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Digitales Netz zum Nutzen der Geisteswissenschaften

Von Heiner Boberski

Wissen
Die Forschung nutzt alte und neue Hilfsmittel.
© HBSS/corbis

Akademie der Wissenschaften will mit neuem Zentrum Forschung erleichtern.


Wien. Neue Technologien haben den Zugriff auf Wissen enorm erleichtert. Wie der Durchschnittsbürger, der rasch Informationen über eine Person oder Sache haben will, den entsprechenden Begriff im Internet "googelt", nutzen natürlich auch die Forscher die weltweite Vernetzung, um Daten auszutauschen und auch zunehmend zum Zugriff auf digitalisierte Forschungsgegenstände.

Ein besonders schönes Beispiel lieferte heuer im Frühjahr, wie die "Wiener Zeitung" am 13. Juni berichtete, der Salzburger Altphilologe Lukas Dorfbauer. Er identifizierte vom Schreibtisch aus einen in der Kölner Dombibliothek als "unbekannte Handschrift aus dem 9. Jahrhundert" aufbewahrten Text als die einzige erhaltene Abschrift des ältesten bekannten Kommentars zu allen vier Evangelien, verfasst um das Jahr 350 von Bischof Fortunatian von Aquileia. Möglich war das, weil der Text digitalisiert online stand.

Das neue "Österreichische Zentrum für Digitale Geisteswissenschaften" will nun die Forschung im Bereich der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften (GSK) vorantreiben. Es geht um die Digitalisierung wichtiger Objekte - von Text-, Ton-, Bild- und Filmmaterial bis zu archäologischen Artefakten und Grabungsbefunden - sowie um nationale und internationale Vernetzung. Anton Zeilinger, seit Juli Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), stellte das Zentrum am Mittwoch als erste von zwei großen neuen Initiativen der ÖAW vor (über die zweite wollte er noch nichts verraten). Es steht ab 1. Jänner 2014 allen österreichischen Wissenschaftern offen. Für die nächsten drei Jahre steuern ÖAW und Wissenschaftsministerium zur Finanzierung jeweils 1,6 Millionen Euro bei.

Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle sieht im Einsatz moderner Technologien "eine gewaltige Erleichterung" für die Forschung. Das Sammeln von Material, das früher "jahrelange, entsagungsvolle Arbeit eines Wissenschafters" gewesen sei, gehe nun "rasend schnell". Doch die Fülle an Daten müsse gepflegt, aufbereitet und genutzt werden, "ein reiner Datenfriedhof hilft niemandem", betonte der Minister.

Verknüpft mit EU-Projekten

ÖAW-Vizepräsident Michael Alram nannte drei Hauptziele des neuen Zentrums: Ausbau der Infrastruktur, Durchführung von Pilotprojekten der wissenschaftlichen Digitalisierung und Starten einer Ausbildungsinitiative für Jungforscher, für die ein Curriculum als "data scientists", wie es das in Deutschland schon gibt, entwickelt werden soll.

Puncto Infrastruktur könne man bereits auf das ÖAW-Institut für Corpuslinguistik und Texttechnologie, dessen Direktor Gerhard Budin die Leitung des Zentrums übernimmt, sowie auf das Phonogramm-Archiv zurückgreifen. National wird das Zentrum mit Universitäten, Bibliotheken und Museen kooperieren, internationale Partner sind die deutsche Max-Planck-Gesellschaft sowie die Universitäten Göttingen, Tübingen, Utrecht und Oxford. Das Zentrum soll auch an EU-Projekte zur Forschungsinfrastruktur anknüpfen, etwa Dariah (Digital Research Infrastructure for the Arts and Humanities) und Clarin (Common Language Resources and Technology Infrastructure).

Für ein "Totsagen" der Geisteswissenschaften hat der Physiker Zeilinger gar kein Verständnis. Es gebe "keinen Grund, in diesen Jammer einzustimmen". Oft werde viel zu simpel nach der unmittelbaren Nützlichkeit von Wissenschaft gefragt. Auf die ÖAW-Reform angesprochen, betonte Zeilinger, diese sei auf Schiene, die interne Entflechtung von Gelehrtengesellschaft und Forschungsträgereinrichtung werde aber nicht hektisch, sondern "in aller Ruhe" durchgeführt. Jemandem, der an einer ÖAW-Reform zweifle, könne er nur sagen: "Lernen Sie Geschichte!" Die ÖAW habe in den letzten Jahren bereits viermal ihre Satzungen geändert.