufklärung nicht so erfolgreich gewesen sei, wie es sich ihre Anhänger gewünscht hätten. Die jetzt auftretenden Fundamentalismen zielten darauf ab, die soziale Ordnung wieder einer "religiös bestimmten Weltbildkontrolle" zu unterwerfen. Dazu wäre es natürlich hilfreich, wenn die nicht fundamentalistischen Normalbürger überzeugt wären, dass ihr Glaube mit dem wissenschaftlichen Weltbild problemlos vereinbar sei. Albert aber merkt dazu an, dass diese Überzeugung "weder die Ansprüche des religiösen Glaubens noch die Ergebnisse der Wissenschaft ernst nimmt".

Keine Kompromisse

Albert ist gegen faule Friedensschlüsse. Er rekapituliert die negative Bilanz solcher Bemühungen im Werk so verschiedener Theologen wie Rudolf Bultmann, Karl Barth und Hans Küng, geht ausführlicher auf die Theologie von Papst Benedikt XVI. ein und konstatiert dann, dass Jürgen Habermas in der letzten Zeit eine Sicht propagiert, welche in solchen Fragen für einen billigen Waffenstillstand plädiert.

Wie Habermas dabei vorgeht, zeigt sich einmal mehr in einem Aufsatz, der am 10. Februar 2007 in der "Neuen Zürcher Zeitung" erschienen ist. Dort wird zunächst erklärt: "Wir dürfen uns um die Alternative zwischen anthropozentrischer Blickrichtung und dem Blick aus der Ferne des theo- oder kosmozentrischen Denkens nicht herumdrücken."

Danach aber widerspricht Habermas seiner eigenen Forderung und ruft zum Kompromiss zwischen Religion und Wissenschaft auf: "Die religiöse Seite muss die Autorität der natürlichen Vernunft, also die fehlbaren Ergebnisse der institutionalisierten Wissenschaften und die Grundsätze eines universalistischen Egalitarismus in Recht und Moral anerkennen. Umgekehrt darf sich die säkulare Vernunft nicht zur Richterin über Glaubenswahrheiten aufwerfen, auch wenn sie im Ergebnis nur das, was sie in ihre eigene, im Prinzip allgemein zugänglichen Diskurse übersetzen kann, als vernünftig akzeptiert."

Was soll man mit derartig widersprüchlichen Aussagen anfangen? Im Positivismusstreit hatte sich Jürgen Habermas noch gegen einen "positivistisch" halbierten Rationalismus gewandt. Doch das ist lange her: In seiner jetzigen defaitistischen Stimmung scheint ihm ein religiös zurechtgestutzter Rationalimus offenbar sympathischer zu sein.

Literatur:Hans Alberts Vortrag hat erregte Diskussionen ausgelöst. Der Theologe Reinhold Esterbauer hat darauf mit einem Kommentar reagiert, auf den Albert mit einer Replik antwortete. Die Universität hat die Diskussion im Internet zugänglich gemacht:

Hans Albert: Philosophischer Gottesdienst. Über Beschränkungen des Vernunftgebrauchs im Dienste des Glaubens.

www.uni-graz.at/newswww_070207rede.pdf

Reinhold Esterbauer: Die offene Theologie und ihre Feinde

www.theol.uni-graz.at/cms/dokumente/10006059/f596b6d/Albert_Kommentar.pdf

Hans Albert: Missverständnissse eines offenen Theologen. Zu Reinhold Esterbauers Kritik an meinen Auffassungen.

www.uni-graz.at/newswww_070207replik.pdf

Jürgen Habermas: Ein Bewusstsein von dem, was fehlt. Über Glauben und Wissen und den Defaitismus der modernen Vernunft. "Neue Zürcher Zeitung" vom 10. Februar 2007.

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