Zum Hauptinhalt springen

In der Werkstatt der Atome

Von Eva Stanzl

Wissen
Die Welt ist nicht, wie sie scheint: Stahlskulptur "Quantum Man" (2006) des deutschen Künstlers Julian Voss-Andreae. Der ehemaligeDiplomand des Quantenphysikers Anton Zeilinger wechselte zur Kunst.

Im Atominstitut Wien besteht Materie aus Wellen und verwandeln sich Diamanten in Chips.


Wien. Vor dem Fenster steht ein rotes Sofa, auf einer Anrichte die Kaffeemaschine. Vor den Augen erklären schwarz gekritzelte Diagramme auf zwei weißen Tafeln die Welt. Oder? "Was sehen wir auf den Tafeln?", fragt die Besucherin in der Kaffee-Ecke des im grünen Prater gelegenen Atominstituts der Technischen Universität (TU) Wien. Thorsten Schumm schenkt ihr ein witzig-amüsiertes Lächeln: "Wie lange haben Sie denn Zeit?" Sie blickt offenbar neugierig genug und der Professor für Quantenmetrologie setzt an: "Es ist der Versuch eines Experiments, mit dem man die physikalischen Eigenschaften von zwei Atomen auf zwei verschiedene Orte verteilt, ohne dass ihre Materie an zwei Orten ist."

Die Erklärung erweckt durchaus Fantasien. Anekdoten, wonach Forscher bahnbrechende Ideen beim Kaffeeautomaten im Gespräch mit Kollegen zeitigen, gewinnen plötzlich an Substanz. Zeigen die Diagramme eine mögliche Vorstufe zum Beamen? Schumm, Träger eines European Research Grant für talentierte Nachwuchsforscher, drückt es etwas anders aus: "Beamen" wolle man weniger die Materie selbst als deren Quantenzustand. Das Experiment beziehe sich auf einzelne Atome, die sich im Quantenzustand anders verhalten als komplexe Massen aus tausenden Teilchen, denn Atome hätten nur wenige Quanten-Zustände, die leicht zu kontrollieren seien - was den Versuch erst möglich mache. So weit, so komplex - und ein Atom ist also nicht komplex.

Quanten sind ein flüchtiger Zustand der Materie

"Große Moleküle und komplexere Massen können viel mehr Quanten-Zustände einnehmen. Mit der Komplexität der Masse steigt die Schwierigkeit, ein kontrolliertes Experiment durchzuführen, exponentiell derart, dass sie bei Menschen nicht mehr fassbar wäre", erklärt Hannes-Jörg Schmiedmayer, Vorstand des Atominstituts. Schon allein deswegen hätten die Diagramme auf der Tafel mit der Teleportation, also dem Transport einer Person oder eines Gegenstandes von einem Ort zum anderen, ohne dass das Objekt physisch den dazwischen liegenden Raum durchquert, nichts zu tun. Viel zu schwierig wäre es, zu messen, was dabei passiert. Noch.

Johannes Majer von der Abteilung für Atomphysik und Quantenoptik stößt zu den Kaffeetrinkern. "Um einen Quantenzustand zu behalten und zu messen, muss er sehr isoliert sein vom Rest der Welt. Es ist ein fragiler Zustand für kurze Zeit", wirft er ein. Und: "Die Biologie ist zu sehr an ihre Umwelt gekoppelt, als dass sie einen Quantenzustand gut überleben könnte. Menschen tauschen dauernd Millionen von Teilen mit der Umgebung aus." Mit jedem Atemzug gehen Millionen von Sauerstoff- und Stickstoff-Atomen in die Lunge und wieder hinaus. Allerdings, räumt Majer ein, "könnte man quantenmechanische Systeme vielleicht auch größer machen. Immerhin haben wir früher nur winzige Elektronen zu Quanten gemacht, heute sind es Atome." Wo liegen die Grenzen?

Die Tafel-Diagramme drehen sie sich um Albert Einsteins spukhafte Fernwirkung und die Quantenverschränkung. Demnach können zwei oder mehr verschränkte Teilchen nicht als einzelne Teilchen beschrieben werden, sondern nur das Gesamtsystem als solches. Jedoch lassen sich die Abhängigkeiten zwischen den bei einer Messung auftretenden Zuständen der Einzelteilchen angeben.

Dies führt zu Beziehungen zwischen physikalischen Eigenschaften innerhalb von Systemen: Etwa bedeutet ein verschränkter Zustand zweier Photonen, dass die Lichtteilchen zum Zeitpunkt der Messung gemeinsame Eigenschaften haben. Dem Wiener Physiker Anton Zeilinger gelang es, die Eigenschaften zweier verschränkter Photonen, die sich an je einem Ufer der Donau befanden, als ident zu messen. "Wir möchten dasselbe mit Teilchen machen, die Masse haben", sagt Schumm.

"Tiere, Bäume, Planeten, ein Kaffeehäferl: Jedes Objekt ist in der klassischen Welt vollständig beschrieben. Aber zuerst einmal gibt es keinen Grund, warum ein Kaffeehäferl nicht einen quantenmechanischen Zustand einnehmen könnte", sagt Schmiedmayer.

Das Gesetz der Welle

im Glastisch

Die Physik unterscheidet die mikroskopische Betrachtung auf der Ebene von Teilchen, bei der Quanteneffekte berücksichtigt werden, von der Sichtweise gemäß dem Gesetz der großen Zahl: Makroskopisch mag ein Gas homogen erscheinen, mikroskopisch besteht es aber aus Molekülen mit viel leerem Raum dazwischen.

Der Erfolg der Quantenmechanik liegt in der Beschreibung der Gesetzmäßigkeiten von Materie jenseits der klassischen Physik. Ihre Grundlagen wurden 1925 bis 1935 von Werner Heisenberg und Erwin Schrödinger beschrieben.

"Die Quantenmechanik läuft gewissermaßen gegen die Intuition: Jeder Gegenstand, auch dieser Tisch, enthält unter seiner soliden Oberfläche quantenphysikalische Gesetze ohne Quantenphysik keine stabile Materie, und auch kein Tisch", sagt Schmiedmayer und klopft auf dessen Glasplatte. Lauter kleine, unbewegliche Glas-Atome? Nichts ist, wie es scheint. Jüngst konnten die TU-Physiker beweisen, dass auch Materie einer Wellenbewegung folgt. So viel also zu unserer Tisch-Welle.

Da für Physiker nur zählt, was sie beobachten können, stehen im Atominstitut jede Menge Geräte von eigentümlicher Ästhetik, die die rührigen Atome einfangen, messen und sichtbar machen. Hinter einer schweren Türe sitzen Jean-Francois Scharf und Tarik Berrada und bewachen ihr Experiment. Was der Laserstrahl für Licht ist, ist das Bose-Einstein-Kondensat für Materie: In beiden Zuständen fließen Teilchen geordnet, wodurch sie technisch nutzbar werden. Und während in einem gewöhnlichen Atom-Gas alle Teilchen unterschiedliche Geschwindigkeiten haben, wechseln sie knapp über dem absoluten Nullpunkt (minus 273,15 Grad Celsius) in einen besonderen Zustand: Sie rücken so dicht zusammen, dass sie sich überlagern.

Das Ergebnis ist ein Bose-Einstein-Kondensat (BEC). Darin haben fast alle Teilchen denselben Quanten-Zustand mit der geringstmöglichen (null) Energie und schwingen im Gleichklang in einer einzigen Quantenwelle. Doch im Unterschied zu den Lichtwellen eines Lasers tanzen bei Materie-Wellen stets ein paar Atome aus der Reihe. Die Forscher wollen verstehen, wie, wann und warum sie das tun. Im Versuchsraum verfolgt eine hochsensible Kamera unter Infrarot-Licht die ultrakalten Atome im Vakuum, deren Impulse auf den Computer im Nebenraum übertragen werden. Auf dem Bildschirm ist eine "Partitur der atomaren Bewegungen" zu sehen, erklärt Scharf. Jedes Experiment dauert 30 Sekunden und "wir messen dauernd". Alle 30 Sekunden ändert sich auch das Computerbild: "Die Konstanten von Mal zu Mal zeigen uns die Eigenschaften der Materie an."

Eine Tür weiter stehen Johannes Majer und seine Forschergruppe vor einem trichterförmigen Kunstwerk aus Stahl- und Kupfer-Teilen. Das Gerät kühlt Atome auf 15 Milligrad über dem absoluten Nullpunkt. Ihr Zustand wird bei dieser Temperatur in die Farbzentren von Diamanten eingespeichert. Freilich sei man von Diamanten-Speicherchips für Quantencomputer mit besonders hoher Rechner-Kapazität weit entfernt. "Bisher lässt sich der Quantenzustand der Atome nur für eine Mikrosekunde speichern", erklärt der Schweizer Physiker, der von der Universität Yale nach Wien geholt wurde: "Wir sind so weit wie der Flugzeugbau vor der Erfindung des Motorflugzeugs, das auf den Benzinmotor warten musste, um abzuheben."

Das "Diamantenlager" im Physiklabor

Majer öffnet die Schranktür zu seinem "Diamantenlager". Er beschwichtigt: "Nur natürlich gewachsene Diamanten sind teuer. Hier lagern neun Quadratmillimeter große Industriediamanten à 20 Euro." Der Physiker forscht an supraleitenden Quantenschaltkreisen, die Strom ohne Widerstand und Informationsverlust leiten. Der Diamant wäre der Speicher, die Schaltkreise das Datenverarbeitungszentrum. Vorausgesetzt, Majers Schlüsseltechnologie bringt den Quantencomputer zum Laufen.