Zum Hauptinhalt springen

Von der Kante in die Mitte

Von Eva Stanzl

Wissen

Forscher analysieren, welche Reformen Österreichs Zukunft sichern könnten.


Wien/Alpbach. Österreich ist eines der reichsten Länder der Welt. Seine Wirtschaft ist im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends real um 1,5 Prozent jährlich gewachsen. Das ist zwar weniger als im Jahrzehnt davor, aber angesichts der Wirtschaftskrise und eines nur 1,1-prozentigen Wachstums in der EU doch beachtlich. Österreich zählt somit nach Polen, Frankreich, Belgien und den Niederlanden zu den fünf Ländern in Europa, die die Wirtschaftskrise am besten bewältigt haben.

Diese Zahlen nennt der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts, Karl Aiginger, in seinem Beitrag zu einem vom Rat für Forschung und Technologieentwicklung (RFT) herausgegebenen Buch, "Österreich 2050". Die Autoren des Bandes, der heute im Vorfeld der morgen beginnenden Alpbacher Technologiegespräche präsentiert wird, wollen Anregungen für Reformen liefern, die das Land in eine erfolgreiche Zukunft führen sollen.

Nur wenige Resultate

Warum bei so guten Voraussetzungen solche Überlegungen überhaupt notwendig sind, zeigt ein Blick auf den Global Innovation Index. Österreich ist heuer in der Rangliste, welche die Innovationsleistung von 142 Ländern vergleicht, wieder um einen Platz zurückgefallen und steht nun an 23. Stelle. Das Land habe zwar gute Infrastruktur- und Ausbildungsvoraussetzungen - beim "Innovationsinput" wurden 60,6 von 100 Punkten erzielt -, aber es kommt nur wenig dabei heraus. "Österreich nutzt die relativ gute Innovationsvoraussetzung völlig unzureichend aus", erläutert Klaus Hölbling, Geschäftsführer von Booz & Company Wien, Co-Autoren des Index. Gerade in Technologie-intensiven Bereichen, wie Computer- und Informationsgütern, liege der Exportanteil bei nur 6,5 Prozent.

Aiginger zufolge ist die Entwicklung historisch begründet. Hierzulande wurde die Hochtechnologie lange über Maschinen und Management durch multinationale Unternehmen importiert. Die Löhne waren jahrelang niedriger als jene in Deutschland. Österreichs Unternehmen wurden als Weltmeister in bestehenden Strukturen bezeichnet. Gute Umsätze und hohe Qualität gab es vorwiegend in traditionellen und weniger in technologieintensiven Industrien. "Auch die Bildungsstruktur mit einem hohen Anteil auf Sekundarstufe und einer geringen Akademikerdichte spiegelt die alten Stärken", so Aiginger.

Heute liegt das Land nicht mehr an der Kante, sondern in der Mitte der EU. Die Position im Zentrum eines im Umbruch befindlichen Wirtschaftsraumes ist mit größeren Chancen verbunden und mit stärkerer Konkurrenz: Mehrere Regionen wetteifern darum, sich als Standorte für Konzern- und Forschungszentralen zu profilieren. In nur 500 Kilometer Entfernung liegen die Einkommen jedoch bei einem Fünftel von jenen in Österreich.

"Österreich kann aufgrund seiner Einkommensposition keinen Preiswettbewerb bei undifferenzierten Produkten gewinnen. Wir müssen uns auf hochwertige Produkte spezialisieren, deren Erzeugung eine breite und tief greifende Wissensbasis erfordert, und dadurch erlauben, in bedeutenden Nischen Technologieführerschaft herzustellen", so Aiginger.

Angesichts der Tatsache, dass die Forschungsausgaben von derzeit 2,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts deutlich entfernt sind vom Ziel der Bundesregierung von 3,76 Prozent, erscheint eine "breite und tiefgreifende Wissensbasis" jedoch wie Wunschdenken. "Der Wermutstropfen im Budgetpfad liegt darin, dass die Ausgaben für Forschung, Bildung und Umwelt zwar durch ,Offensivmittel‘ immer wieder stabilisiert, aber gegenüber dem bisher geplanten Expansionstempo besonders stark gekürzt werden", warnt Aiginger. Und RFT-Präsident Hannes Androsch wird nicht müde, zu betonen: "Österreich sollte auf den Tugendpfad der Forschungsfinanzierung zurückkehren. Dabei geht es um jährlich zusätzliche 300 Millionen Euro." In ihrem Konjunkturpaket sieht die Bundesregierung allerdings keine Maßnahmen vor. Vielmehr ist das Wort Forschung gar nicht erwähnt.

"Es gibt kaum ein vergleichbares Land, in dem die öffentliche Hand so viel Geld für die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft ausgibt wie Österreich", betonte Helga Novotny, Präsidentin des Europäischen Forschungsrats, jüngst in einem Interview. Zwar gebe es 60 Christian Doppler Labors und 40 Kompetenzzentren und Kompetenzprojekte, in denen genau das geschieht, und seien praktisch alle Universitäten an Kooperationen beteiligt. Das Entstehen einer innovationsgeprägten Wissensgesellschaft würde aber durch die "Beharrungskräfte festgefügter Interessen" verhindert, so Novotny, die in Alpbach den Programmpunkt "Umsetzung von Forschung in die Wirtschaft" leiten wird.

Neugier ist schlecht bezahlt

Nicht zuletzt die Unterdotierung der Grundlagenforschung könnte den Fluss neuer Ideen für die Wirtschaft austrocknen. "Es wäre eine unrealistische Spekulation, wenn wir heute versuchen würden, die Innovationen und bahnbrechenden Entdeckungen der nächsten 35 Jahre vorauszusehen und vorherzusagen. Was man aber prognostizieren kann, sind langfristige Trends wie die wissenschaftliche Produktivität unseres Landes", schreibt Christoph Kratky, ehemaliger Präsident des Wissenschaftsfonds FWF. Mit Blick auf den weltweiten Wettbewerb sei Spitzen-Innovation die einzig mögliche Antwort für ein kleines Hochlohn-Land wie Österreich. Dass Österreich 2050 in der Grundlagenforschung zur Weltspitze aufschließt, sei nicht unmöglich. Allerdings würde es erfordern, "dass wir ceteris paribus unsere Anstrengungen im Hinblick auf die wissenschaftlichen Zitationen pro Kopf erheblich steigern", so Kratky. Und das sei nicht nur, aber auch eine Frage des Geldes.