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Religion auf dem Prüfstand

Von Andreas Lorenz-Meyer

Wissen

Sitzt Gott im Gehirn? Von der "Neurotheologie" bis zur Frage, ob Glaube gesünder macht, gibt es jede Menge wissenschaftliche Untersuchungen. Letzte Antworten kann keine davon geben.


Der Neurologe Uffe Schjødt versammelte sehr unterschiedliche Menschen in einem Labor an der Aarhus Universität in Dänemark: 18 fromme Pfingstchristen und 18 nicht-religiöse Menschen. Die Probanden legten sich in einen Magnetresonanztomographen, eine High-Tech-Röhre, die neuronale Prozesse im Gehirn scannt, und lauschten dort Fürbittgebeten. Diese sprachen abwechselnd ein Nichtchrist, ein Christ und ein Christ mit der Gabe der Heilung - zumindest dachten die Probanden das. In Wirklichkeit handelte es sich bei allen drei Betern um normale Christen ohne heilerische Fähigkeiten.

Hinterher untersuchte Schjødt die Aufnahmen aus dem Inneren der Köpfe. Die neuronalen Reaktionen der Gläubigen unterschieden sich voneinander, je nachdem, wem sie gerade zugehört hatten. Sprach der "Nichtchrist", ging es im präfrontalen Cortex, einem Teil des Stirnlappens, der für kritisches Denken zuständig ist, ganz rege zu - ein Zeichen von Skepsis oder Misstrauen. Betete dagegen der "Wunderheiler", war in dem Hirnareal kaum "Betrieb", es schien durch die Stimme der charismatischen Person wie abgeschaltet.

Gibt es ein Gottes-Gen?

Schjødt hatte in einem früheren Versuch schon herausgefunden, dass Gebete einzelne Hirnareale stimulieren, nämlich jene, die sonst soziale Handlungen steuern, also den Austausch von Mensch zu Mensch. Die Gläubigen schienen Gott - neurologisch gesehen - als reale Person wahrzunehmen. Schjødt drückt es so aus: "Zu Gott zu sprechen ist nicht viel anders, als mit einem Freund oder Nachbarn zu sprechen." Allerdings schien der persönliche Umgang mit Gott nur bei den Menschen zu funktionieren, die oft beten. Probanden, die selten dazu kamen, zeigten während des Gebets im Labor keine erhöhten Hirnaktivitäten - für sie war Gott wohl abstrakt geblieben.

Gerald Wolf, Neurobiologe von der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg, warnt vor einer "Überdehnung der Interpretation", wenn es um die neuronalen Prozesse während des Betens geht. Mit modernen bildgebenden Verfahren ließe sich heute viel anstellen: "Da muss nur jemand ganz leicht an einer Stellschraube drehen und schon werden Durchblutungsveränderungen im Hirn hervorgehoben - ein roter Fleck hier, ein grüner da. Das hilft, Forschungsgelder locker zu machen."

Es sei auch unbegründet, von speziellen Hirnaktivitäten zu sprechen, die in religiösen Momenten anspringen - sozusagen von 0 auf 100. Es handele sich bestenfalls um Veränderungen der schon vorhandenen Aktivität, erklärt Wolf. Denn in unserem Gehirn sei immer und überall etwas los, in manchen Phasen des Schlafes sogar mehr als im Wachzustand.

1999 war V.S. Ramachandran von der University of California der Erste, der den Glauben auf neurologischem Wege interpretierte. Er untersuchte das neuronale Gewitter, das Patienten mit Schläfenlappenepilepsie durchmachen. Einige berichteten von Visionen und Erscheinungen. Die Religiösen unter den Testpersonen deuteten dies als göttliche Botschaft. Ramachandran machte daraus ein "Gottesmodul", den angeblichen Schaltkreis für religiöse Erfahrungen, der im Schläfenlappen sitzt.

Mit dem Gottesmodul kam die Suche nach den neuronalen Prozessen, die ablaufen, wenn wir beten, ins Rollen. Neurotheologie heißt dieser Forschungszweig. Wissenschafter erhoffen sich davon spektakuläre Einsichten über unsere Glaubensfähigkeit. Dafür bedienen sie sich zuweilen ungewöhnlicher Methoden.

So soll ein umgebauter Motorradhelm ausreichen, um Menschen an Gott glauben zu lassen. Das jedenfalls behauptete Michael Persinger, Hirnforscher an der Laurentian University in Sudbury, Kanada. Der Helm, den Persinger bei seinen umstrittenen Versuchen einsetzte, war mit Magnetspulen besetzt. Über diese Spulen wurden am Computer erzeugte elektromagnetische Signale gesendet - direkt ins Gehirn der Probanden, genauer in den Schläfenlappen, der schon bei den religiösen Visionen der Epileptiker eine entscheidende Rolle spielte.

Persinger setzte seine Versuchspersonen in einem schalldichten Raum, eine schwarze Brille auf der Nase. Abgeschottet von der Welt, sprachen sie später von einer "Präsenz", die sie plötzlich gefühlt hätten. Von Begegnungen mit Gott war die Rede, aber auch mit dem Teufel. Glauben auf Knopfdruck, durch Stimulierung des Schläfenlappens? Die Probanden, denen Persinger seinen "Gotteshelm" aufsetzte, waren seine eigenen Studenten gewesen - kein Merkmal seriöser Studien. Und es fehlte die Kontrollgruppe, also Probanden, denen ein Placebo gegeben wird.

Der schwedische Psychologe Pehr Granqvist baute diese Doppelblind-Sicherung ein, als er das Helm-Experiment noch einmal durchspielte. Nur bei der Hälfte der Probanden war das Magnetfeld eingeschaltet, die andere Hälfte hatte einfach nur einen Helm auf - ihre Schläfenlappen erreichte also kein einziges elek-tromagnetisches Signal. Und doch erlebten manche dieser Testpersonen ebenfalls einen mystischen Moment. Was ihrer Beeinflussbarkeit geschuldet war: Sie hatten erwartet, religiöse Erfahrungen zu machen - und das Gehirn produzierte diese prompt.

Der Biochemiker Dean Hamer war der Meinung, dass uns der Glaube im Blut liege. VMAT2, ein neuronaler Botenstoff, sei für religiöse Erfahrungen verantwortlich. Eigentlich war es bei dem Test, der ihn darauf brachte, um die Sucht von Rauchern gegangen. Hamer fragte auch nach ihren spirituellen Vorstellungen. Dabei fiel ihm auf, dass viele der religiösen Probanden eine Variante des VMAT2-Gens hatten. An einer ganz bestimmten Stelle wies es Cytosin auf, einen molekularen Baustein. Ist Glaube also genetisch vorbedingt? Hamer gestand zwar, dass ein Gen alleine nicht den Zugang zum Allmächtigen regeln könne. Dennoch hagelte es Kritik an seiner Theorie des "Gottes-Gens", besonders von Theologen.

Andy Newberg, ein Radiologe aus den USA, durchleuchtete die Gehirne von tibetanischen Buddhisten, während sie meditierten. Die Durchblutung des Scheitellappens, dem Hirnareal, das der Orientierung im Raum dient, ging dabei zurück. Newberg schloss daraus, dass der Ausfall des Scheitellappens ein Gefühl der Verschmelzung mit dem Kosmos verursache. Diese ozeanische Entgrenzung - und andere religiöse Erfahrungen - würden demnach von einem einzigen Hirnareal beeinflusst.

Eine These, der Wolf widerspricht: "Die Lokalisation des Glaubens im Gehirn übt zwar einen großen Reiz aus. Die Suche nach einem einzigen Ort, wo Glaube organisiert wird, ist aber ohne Aussicht auf Erfolg. Denn im Gehirn sind x-beliebige Nervenzellen über wenige Synapsen mit allen anderen verbunden. Nehmen wir die Nervenzellen im limbischen System, wo Emotionen produziert werden. Sie haben Kontakt zu den rationalen Instanzen des Hirns, zu Strukturen in der Hirnrinde also. Der religiöse Glaube wird auf allen diesen Etagen produziert - er ist etwas Systemhaftes, das sich über das ganze Gehirn verteilt."

Eine andere Kritik an Newberg lautet, dass es sich um inszenierte Meditationen gehandelt habe. Die Probanden hätten im Moment tiefster Versenkung extra ein Signal auslösen müssen - das Zeichen für die Injektion einer radioaktiven Substanz, welche die Aktivitäten in Hirnarealen sichtbar macht. Echtes Meditieren sei unter diesen Umständen nicht möglich gewesen.

Die Psychologin Nina Azari untersuchte Probanden, während sie aus der Bibel lasen, Psalm 23: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Die einen Testpersonen kamen aus der evangelikalen Freikirche, fromme Christen, die mittels Rezitation an Gott herantreten. Bei den anderen handelte es sich um Atheisten, denen der Psalm von Grund auf fremd ist.

Bei den Christen zeigten sich ganz andere Aktivitätsmuster als bei den Atheisten. Vor allem jene Hirnregionen waren angeregt, die Aufmerksamkeit, Selbstwahrnehmung und Erinnerungen steuern. Religiöse Erlebnisse werden also von persönlichen Vorerfahrungen und inneren Einstellungen beeinflusst - spezieller Glaubenszentren bedarf es dafür nicht.

Heilt der Glaube?

Die letzten Antworten - existiert Gott? - kann die Neurotheologie natürlich nicht geben. Wolf: "Glauben und Glaubensfähigkeit sind Leistungen unseres Gehirns - was sonst? Es entbehrt jeder Grundlage, aus der Verteilung von Hirnaktivitäten auf besondere Glaubensstrukturen schließen zu wollen oder gar auf den Sitz Gottes im Gehirn. Dieselben Hirnstrukturen werden auch für ganz andere Aufgaben herangezogen."

Es wird gesagt, der Glaube versetze Berge. Hilft er auch, Krankheiten zu überwinden? Der Religionspsychologe Sebastian Murken ist dem nachgegangen - allerdings "nur" mit Fragebögen. Er untersuchte 198 Brustkrebspatientinnen in einer onkologischen Klinik. Ergebnis: Religiosität ist nicht für alle Menschen in jeder Situation eine Ressource. Glaubten die Frauen an einen strafenden Gott, dann hätten sie eher an Ängsten und Depressionen gelitten. Die Frauen mit einem positiven Gottesbild nahmen ihre Krankheit besser an: Für sie war die Religion eine Stütze in schweren Zeiten.

Auch bei Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden, kommt es anscheinend auf die Art des Glaubens an und weniger auf den Glauben selbst - das ist das Ergebnis einer zweiten Befragung. Während der Glaube die einen tröstete, haderten die anderen und rangen mit Gott - was sich eher negativ auswirkte.

Macht Glaube also gesünder? Eine Langzeitstudie hat ergeben, dass Mönche im Schnitt vier Jahre älter werden als Männer, die außerhalb von Klostermauern leben. Zwischen Nonnen und Nicht-Nonnen treten diese großen Unterschiede allerdings nicht auf.

Andreas Lorenz-Meyer, geboren 1974, lebt als freier Journalist in Hamburg und schreibt über wissenschaftliche Themen aller Art.