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Außerirdische im Museum

Von Christian Pinter

Wissen

Der Meteoritensaal des Naturhistorischen Museums in Wien, eine der weltweit größten Sammlungen, soll sich bald in neuem Glanz zeigen.


"Denn es sind kostbare Steine, seltenere Schätze als die Juwelen der reichsten Fürsten" - so schwärmte ein 1906 erschienenes Astronomiebuch von den Meteoriten. Bis vor kurzem ließen sich nirgendwo auf der Welt so viele davon blicken wie im berühmten Meteoritensaal des Naturhistorischen Museums in Wien (NHM): Hier sah man "Außerirdische" von mehr als tausend Fundorten - und selbst die stellten nur ein Bruchteil der 7000 inventarisierten Meteorite dar. Dennoch führten die auch historisch bedeutsamen Schaustücke ein Schattendasein: Nach all den farbenprächtigen Mineralien und Edelsteinen waren die Augen der Besucher verwöhnt. Die meist grauen oder braunen Stücke im fünften und letzten Saal der mineralogischen Abteilung bewegten nur wenige Menschen zum Verweilen. Die systematische Anordnung nach Klassen und Unterklassen befriedigte Fachleute - die Fantasie der Tagesgäste regte sie nicht an. Erklärungen blieben rar. Derzeit ist der historische Meteoritensaal fast leergeräumt, seine Schätze in Kisten verpackt.

Der Barringer-Krater in Arizona: Hier schlug vor etwa 50.000 Jahren ein Meteorit ein.
© © Bryan Allen/CORBIS / Bryan Allen

Zauberflöte

Wien steht an der Wiege der Meteoritenforschung - zunächst unbeabsichtigt. Kaiser Franz Stephan hat 1748 eine reichhaltige Florentiner Mineraliensammlung erstanden. Der Aufklärer Ignaz von Born, später Vorbild für den "Sarastro" in Mozarts "Zauberflöte", macht Inventur im kaiserlichen Naturalienkabinett. Das Fach mit der Aufschrift "Steine, die vom Himmel gefallen" belustigt ihn ebenso wie den Sammlungsleiter Andreas Stütz: Auch er hält die einschlägigen Berichte "leichtgläubiger" Bewohner Tabors oder Eichstädts für Märchen. Ungebildete Leute haben ja schon allerhand vom Himmel stürzen sehen - auch Blut, Menschenhaar, Milch, Fleisch, Wolle oder Geld.

1751 schickt man ein 40 Kilogramm schweres Eisenstück nach Wien, das unter Knallen und Krachen im kroatischen Hraschina in die Erde gefahren sein soll. Der Agramer Bischof fügt ein Protokoll mit den beeideten Aussagen von sieben Augenzeugen bei. Stütz ist skeptisch, glaubt bestenfalls an einen Blitzschlag. Dennoch wirft er das Exponat nicht weg: Er beschreibt 1790 vielmehr vier der fragwürdigen Objekte in einem Aufsatz und fügt das bischöfliche Protokoll bei. Der juristisch gebildete Ernst Florens Chladni erkennt dessen Bedeutung. Der Wittenberger nützt seine Vortragsreisen, um Bibliotheken nach Berichten über Feuerkugeln, himmlische Steine und rätselhafte Eisenfunde zu durchforsten. Er trennt Plausibles von allzu Fantastischem und findet Gemeinsamkeiten, was Fallumstände und Aussehen der Exemplare anlangt.

Der Deutsche selbst hat noch kein einziges gesehen. Umso mehr baut er auf die Beschreibungen von Stütz. Chladnis 1794 erscheinende Schrift läutet einen Meinungsumschwung in Sachen "fallender Steine" ein. Für sein zweites Werk will er selbst möglichst viele Meteorite studieren. Dazu reist Chladni 1819 nach Wien, dessen Sammlung dank Carl von Schreibers von fünf auf 36 Meteorite angewachsen ist. 1820 erwähnt Schreibers die Beobachtung seines Freunds Alois von Widmanstätten: In einem angeätzten Plättchen des Hraschina-Eisens tauchte ein bizarres, völlig rätselhaftes Spiel einander kreuzender Lamellen auf - die "Widmanstätten-Struktur".

Als 1848 kaiserliche Truppen das aufständische Wien beschießen und dabei den Dachstuhl der Hofburg in Brand stecken, gelingt es Kurator Paul Partsch, die Meteoriten zu retten. Zuvor hat er eine Aufstellung mit 258 Exemplaren veröffentlicht und begonnen, sie unterschiedlichen Klassen zuzuteilen. Ähnliches macht man in Paris, Berlin und London. Die Sammlungen treten teils in Konkurrenz zueinander, denn mittlerweile dient der Besitz von Meteoriten aus aller Herren Länder auch als Machtdemonstration.

Geheimnisvolle Besucher (von links): Eine Chondre im Polarisationsmikroskop - Steinmeteorit NWA778. Der Achondrit NWA 1664 stammt von der Vesta. Irdischer Tektit aus Guangdong, China, im Durchlicht - mit einer Luftblase aus der Hochatmosphäre.
© © Harald Stehlik, Christian Pinter

Die wissenschaftlichen Systematiken werden immer feiner. Kurator Gustav Tschermak studiert dafür in Wien extrem dünne Schliffe und bannt deren Mikroskopanblick ab 1876 auch auf Fotoplatten. 1889 übersiedeln die kaiserlichen Sammlungen ins neue Museumsgebäude am Ring mit seinen 39 weiträumigen Schausälen. Aristides Brezina richtet hier auch Laboratorien ein. Doch während zu Kaisers Zeiten Meteorite aus der ganzen Monarchie nach Wien gelangten, ist nach dem Ersten Weltkrieg Schluss damit. Die Sammlung wächst erst ab den Siebzigerjahren wieder, mit Unterstützung des Vereins "Freunde des Naturhistorischen Museums".

Das Erbe des Chemikers und Gönners Oskar Ermann ermöglicht 2012 sogar den Ankauf des spektakulären, 909 Gramm schweren Meteoriten Tissint. Das faustgroße Prachtstück aus Marokko hat 400.000 Euro gekostet. Es stammt vom Mars!

Zeitmaschinen

Viele Forschergenerationen haben die Schätze analysiert, die in der größten und ältesten Schausammlung der Welt lagern. Heute weiß man: Meteorite sind das Älteste, was man in Händen halten kann. Irdisches Gestein wäre mindestens 500 Millionen Jahre jünger, obwohl sich die Erde einst aus dem gleichen Material formte. Deshalb lässt uns nur die meteoritische Urmaterie in die Krippe des Sonnensystems zurückblicken: Wie diese steinernen Zeitzeugen verraten, wurde es vor 4,57 Milliarden Jahren geboren, aus einer ausgedehnten Gas- und Staubwolke.

In den meisten Steinmeteoriten bestechen millimeterkleine Kügelchen - die Chondren; sie erstarrten, nachdem ein Hitzeblitz umstrittenen Ursprungs sehr junge Staubkörner im All nochmals kurz schmelzen ließ. Ihretwegen taufte man die größte Meteoritengruppe "Chondrite": Sie müssen von den kleinsten Himmelskörpern stammen. In den dunklen kohligen Chondriten, einer an Kohlenstoff und Wasser reichen Untervariante, findet man sogar Aminosäuren - was Spekulationen über die Herkunft des irdischen Lebens anfachte.

Gürtelmilieu. Vor seiner Haustüre vereitelte der Gasriese Jupiter die Bildung eines weiteren Planeten. Dort blieben hunderttausende Kleinplaneten ("Asteroide") mit Durchmessern zwischen einem und knapp 1000 Kilometer zurück. Die kleineren erwärmten sich beim Zerfall radioaktiver Isotope auf ein paar hundert Grad Celsius und gingen so nur eines Teils ihrer Chondren verlustig. Mächtigere Welten ab wenigen hundert Kilometern Radius schmolzen hingegen völlig auf, was sämtliche Chondren zerstörte. Diese Himmelskörper erhielten einen differenzierten Aufbau mit einem Nickeleisenkern und einem steinernen, chondrenlosen Mantel.

Im Kleinplanetengürtel geschah dies zum Beispiel mit der Vesta; weiter innen mit den Planeten Mars, Erde, Venus und Merkur sowie mit dem Erdmond. Gewaltige Einschläge auf diesen Welten katapultierten Oberflächenmaterial ins All. Deshalb besitzen wir auch chondrenlose Meteorite, von Brezina einst "Achondrite" getauft: von der Vesta, vom Mars, vom Mond sowie von mehreren bislang nicht identifizierten Kleinplaneten. Solche Bodenproben ließen sich sonst bestenfalls mit kostspieligen und schwierigen Weltraummissionen erbeuten.

Zurück ins Asteroidenreich: Heftige Zusammenstöße zwischen Kleinplaneten zersplitterten die chondrenreiche Urmaterie kleinerer Welten, aber auch die bereits achondritischen Steinmäntel und sogar die Eisenkerne mächtigerer Unfallpartner: Früher verwendeten Menschen Eisenmeteorite, um Messer, Schaber, Äxte oder Hämmer herzustellen. Die meisten zeigen die Widmanstättensche Struktur.

Höllenritt

Gelangen die Bruchstücke kosmischer Kollisionen ins innere Sonnensystem, steht ihnen mitunter die Erde im Weg. Die Sendboten tauchen dann mit 43.000 km/h und mehr in die Lufthülle und erfahren darin eine radikale Abbremsung. 100 Kilometer über Grund hüllt sie ein leuchtender Ball erhitzter Luft ein, formt eine weithin sichtbare Feuerkugel. Das Antlitz der Eindringlinge schmilzt in dieser Gluthölle, Schmelztröpfchen zeichnen eine Rauchspur ans Firmament. Etliche Geschoße zerplatzen: Dann spritzen Lichtfunken weg, begleitet von gewehrartigem Knattern. Schließlich gehen die Außerirdischen, nun in eine dunkle Schmelzkruste gekleidet, in den freien Fall über; sie schlagen mit rund 160 km/h am Boden auf.

Nur die extrem seltenen, wirklich riesigen Kaliber werden von der Lufthülle nicht effizient genug abgebremst. Sie nehmen ihre kosmische Geschwindigkeit bis zum Erdboden mit. Die ungeheure Bewegungsenergie entlädt sich am Einschlagspunkt, sprengt einen Krater in die Landschaft. Er verwittert in geologischen Zeiträumen. Dann künden nur noch bestimmte Veränderungen im irdischen Gestein vom einstigen Einschlag, dem Impakt. Der hat den Erdboden gleichsam durchgerührt, Material aus unterschiedlichen Tiefen in sogenannten "Impaktbrekzien" vereint. Extreme Hitze ließ Materie schmelzen und zu Impaktgläsern erstarren.

Manchmal jagte ein Teil der glühenden irdischen Schmelze dutzende Kilometer hoch und stürzte anderswo als Glasregen herab. Der Wiener Franz Eduard Suess taufte solche Objekte einst "Tektite" (griech. "tektos", "geschmolzen"): Jene aus Texas und Georgia entstanden vor 35 Millionen Jahren mit dem Chesapeake-Bay-Krater. Der Österreicher Christian Köberl half 1996 mit, diese längst von Sedimenten zugedeckte, 85 Kilomter weite Narbe als größten Einschlagskrater der USA zu identifizieren. Er leitete auch weitere Bohrungen - etwa am Bosumtwi-Krater in Ghana, von dem die Tektite der Elfenbeinküste stammen.

Köberl zählt zu den erfahrensten Meteoriten- und Impaktforschern. Seit zwei Jahren leitet er das NHM. Er weiß, welche Gratwanderung jede Modernisierung an einem derart historischen Ort darstellt. Dennoch will er Informationen für die Besucher aufbereiten und Blickfänge setzen. Im Meteoritensaal werden die altehrwürdigen Pultvitrinen mit ihrer systematischen Schausammlung durch Monitore ergänzt: Die vermitteln Wissenswertes zur Meteoritenkunde und zur Wiener Sammlung. An den Wänden erklären Medienstationen die Entstehung des Sonnensystems oder der Impaktkrater. Der Marsmeteorit Tissint erhält einen Ehrenplatz. Wie gut die Neugestaltung gelingt, können Besucher ab dem 13. November überprüfen.

Internet: www.himmelszelt.atArtikel erschienen am 10. August 2012 in: "Wiener Zeitung", Beilage "Wiener Journal", S.10-13