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"Kein Wundermittel gegen Krebs"

Von Eva Stanzl

Wissen

Krebsforschung soll Fortschritte machen, jedoch in kleinen Schritten.


"Wiener Zeitung": Sie waren in den vergangenen sechs Monaten interimistischer Direktor des Instituts für Molekulare Pathologie (IMP). Warum bestellte man Sie nicht gleich fix?Jan-Michael Peters: Eine Findungskommission unseres wissenschaftlichen Beirats, unseres Sponsors und Gründers Boehringer Ingelheim und internationaler Forscher zog externe und interne Kandidaten in Betracht. Eine solche Abstimmung geht nicht von heute auf morgen.

Wie lange läuft Ihr Vertrag?

Der Vertrag ist unbefristet, ich könnte diesen Posten bis zu meinem 65. Lebensjahr bekleiden. Ob ich das aber auch tun werde, wird von vielen Dingen abhängen.

Sie leiten eine Arbeitsgruppe am IMP seit 1996 und wollen nun nach eigenen Angaben "die einmalige Erfolgsgeschichte des IMP fortsetzen". Worin besteht die Einmaligkeit des 1985 gegründeten Instituts?

Das IMP wurde gegründet, als es den Campus Vienna Biocenter noch nicht gab. Wien lag damals relativ dicht am Eisernen Vorhang und war kein Zentrum für molekularbiologische Wissenschaft. Auch der Standort in Neu-Marx war mit dem Schlachthof und lauter leeren Fabrikshallen unwahrscheinlich. Die Gründung genau hier war eine mutige, um nicht zu sagen riskante, Angelegenheit, und dass es so erfolgreich wurde, war nicht sicher. Insofern ist es einmalig.

Warum hat es geklappt?

Gründer Max Birnstiel hat in weiser Voraussicht verhandelt, dass ein Biocenter in Form der Max F. Perutz Laboratories nebenan angesiedelt werden sollte, was den Grundstein für den Campus Vienna Biocenter legte, der heute Uni-Institute, Biotech-Firmen und Fachhochschulen beherbergt. Weiters warb Birnstiel von Anfang an hervorragende Wissenschafter an, begründete ein Doktoranden-Programm, das Talente anzieht, und eine Service-Einrichtung für Forschungsinfrastruktur, denn die Molekularbiologie ist von aufwendiger Technologie abhängig. Das IMP ist wenig hierarchisch und unbürokratisch aufgebaut, wodurch Entscheidungen schnell getroffen werden können, und natürlich wäre das alles nicht möglich ohne die Finanzierung durch Boehringer Ingelheim.

Mit welchen großen Entdeckungen kann das IMP punkten?

Es sind eine ganze Reihe von Entdeckungen, die in die Lehrbücher eingegangen sind. Etwa hat die Arbeitsgruppe meines Stellvertreters Meinhard Busslinger das Schlüsselgen, das zur Bildung von B-Zellen führt, entdeckt und charakterisiert und deren Entwicklung beschrieben. Die B-Zellen sind für das Immunsystem sehr wichtig. Weiters wurde das erste Enzym entdeckt, das Chromatin, in dem das Erbgut verpackt ist, verändert. Und es wurden hier Schlüsselarbeiten zur Metastasierung - also zur Frage, wie Zellen aus einem Tumor auswandern könnten - gemacht.

Welche Fragen interessieren Sie?

Unser Erbgut ist auf 46 Chromosomen im Zellkern jeder Zelle verteilt. Ich versuche, zu verstehen, wie die DNA in Chromatin und Chromosomen verpackt ist, was erstaunlich wenig verstanden ist. Gleichzeitig würde ich gerne begreifen, wie diese Information verdoppelt und verteilt wird, wenn sich aus einer Zelle zwei bilden. Der Vorgang wurde mikroskopisch gut untersucht, ist aber auf der Ebene der Eiweiß-Moleküle, die diesen Vorgang steuern, nur sehr unvollständig verstanden ist. Außerdem habe ich an einem Enzym namens Polokinase gearbeitet, das als mögliches therapeutisches Ziel erkannt wurde gegen Krebserkrankungen. Boehringer hat inzwischen ein Medikament entwickelt, das sich in der fortgeschrittenen klinischen Prüfung befindet, das dieses Enzym hemmt und so die Zellteilung von Tumorzellen unterdrückt.

Wo meinen Sie wird die Krebsforschung in zehn Jahren stehen?

Aus mehreren Jahrzehnten molekularbiologischer Forschung existiert inzwischen sehr viel Wissen über mögliche Ansatzpunkte für Therapien. Die Krebsforschung wird somit einen kontinuierlichen Fortschritt machen, jedoch wird jeder Schritt klein sein. Denn jede Tumorzelle ist eine Zelle unseres eigenen Körpers. Es wird daher kein Wundermittel geben, wie Antibiotika es waren. Bakterienzellen sind nämlich ganz anders als unsere eigenen Zellen, sodass man sie leicht angreifen kann, ohne gesunde Körperzellen zu schädigen. Das ist bei Krebszellen, die aus unseren eigenen Zellen entstehen, anders.Es wird daher vermutlich kein Medikament geben, mit dem man alle möglichen Krebsarten behandeln kann, ebenso wie kein einziges Medikament für alle Patienten, die an der gleichen Krebsart leiden. Vielmehr bringt jede Krebsart Tumore hervor, die unterschiedliche Eigenschaften haben, und wir müssen herausfinden, welche Eigenschaften jeder individuelle Tumor hat, um ihn erfolgreich zu bekämpfen.

Zur Person

Jan-Michael Peters (50) ist neuer wissenschaftlicher Direktor des Wiener Forschungsinstituts für Molekulare Pathologie (IMP), eine der bedeutendsten Life-Science-Forschungseinrichtungen Österreichs. Der deutsche Zellbiologe leitet seit 1996 eine Arbeitsgruppe am IMP, seit 2002 als Senior Scientist. 2011 erhielt er für seine Forschungsleistungen den Wittgenstein-Preis der Bundesregierung.