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Die Maschine, die im Menschen wohnt

Von Eva Stanzl

Wissen

Roboter übernehmen in der Medizin immer mehr lebensrettende Aufgaben. | Einen künstlichen Menschen zu schaffen, ist derzeit jedoch Utopie. | Wien. Ray K. ist eins mit der Technik. Denn winzige Chips ersetzen verlorene Funktionen im Sprachzentrum seines Gehirns. Seit seinem Schlaganfall ermöglichen sie ihm das Sprechen. Andere der kleinen Helferlein halten Herz und Kreislauf des 95-jährigen US-Amerikaners auf Trab, der im Sommer beim Marathon in seiner Heimatstadt als Neunter ins Ziel kam. Sollte er die lange Strecke nicht mehr laufen können, werden ihm Ärzte eine weiteren Dosis Mini-Computer injizieren.


Was wie eine Szene aus einem Science Fiction-Film klingt, könnte bald der Alltag sein. Zumindest, wenn es nach dem US-Philosophen und Zukunftsforscher Ray Kurzweil geht. Seinen Berechnungen zufolge könnte der Mensch bereits in 20 Jahren ein hybrider Organismus zwischen menschlichen Organen und für das freie Auge unsichtbaren Maschinen sein. "Wir werden zu einem Punkt kommen, wo es für alle Körperfunktionen ein technisches Back-Up gibt. Ich habe die Hoffnung, dass schon heute Menschen auf der Erde sind, die ewig leben werden", sagte er kürzlich am Rande eines Vortrags in Wien.

Signale der Hirnschrittmacher

Auf manchen Gebieten hat Kurzweils Verschmelzung von Mensch und Maschine bereits begonnen. Schon heute können Menschen Kraft ihrer Gedanken Prothesen steuern. Oder mit Maschinen Körperfunktionen wiederherstellen. Neuro-Prothesen rekonstruieren die Signalübertragung zwischen geschädigten Nervenleitungen, sodass taube Menschen wieder Sprache und Geräusche wahrnehmen können. Sogenannte Hirnschrittmacher hemmen das unkontrollierte Zittern der Nervenzellen bei Parkinson, bei Tourette-Syndrom unterbinden sie das unkontrollierbare Fluchen. Roboterbeine ermöglichen Querschnitt-Gelähmten, wieder zu gehen.

Gemessen an Kurzweils eleganter Vision, in der hunderte elektronische Helferlein den Körper bewohnen und allerorts dafür sorgen, dass alles im Lot ist, wirken Roboterbeine und sogar der Hirnschrittmacher möglicherweise noch etwas plump. Dennoch stehen sie für die Richtung, die die Verschmelzung von Mensch und Maschine einschlägt: Der Mensch delegiert Fähigkeiten, die er nicht besitzt oder die er verloren hat, an Maschinen. Mit ihrer Hilfe gewinnt er Fähigkeiten dazu oder erwirbt sie zurück.

Mechanischer Flötenspieler

Diese ergänzende Verwendung von Technik ist relativ neu. Denn der Mensch strebte lange nach dem Ideal, Maschinen als sein absolutes Ebenbild zu konstruieren, also einen künstlichen Menschen zu schaffen. Schon in der griechischen Mythologie baute der Schmiedegott Hephaistos menschenähnliche Maschinenwesen. 1495 skizzierte Leonardo da Vinci einen Automaten, der wie ein Soldat in Rüstung aussieht. 1738 baute Jacques de Vaucanson einen mechanischen Flötenspieler.

Der Ursprung des Begriffs Roboter liegt im slawischen Wort robota, das mit Arbeit, Fronarbeit oder auch Zwangsarbeit übersetzt werden kann. Den Ausdruck prägte 1921 Karel Capek, ein tschechischer Schriftsteller, dessen Theaterstück "R.U.R." ("Rossums Universal Robots") von in Tanks gezüchteten, menschenähnlichen künstlichen Arbeiter handelt.

Der Film griff diese Visionen vom künstlichen Menschen bereitwillig auf. Und hat seither viele der (Horror-)Bilder von Robotern geprägt. Bereits 1927 schuf Fritz Lang in seinem Film "Metropolis" den ersten Roboter der Filmgeschichte. Es war der Beginn einer Leinwand-Karriere, die den humanoiden Roboter bis ganz nach oben führte. Während in den Star-Wars-Filmen "R2D2" und "C3PO" noch komödiantische Rollen spielen, schafft es in der Fernsehserie "Star Trek - The Next Generation" der Androide Data bis zum Führungsoffizier. Und in den letzten "Terminator"-Filmen rettet ein Cyborg als Verschmelzung von Roboter-Technologie mit der menschlichen Anatomie sogar die Menschheit.

In der Realität sind Roboter - außerhalb der Medizin - noch lange nicht in der Lage, die Menschheit zu retten. Vielmehr können sie gerade einmal ein paar Handgriffe erledigen.

Künstliche Intelligenz

Zwar gehen manche Wissenschafter davon aus, dass die Konstruktion eines funktionellen humanoiden Roboters die Grundlage für die Erschaffung einer menschenähnlichen, künstlichen Intelligenz ist. Ihnen zufolge kann Intelligenz aber nicht einfach programmiert werden, sondern ist das Resultat eines Lernprozesses. Solche Roboter müssten aktiv am sozialen Leben teilnehmen und durch Beobachtung und Kommunikation lernen. Grundlage dafür ist zumindest anfänglich eine Eltern-Kind-ähnliche Beziehung.

Kostenintensive, kommerziell und staatliche geförderte Humanoide-Roboter-Projekte beweisen eine hohe Erwartungshaltung an die künftige Wirtschaftlichkeit solcher Systeme. Dem Menschen soll ein multifunktionaler Helfer zur Seite stehen, der ihm Arbeit und Zeit erspart oder sogar für Unterhaltung sorgt. In Japan etwa wird intensiv an künstlichen Menschen gearbeitet, die einer wachsenden Anzahl an alleinstehenden Pensionisten als Gefährten dienen sollen. Für die Technik-freundlichen Japaner ist das offenbar keine Horrorvision.

Androide in ihrer derzeitigen Form können gerade einmal lächeln und die Braue hochziehen. Einen interessanten Gesprächspartner für normal intelligente Pensionisten geben sie aber noch lange nicht ab. Andere Roboter, wie der weiße Blechgefährte "Asimo" von Honda, können zwar einprogrammierte Befehle sprachlich erkennen und sie anhand von räumlichen Vorgaben ausführen - gehen, Treppen steigen, Tablettwagen schieben, transportieren, übergeben, servieren. Aber lernen können sie nichts.

Roboter in der Blutbahn

Hingegen kann der kürzlich an der TU Wien vorgestellte Butler-Roboter "James" sich sehr wohl mit neuen räumlichen Gegebenheiten und neuen Aufgaben vertraut machen. Allerdings sieht er eher aus wie ein rollender Servierwagen denn wie ein Mensch.

Was die Frage aufwirft, ob Roboter tatsächlich jemals wie Menschen aussehen müssen. Und ob es nicht reicht, auf die spezifischen Fähigkeiten zu setzen, die Roboter, Maschinen und Computer nützlich machen. Die Chirurgie setzt etwa bereits auf Operations-Roboter - dabei führen Systeme winzige Bewegungen aus, die für Menschenhände unmöglich sind. Damit kann der Operateur, der die Roboter steuert, wesentlich exakter arbeiten. Weiters arbeitet die Forschung an Robotern, die nur einen viertel Millimeter groß sind: Sie sollen in die Blutbahn gespritzt werden, um zu untersuchen, was bisher nur mit einer Kathetern oder Computertomografie-Bildern möglich war - etwa ob eine Region des Herzmuskels schlecht durchblutet ist. Nach Ende der Mission soll das Gefährt zur Eintrittsstelle zurückkehren und per Spritze wieder aus dem Körper geholt werden.

Angesichts dieser echten Fortschritte der Medizin scheint der Nachbau eines ganzen Menschen wie Liebhaberei. Denn von derart spektakulären Fähigkeiten sind sie weit entfernt. Schließlich ist es einfacher, einen Menschen zum Lächeln zu bringen. Ob die Horror-Bilder aus den Hollywood-Labors jemals Realität werden - etwas dass Maschinen die Weltherrschaft an sich reißen -, ist im Augenblick unrealistisch. Denn Kurzweil betont: "Das gesamte Internet besitzt heute die Leistung eines einzigen menschlichen Gehirns." Immerhin.