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Wie sich Europa bis 2050 mutmaßlich entwickeln wird

Von Heiner Boberski

Wissen

Spitzenforscher entwarfen Szenarien zu Umwelt, Wirtschaft und Sozialsystem.


Wien. Die Klimaerwärmung wird dramatisch, Europa wird nur, wenn es sich erweitert, in der Weltwirtschaft noch eine größere Rolle spielen können, und das heimische Sozial-, insbesondere Pensionssystem wird ohne deutliche Einschnitte einen Crash erleben. Mit derartigen Ausblicken bis zum Jahr 2050 warteten heimische Spitzenforscher beim Symposium "Langfristige Wirtschafts- und Umweltprognose" der Österreichischen Akademie der Wissenschaften auf.

Mit der Aussage, der Mensch sei als einziges Wesen "zur individuellen und kollektiven Selbstbelügung fähig", brachte der Ökonom Erich Streissler schon in seiner Einleitung seine Zweifel daran zum Ausdruck, dass auf unangenehme Trends immer rechtzeitig und richtig reagiert werde.

Ein Beispiel dafür lieferte gleich die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb von der Universität für Bodenkultur in Wien. Sie wollte lieber von Szenarien als von Prognosen sprechen, da die künftige Entwicklung vom Menschen noch beeinflussbar sei. Ohne besondere Maßnahmen zeichne sich bis 2050 eine durchschnittliche Erderwärmung um vier Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit ab. Mit dem vom Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung Hans Joachim Schellnhuber stammenden Zitat "Das Unbeherrschbare vermeiden, das Unvermeidbare beherrschen" warnte sie vor einer nicht mehr kontrollierbaren Entwicklung, falls wirklich ein solcher Temperaturanstieg eintritt.

Um die in Klimaabkommen angepeilte durchschnittliche Erwärmung um nur zwei Grad weltweit zu erreichen -was in Gebirgsländern wie Österreich bereits auf einen Anstieg um vier bis fünf Grad hinauslaufen würde -, bedürfte es einer drastischen Verminderung des Ausstoßes von Treibhausgasen, zu dem der Mensch heute ein Drittel beiträgt. Zudem wäre es erforderlich, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Als Beispiel führte Kromp-Kolb den Weinbau in der Wachau an - bestimmte Sorten verlieren an ihren angestammten Hängen immer mehr ihre ursprüngliche Qualität.

Ukraine wichtig für Europa

Karl Aiginger, der auch an der Wirtschaftsuniversität lehrende Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), sieht Europa vor der Entscheidung, sich auf den Rückzug zu begeben oder als globaler Player zu agieren. "Europa schleppt sich aus der Krise", diagnostizierte der Wifo-Chef, es fehle dem Kontinent an einer Vision, einem Projekt, an Leadership. Hält die Entwicklung an, so falle der Anteil der EU an der Weltwirtschaft von 2010 bis 2050 von 25 auf 16 Prozent, der Anteil der Eurozone von 17 auf 9,5 Prozent.

"Träume von Kerneuropa" solle man einmotten, erklärte Aiginger. Erweitert um Nachbarn im Südosten und Süden (Vorderasien, Nordafrika), ob als Mitglieder oder zumindest Partner der EU, könnte Europa 2050 mit China mit jeweils rund 28 Prozent Anteil die Spitze des Weltmarktes bilden. Eine solche Erweiterung brauche aber innere Stabilität. Ein Sorgenkind des Kontinents sei die "Baustelle Südeuropa". Die Welt werde 2050 dreimal so reich wie heute sein, Europa nur doppelt so reich. Es gelte Nachbarn zu Partnern zu machen, so Aiginger, das jetzige Tauziehen um die Ukraine sei bereits eine "Entscheidungsschlacht für Europa".

Der Sozialforscher Bernd Marin sieht ein Kernproblem Europas darin, dass 127 Millionen Menschen im besten Erwerbsalter nicht arbeiten. Ohne seine drei Säulen (Vollbeschäftigung, produktionsorientiertes Einkommenswachstum, sichere Pensionen) sei der Wohlfahrtsstaat am Ende. Das reale Pensionsalter gehöre, solle nicht bald das System zusammenbrechen, dringend erhöht. Nach heutigem Trend würde es in Österreich erst im Jahr 2167 bei 65 Jahren liegen.