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Bunte Physik der Sterne

Von Christian Pinter

Wissen

Gustav Robert Kirchhoff setzte in der Astronomie neue Standards. Er gilt als der Schöpfer der Astrophysik. Der im ostpreußischen Königsberg geborene Physiker starb vor 125 Jahren in Berlin.


Eigentlich will Gustav Robert Kirchhoff, geboren am 12. März 1824 im damals ostpreußischen Königsberg, ja Mathematik studieren. Doch bald hegt er Zweifel an seinem Talent. Er sattelt um auf Physik. Um den Durchgang des elektrischen Stroms durch eine Ebene zu untersuchen, lötet er zwei Elektroden an den Rand einer 31 cm weiten Kupferscheibe. Dann sucht er Punktepaare auf der Platte, zwischen denen kein Strom fließt. Das Ergebnis veröffentlicht er 1845 in den Annalen der Physik und Chemie. Zwei Sätze des Studenten lassen aufhorchen: Sie beschreiben die Verteilung von Strömen in einem Leitersystem und werden als "Kirchhoffsche Regeln" bekannt.

Kirchhoff-Büste von Bernhard Römer.
© Foto: Pinter

Mit der experimentellen Bestimmung der Induktionskonstante sichert sich Kirchhoff zwei Jahre später den Doktortitel. An der jungen Universität Berlin liest er nun selbst über Elektrizität, Magnetismus und Optik. Dann, an der Hochschule im schlesischen Breslau, beginnt er eine lebenslange Freundschaft mit Robert Wilhelm Bunsen: Der aus Göttingen stammende Chemie-Professor besucht sogar Gustavs Experimentalvorlesungen. 1853 wechselt Bunsen nach Heidelberg, wird dort Dekan der Philosophischen Fakultät. Als die Physikprofessur neu zu vergeben ist, holt er Gustav nach. Kirchhoff reist "mit vielen schönen Hoffnungen" an den Neckar.

Spektralanalyse

In einem Neubau auf dem Grundstück des altehrwürdigen "Hauses zum Riesen" experimentiert Bunsen gemeinsam mit seinen Chemie-Studenten. Heidelberger Leuchtgas, seit 1850 zur Straßenbeleuchtung hergestellt, treibt die berühmten Bunsenbrenner an: Deren Flammen leuchten nur schwach und farblos. Bringt man jedoch Substanzen wie z.B. Kalium oder Natrium ein, treten kräftige Flammenverfärbungen auf.

Zur genaueren Untersuchung des Phänomens schlägt Kirchhoff vor, einen Spektralapparat einzusetzen. Mit einem solchen Gerät hatte schon der Münchener Optiker Joseph Fraunhofer die Brechkraft von Glasrohlingen überprüft: Zwei kleine Fernrohre, zwei Messingschneiden und ein Prisma verwandeln weiß anmutendes Licht in ein helles Band aus Regenbogenfarben. Darin hatte Fraunhofer im Jahr 1814 feine dunkle Linien entdeckt. Niemand kennt deren Ursache.

Bunsen und Kirchhoff dunkeln das Labor ab und richten das Spektralgerät auf den Brenner. Gibt man nun chemische Substanzen wie Strontium oder Barium in die Flamme, leuchten im Okular einzelne helle, unterschiedlich gefärbte Linien oder Liniengruppen auf. Schließlich erkennt Kirchhoff diese so leicht wieder wie die Sternbilder über dem nächtlichen Heidelberg. Sie erweisen sich als typisch für die eingebrachten chemischen Elemente.

Was für eine Entdeckung! Bisher brauchte man Reaktionen mit anderen Stoffen, den sogenannten "Reagenzien", um chemische Substanzen sicher nachweisen zu können. Jetzt genügt ein Blick in den Spektralapparat. Diese 1860 erstmals publizierte Spektralanalyse entlarvt sogar "sparsam in der Natur verbreitete Stoffe"; Millionstel Gramm genügen. Selbst in der Asche von Bunsens Zigarre weisen die beiden Forscher Natrium, Kalium, Calcium oder Lithium nach.

Astronomen können keine Reagenzien über ihre Himmelskörper träufeln. Aussagen über die Zusammensetzung der Gestirne sind damals noch Spekulation. Doch nun kann Kirchhoff aus den dunklen Linien im Sonnenspek-trum die dort vorkommenden chemischen Elemente ermitteln. Wie er 1861 festhält, müssen die Linien in einer solaren Atmosphäre entstehen, die einen offensichtlich heißeren Sonnenball einhüllt; der wiederum strahlt Licht aller Wellenlängen aus.

Dank Kirchhoff - so betont Bunsen - ließe sich die Zusammensetzung der Sonnenatmosphäre jetzt "mit derselben Sicherheit nachweisen" wie jene von irdischen Stoffen. Damit rückt das Tagesgestirn in den Fokus der Himmelskunde. Astronomen fordern sogar die Errichtung einer eigenen Sonnenwarte. Aber auch den Aufbau anderer Gestirne kann man nun untersuchen. In den Observatorien wird das Licht von Planeten, Kometen, Sternen oder kosmischen Nebelgebilden analysiert.

Der Deutsche Karl Friedrich Zöllner freut sich sehr über die neue "Vereinigung der Physik und Chemie mit der Astronomie" und spricht 1865 erstmals von der "Astrophysik". Die Berliner Akademie der Wissenschaften rühmt Kirchhoff ausdrücklich als deren "Schöpfer".

Berufung nach Berlin

Dennoch bleibt dieser zurückhaltend, fast schüchtern. Schüler und Freunde beschreiben ihn als liebenswürdig und höflich, geistreich und humorvoll. Der eigenen Redekunst misstraut er, setzt seine Vorlesungen Satz für Satz auf. Später wird Max Planck die Manuskripte in Druck geben. Unter Kirchhoffs Zuhörern finden sich auch die künftigen Nobelpreisträger Gabriel Lippmann und Heike Kamerlingh Onnes.

Gustav hat Clara Richelot geheiratet, die ihm fünf Kinder schenkt. Mit der Familie wächst der Wohnraum. In Heidelberg bleiben dennoch alle Wege kurz. Dienstwohnung und Labor sind ab 1863 im neuen Friedrichsbau untergebracht, gleich gegenüber vom "Haus zum Riesen".

1866 stürzt der Gelehrte auf der Treppe. Die Fußverletzung heilt nie mehr völlig, zwingt ihn erst in den Rollstuhl und dann auf Krücken. Clara stirbt an Tuberkulose - im Alter von 35 Jahren.

Gedenktafel für Kirchhoff und Bunsen in Heidelberg.
© Foto: Pinter

Später nimmt Gustav die Oberschwester Luise Brömmel zur Frau. Die Leitung des neu entstehenden Astrophysikalischen Instituts in Potsdam lehnt Kirchhoff ab. Er scheut Veränderungen.

Erst 1875 folgt er dem Ruf nach Berlin. Dort pendelt er zwischen Wohnung, Akademie der Wissenschaften und Universität, manchmal auch nach Potsdam. Kirchhoff experimentiert im Labor des Fabrikanten Gustav Hansemann und freundet sich mit dem wohlhabenden Erfinder Werner Siemens an. Auch Bunsen kommt zu Besuch. Luise sehnt sich dennoch zurück ins liebliche Heidelberg.

Ihr Gatte wirkt nun deutlich gealtert. Der kleingewachsene Mann mit dem ergrauten Bart wird von Krankheiten geplagt. Zuerst ist es der Magen, dann die Blase. Fieber und Schwindelanfälle kommen hinzu. Schließlich zwingen ihn Nervenlähmungen endgültig in den Rollstuhl. Kirchhoff stirbt am 17. Oktober 1887, vermutlich an den Folgen eines Gehirntumors.

"Schwarzer Strahler"

1862, während seiner glücklichen Heidelberger Zeit, hatte er das Konzept des "Schwarzen Strahlers" entwickelt. Ein solcher idealisierter Körper reflektiert überhaupt kein Licht. Vielmehr verschluckt er jedwede äußere Strahlung und sendet dann Strahlung aller Wellenlängen aus - entsprechend seiner Temperatur. Auch Sterne lassen sich als "Schwarze Strahler" betrachten, denkt man sich deren Atmosphären weg.

Noch zu Kirchhoffs Lebzeiten finden der Kärntner Slowene Josef Stefan und der Wiener Ludwig Boltzmann heraus: Die gesamte abgestrahlte Energie eines solchen Körpers steigt proportional zur vierten Potenz seiner Temperatur; doppelte Hitze bedeutet 16-fache Strahlung. Ein 20.000° C heißer Stern sendet also pro Quadratmeter seiner Oberfläche tausendmal mehr Strahlung aus als einer mit 3300° Celsius.

Nach Kirchhoffs Tod erkennt der spätere deutsche Nobelpreisträger Wilhelm Wien: Verdoppelt man die Temperatur eines "Schwarzen Körpers", verdoppelt sich auch die Frequenz, bei der die größte Strahlungsleistung abgegeben wird. Im Dunklen verbergen sich Objekte vor unserem Auge, weil dieses Strahlungsmaximum bei Zimmertemperatur im unsichtbaren Infrarot liegt. Erst bei größerer Wärme wandert es langsam in den sichtbaren Bereich. Deshalb glüht Stahl beim Erhitzen rötlich auf.

Selbst der 2500° C warme Leuchtfaden einer Glühbirne gibt die größte Energie noch im Infraroten ab. Nur wenig entfällt auf sichtbares, gelblich anmutendes Licht - daher sind Glühbirnen wenig effizient. Die viel heißere Sonne erscheint dem Auge weiß. Ihr Strahlungsmaximum liegt bereits im Sichtbaren, bei knapp 500 Nanometern: Allein mit Hilfe des "Wienschen Verschiebungsgesetzes" lässt sich daraus ihre Oberflächentemperatur von gut 5500° C ermitteln.

Bei den Roten Riesen (Sterne mit deutlich niedrigerer Oberflächentemperatur) rutscht das Strahlungsmaximum ins Infrarot; bei Sonnen mit größerer Hitze ins Ultraviolett. Daher verraten sich kühlere Sterne durch ein pastellartiges Gelb oder Orange im Sternenweiß, heißere hingegen durch einen Hauch von Blau. So wird das Auge zum Fernthermometer!

Auch Max Planck, Kirchhoffs Nachfolger an der Universität Berlin, wird sich dem "Schwarzen Strahler" widmen: Anno 1900 führen ihn Abweichungen vom Wienschen Verschiebungsgesetz zur Entwicklung der Quantentheorie.

Heute erinnert eine sehenswerte Ausstellung im Heidelberger Kirchhoff-Institut an den berühmten Forscher. Gestalter ist Klaus Hübner, der 2010 die erste umfassende Biografie über den Vater der Astrophysik vorlegte: "Gustav Robert Kirchhoff. Das gewöhnliche Leben eines außergewöhnlichen Mannes" (Verlag Regionalkultur).

Christian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachjournalist in Wien und schreibt seit 1991 über astronomische Themen im "extra". Internet: www.himmelszelt.at